Bis zum bitteren Ende

Immer mehr Nutztierhalter verlieren ihre Betriebe – und viele auch den Lebensmut
Ein Schwein in einem neuen Tierwohl-Stall, der als besonders tiergerecht gilt, aber auch teuer ist.
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Ein Schwein in einem neuen Tierwohl-Stall, der als besonders tiergerecht gilt, aber auch teuer ist.

Ist die Nutztierhaltung in Deutschland noch haltbar? Jan Menkhaus, für Landwirtschaft zuständiger Referent beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche und ehemaliger EKD- grarbeauftragter, ist skeptisch. Immer höhere Anforderungen der Kunden, steigender Preisdruck und zunehmende staatliche Auflagen belasten eine Branche. Für kleinere Familienbetriebe wird es immer schwerer, viele geben ausgebrannt auf. Und manche zahlen mit ihrem Leben.

Kaum ein anderer Bereich in der Landwirtschaft wird so kontrovers diskutiert wie die Haltung von Nutztieren zur Produktion von Milch, Fleisch und Eiern. Vor allem die moderne „Massentierhaltung“ steht in Verruf. Sie verbrauche enorme Ressourcen, sei klimaschädlich und eine artgerechte Haltung sei so nicht möglich, lauten die gängigen Vorwürfe. Immer mehr pflanzliche Alternativen erobern die Märkte, und haltungsfreien Produkten aus dem Bioreaktor wird eine große Zukunft vorhergesagt. Darf man vor diesem Hintergrund im 21. Jahrhundert überhaupt noch tierische Produkte konsumieren? Die Gesellschaft ist gespalten bei diesem Thema. Die Meinungen gehen von absolutem Verzicht auf die Nutztierhaltung und veganer Lebensweise bis hin zum bedenkenlosen täglichen Konsum von Milch, Wurst, Fleisch und Käse.

Evangelium instrumentalisiert

Auch an der Kirche geht diese Diskussion nicht vorbei, manche versuchen gar, das Evangelium dafür zu instrumentalisieren. „Jesus wäre heute Veganer, um das Klima zu schonen und Tierleid zu ersparen“, spekulieren die einen. „Jesus hat damals Fleisch gegessen und würde es auch heute mit voller Überzeugung tun“, versichern die anderen. Kirche kann mit diesem Thema keinen Blumentopf gewinnen, weil die Erwartungen an die zukünftige Tierhaltung zu unterschiedlich sind. Mit dem EKD-Text 133, „Nutztier und Mitgeschöpf! Tierwohl, Ernährungsethik und Nachhaltigkeit aus evangelischer Sicht“, veröffentlichte die Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung im September 2019 ein Impulspapier, das die aktuellen Heraus- und Anforderungen sehr gut beschreibt. Am Ende werden sogar 16 Kernsätze und Kernforderungen einer nachhaltigen Nutztier­ethik aus kirchlicher Perspektive gefordert. Doch für diejenigen, die die Nutztierhaltung abschaffen oder einschränken wollen, reichen diese Forderungen nicht weit genug. Und auf konventionelle Tierhalter*innen, die mit Nutztieren ihr Geld verdienen, wirken die Forderungen moralisierend und wie „Buh“-Rufe vom Seitenrand.

Mahner, Mittler, Motor

Es ist trotzdem gut, dass die Kirche sich an dieser Diskussion beteiligt und Forderungen stellt. Denn schließlich werden auch in kirchlichen Einrichtungen, auf Gemeindefesten und Veranstaltungen tierische Produkte konsumiert. Und da sich die Evangelische Kirche selbst als Mahnerin, Mittlerin und Motor sieht, ist es gut, dass sie sich an dieser Diskussion beteiligt und mit gutem Beispiel vorangeht oder zumindest vorangehen will. Mahnen tut sie genug.

Die Sache ist klar: Es gibt in unserer Gesellschaft Vegetarier, Veganer oder andere Menschen, die auf irgendeine Weise auf tierische Produkte verzichten, doch die Mehrheit isst Fleisch, trinkt Milch oder konsumiert andere Milcherzeugnisse und Eier in jeglicher Form. Global wächst der Hunger auf Fleisch ohnehin. Fleisch zu essen bedeutet für viele Menschen Wohlstand, den sie sich nicht wegnehmen lassen möchten, ganz im Gegenteil, und auch nicht von der Kirche moralisierend schlechtreden lassen möchten. Dabei ist es der Mehrheit schon wichtig, dass die Nutztiere vor ihrem Ableben ein „schönes Leben“ gehabt haben, wie auch immer das aussieht, und die Schlachtung schnell und qualfrei geschieht.

Die Kaufentscheidung wird aber hauptsächlich nach nur einem Kriterium gefällt, dem Preis. Doch der spricht selten die Wahrheit. Denn Tiere zu halten kostet viel Geld. Diese Kosten werden aber nur zum Teil vom Verbraucher an der Kasse bezahlt, sie werden zu einem großen Teil externalisiert, ausgelagert. Bezahlen müssen dies die uns nachfolgenden Generationen, in welcher Form auch immer. Die Massentierhaltung sorgt für eine verschwindende Artenvielfalt mit einem enormen Verlust der Biodiversität, für Bodendegradation und einen besorgniserregenden Verlust der Bodenfruchtbarkeit, verschärft den Klimawandel mit noch unabsehbaren Folgen für die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte.

Die echten Preise unseres Wohlstands und Konsums tierischer Erzeugnisse bezahlen aber auch diejenigen, die keine Stimme haben in unserer Gesellschaft, die zu selten gesehen oder gehört werden. Nämlich die, die dafür arbeiten, dass wir täglich billig Fleisch essen können. Das sind die prekär Beschäftigten in der Schlachtindustrie, aber auch die tierhaltenden Landwirte selbst, die sich und ihre Familien bis zur Betriebsaufgabe selbst ausbeuten. In Deutschland ist es schon seit längerem schwierig, als Familienbetrieb mit der Nutztierhaltung genug Geld zu verdienen, um eine Familie ernähren zu können. Die Gründe sind ebenfalls schon länger bekannt. Steigende gesellschaftliche und gesetzliche Anforderungen, dazu hohe bürokratische Hürden, wenig Planungssicherheit und eine hohe Perspektivlosigkeit zwingen derzeit viele Betriebe, ihre Tore zu schließen, auch wenn eigentlich Hofnachfolger*innen vorhanden wären.

Denn wir Verbraucherinnen und Verbraucher fordern für unser Gewissen, dass die Tiere immer besser gehalten werden, bezahlen aber nicht den Preis dafür. Dabei kostet der Bau neuer Ställe die tierhaltenden Betriebe viel Geld. Ein neuer Kuhstall kostet schnell einen siebenstelligen Betrag, was über den Markt nur sehr langfristig wieder erwirtschaftet werden kann. Selbst wenn der Betrieb eine Baugenehmigung für einen neuen Stall mit mehr Tierwohl erhält, was bei der aktuellen Gesetzgebung schwierig ist, kann der Betrieb nicht sicher sein, dass dieser Stall in 20 Jahren gesellschaftlich noch akzeptiert wird und den Anforderungen der Zukunft entspricht. So ein Stall wird aber mindestens über so einen langen Zeitraum finanziert werden müssen, so dass man dann auch noch am Ende Geld damit verdienen kann. Diese Planungssicherheit haben die Betriebe jedoch nicht, so dass viele Söhne und Töchter den Familienbetrieb nicht führen wollen.

Nur, wie ist so etwas möglich? Wie kann es sein, dass eine Gesellschaft viele tierische Produkte nachfragt und konsumiert, aber diejenigen nicht überleben können, die diese Produkte produzieren? Das liegt an einer industriellen Handels- oder Lieferkette, die sehr undurchsichtig ist und über einen freien und globalen Markt unfair gegenüber unserer heimischen Produktion ist. Die Discounter locken uns Verbraucherinnen und Verbraucher mit günstigen Angeboten in die Märkte. Rechnen tun sich diese aber nur über die Menge, nur die verarbeitende Industrie kann also den großen Markt bedienen. Denn sie kann die Kosten ebenfalls über die Menge drücken, auch über prekäre Beschäftigung. Die landwirtschaftlichen Betriebe, die in Deutschland hauptsächlich noch in Familienhand liegen und auch von der ganzen Familie bewirtschaftet werden, stehen am Ende dieser Handelskette. Sie bekommen das, was Markt und Handel ihnen an Marge übriglässt, können keine Preise einfordern. Wenn der Betrieb damit nicht zurechtkommt, war es in den letzten Jahrzehnten üblich, dass auch die landwirtschaftlichen Betriebe ihre Kosten über die Menge regulieren mussten, also ihre Betriebe vergrößern und die Produktion rationalisieren, oder aufgaben. Diese „Wachse oder Weiche“-Vorgehensweise ist jedoch in Deutschland an ihre Grenzen gekommen. Betriebe müssen jetzt versuchen, ihr Geld anders zu bekommen, etwa über eine höhere Haltungsstufe, über mehr Tierwohl, das, was die Verbraucher*innen eigentlich wollen und seit längerem fordern. Das ist allerdings in einer mit billigen Lebensmitteln verwöhnten Gesellschaft nur schwierig umzusetzen.

Hinzu kommt, dass der Lebensmitteleinzelhandel durch zunehmend teurere Auflagen in Deutschland lieber bei billigeren Produzenten im Ausland einkauft. Das belastet unsere Betriebe zusätzlich, da sie mit globalen Produkten konkurrieren müssen, die mit weitaus geringeren Standards oder Haltungsbedingungen produziert worden sind. Doch wer kontrolliert schon vor dem Kauf, ob das Tier, von dem das Produkt ausgeht, in Deutschland geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet worden ist? Vorausgesetzt, man findet diese Informationen überhaupt auf der Verpackung.

Dieses Verhalten und unser Konsum haben Konsequenzen. Die heimischen Familienbetriebe werden immer öfter zum Aufgeben gezwungen, über einen Leidensweg, der nicht selten zu Depressionen und Burnout bis hin zum Suizid führen kann. Offizielle Zahlen für Deutschland liegen nicht vor, wohl aber für Frankreich. Nach einer Erhebung aus dem 2017, über die das Fachmagazin agrar heute im vergangenen Jahr berichtete, nehmen sich in Frankreich jährlich etwa 650 Landwirte das Leben. Wahrscheinlich liegt die Zahl sogar noch höher, da viele Fälle aus Scham oder aus Versicherungsgründen nicht als Selbsttötung gemeldet werden. Doch auch die offizielle Suizidrate liege 50 Prozent höher als in der übrigen Bevölkerung, heißt es in dem Bericht. Rund 80 Prozent derjenigen, die freiwillig aus dem Leben scheiden, seien Männer, mehrheitlich Milchbauern und Rinderzüchter. Ein Trend, der zwar für Deutschland nicht mit Zahlen unterlegt werden kann, der aber von Fachleuten bestätigt wird.

In Deutschland werden die Betriebe überleben, die am besten mit höheren Standards die Kosten am geringsten halten können. Das werden in der Regel größere Betriebe sein, die sich diesen Umbau leisten können. Die kleineren Betriebe, die wir uns als Gesellschaft so sehr wünschen, haben aber keine Perspektive mehr. Nur die, die ihre Produkte selbst vermarkten und ihre Kosten über den Verkauf selbst erwirtschaften können über Direktvermarktung, zum Beispiel über eine eigene kleine Molkerei oder Schlachterei, werden vielleicht noch eine Chance haben. Aber das sind die wenigsten, es werden Nischen für nur einige Betriebe sein. Der Politik sind die Probleme und auch die Situation in den Betrieben seit langem bekannt. 2019 wurde deshalb das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung eingerichtet. Die „Borchert-Kommission“, benannt nach dem Vorsitzenden, dem ehemaligen Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert, hat Empfehlungen zum Umbau zur zukunftsfesten landwirtschaftlichen Tierhaltung einschließlich Finanzierungskonzepte erarbeitet. Die Expert*innen haben einen Mix aus staatlichen Tierwohl-Prämien und Investitionsförderung vorgeschlagen, um den Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland bezahlbar zu machen. Da die Kommission aus Interessenvertreter*innen der konventionellen sowie ökologischen Landwirtschaft und Umweltverbänden, zahlreichen Akteur*innen aus der Wertschöpfungskette, Verwaltung und Wissenschaft zusammengesetzt war, wurde diesen Empfehlungen, die auf breitem gesellschaftlichem Konsens entstanden, viel Hoffnung für die Betriebe entgegengebracht.

Ein Armutszeugnis

Im August 2023 hat die Kommission ihre Arbeit jedoch beendet, weil im Bundeshaushalt langfristig die Mittel dafür fehlen. Ein Armutszeugnis für eine fleischessende Wohlstandsgesellschaft. Nun wird der Handel zukünftig noch stärker entscheiden, wie die Tiere gehalten werden, zu welchem Preis diese Produkte verkauft werden und damit, wer es sich noch leisten kann, Tiere zu züchten, zu halten und zu mästen. Verlierer sind die Tiere selbst, die meisten tierhaltenden Betriebe und die, die in dem Bereich arbeiten. Verlierer sind aber auch die Natur, Umwelt, das Klima und damit letztendlich wir alle – auch die, die kein billiges Fleisch essen.

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Foto: KDA Nordkirche

Jan Menkhaus

Dr. Jan Menkhaus ist Wissenschaftlicher Referent beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche in Kiel.


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