Guter Überblick

Streit um die Nakba-Ausstellung

Es war im vergangenen Sommer beim Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT), als es zum Eklat um die Ausstellung „Die Nakba. Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“ kam. Zwar hatte der Verein „Flüchtlingskinder im Libanon e. V.“, der die Ausstellung verantwortete, einen Stand auf dem Markt der Möglichkeiten erhalten; seine bereits 2008 gefertigte Ausstellung sollte jedoch nicht gezeigt werden. Das war eine umstrittene Entscheidung.

Zu dieser Ausstellung und dem Disput dazu ist jetzt ein Band erschienen mit dem provokanten Haupttitel Erinnerungsverbot. Das Fragezeichen des Titels wird in der Einleitung des Herausgebers Wolfgang Benz etwas tänzelnd-ironisch, aber doch deutlich gestrichen: Die Entscheidung des Präsidiums, die Ausstellung auf dem DEKT nicht zeigen zu lassen, ist „Verbot“ und „Zensur“, die kritische Diskussion um die Ausstellung Ausfluss „obrigkeitlichen Argwohns“ und „Denunziation“, die Entscheidung des Präsidiums ein „Bannstrahl der Verantwortungsträger des Evangelischen Kirchentages als Maßnahme vorauseilenden Missionseifers“. Leser*innen wird recht deutlich gemacht, wo sie sich zu positionieren haben, wenn sie nicht auf der falschen Seite obrigkeitshöriger Realitätsverweigerer stehen wollen.

Nach dieser Leseorientierung wird in zehn Beiträgen vieles reflektiert, was mit der Problematik des Nahost-Konfliktes und widerstreitenden Erinnerungskulturen in Deutschland, Israel und Palästina zusammenhängt.

Bis auf den ersten Beitrag von Reinhard Hauff beziehen diese Texte sich nicht direkt auf die Diskussion zur Ausstellung. Auch nehmen sie nur teilweise Bezug auf den Kontext, in dem der Konflikt stattfand: Die Geschichte oder aktuelle Situation des deutschen oder deutsch-protestantischen Erinnerungsdiskurses wird kaum reflektiert; auch nicht die Geschichte des DEKT, in dessen Umfeld ja nicht zum ersten Mal ein Disput um freie Meinungsäußerung entbrennt – es sei hier nur an die Entscheidung von 2019, keine Vertreter der AfD einzuladen, und an den „Purim-Streit“ 1963 zum Thema Judenmission erinnert.

Stattdessen behandeln die Beiträge von Charlotte Wiedemann, Bashir Bashir und Amos Goldberg, Muriel Asseburg, Aleida Assmann und Inge Günther, wie die sich widerstreitenden Erinnerungen an Shoah und Nakba in Israel und Palästina versöhnt werden können, oder warum dies ein komplexes Unterfangen ist. Das „Erinnerungsdreieck“ Israel, Palästina, Deutschland wird jedoch in einigen der Texte vorgestellt. Micha Brumlik reflektiert die Rolle von Gefühlen im Israel-Palästina-Diskurs und die durch seine deutsche Herkunft begründete Weigerung Habermas’, sich kritisch zur Politik Israels zu äußern, was wiederum von Omri Boehm mit Rekurs auf Immanuel Kants Definition der Aufklärung kritisiert wurde. Vor dem Hintergrund dieser Lage fragt Brumlik, ob das Nicht-Zeigen der Ausstellung nicht genau die Tendenz verstärkt, die es berechtigterweise einzudämmen gelte – den israelbezogenen Antisemitismus. Aleida Assmann fordert die Deutschen auf, sich ihrer Geschichte zu erinnern, dabei loyal zu Israel und solidarisch mit den Palästinenser*innen zu sein. Sie verdeckt mit der leichtfüßigen Forderung die tiefer liegende Problematik – dass sich durch die sich überlagernden Diskurse Menschen anscheinend in ihrer Identität und in ihrem Existenzrecht bedroht fühlen durch die Anerkenntnis der widerstreitenden Erinnerungen.

Diese Anstrengung haben die Autoren Bashir Bashir und Amos Goldberg im Blick. Sie beschreiben in ihrem Aufsatz zu Holocaust und Nakba die Möglichkeit der „empathischen Verstörung“ durch die Anerkenntnis der jeweiligen Traumata als emotionale Herausforderung, die notwendig ist, um in einem binationalen Staat miteinander zu leben. Durch den Krieg in Israel-Palästina lesen sich diese Überlegungen sehr aktuell – denn dass eine solche Anerkenntnis schmerzhaft ist, steht den Menschen der Region deutlich vor Augen. Nur scheint sie auch notwendig zu sein.

So sind einige der Aufsätze mit Gewinn zu lesen. Sie geben einen guten Überblick zur Diskussion um die Erinnerung an die Nakba. Insgesamt verfehlt der Aufsatzband jedoch sein Thema. Er wirkt wie ein recht schnell zusammengelegtes Konglomerat an Texten, die schon andernorts veröffentlichte Positionen vortragen und nur am Rande mit dem DEKT-Disput zu tun haben. Das ist bedauerlich. Der Streit um die Ausstellung hätte ein guter Anlass sein können, um zu diskutieren, wie wir in Deutschland die Debatte um Israel und Palästina aktuell führen und wie wir sie führen sollten; vielleicht auch: wozu?

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