Die nächste Generation

Junge Menschen in der Landwirtschaft stehen vor großen Problemen
Kartoffelernte in Neufahrn bei Freising.
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Kartoffelernte in Neufahrn bei Freising.

Sie ist selbst auf einem Hof groß geworden, der sich ständig verändert hat. Doch die Generation von Bäuerinnen und Bauern, die nun die Betriebe übernehmen, steht vor ganz besonderen strukturellen Herausforderungen, weiß Sarah Schulte-Döinghaus, Bundesvorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands.

Deutschland verändert sich und so auch die Landwirtschaft. In meinem Fernstudium habe ich kürzlich eine Prüfung im Fach Soziologie geschrieben. Dort ging es unter anderem auch um die Bevölkerungsstruktur Deutschlands und wie sich diese in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Seit den 1970er-Jahren ist die Geburtenrate rückläufig. Dem gegenüber steht zwar eine gestiegene Lebenserwartung, die dazu führt, dass sich das Verhältnis von jung zu alt verschiebt. Die Entwicklung wird vor allem durch die Migration der vergangenen Jahre etwas verändert, wird aber zu einer im Schnitt immer älter werdenden Bevölkerung führen. Diese demografischen Entwicklungen stellen eine natürliche Grenze dar und sorgen dafür, dass das Angebot an Arbeitskräften über alle Fachrichtungen und Tätigkeitsbereiche hinweg zurückgeht.

Doch nicht nur mit dieser gesellschaftlichen Veränderung haben wir es in der Landwirtschaft zu tun. Die Landwirtschaft selbst unterliegt einem massiven Strukturwandel. Vor über 50 Jahren gab es in Deutschland noch mehr als 1,1 Millionen landwirtschaftliche Betriebe mit einer durchschnittlichen Größe von elf Hektar. Derzeit sind es noch rund 263 000 landwirtschaftliche Betriebe, deren Größe jedoch regional sehr unterschiedlich ist. Während in Baden-Württemberg eine Durchschnittsgröße von 35 Hektar pro Betrieb vorzufinden ist, sind es in Mecklenburg-Vorpommern 275 Hek­tar pro Betrieb. Wann dieser Wandel ein Ende erreicht, ist schwer zu beurteilen. Dies hängt eng damit zusammen, welche Form der Landwirtschaft wir unterstützen und fördern möchten.

Die Herausforderungen in der Landwirtschaft sind vielfältig und beschäftigen (junge) Landwirtinnen und Landwirte auf unterschiedlichsten Ebenen. Der Spagat zwischen der Erzeugung guter, gesunder Lebensmittel und dem Erhalt eines wirtschaftlich sinnvollen Betriebs wird immer größer. Zudem herrscht in der Öffentlichkeit oft ein unrealistisches Bild über Landwirtschaft, das zwischen Idealisierung einerseits und Abwertung andererseits schwankt. Der äußere Druck wird da trotz großer Leidenschaft irgendwann zu viel. Dieser (Kosten-)Druck verschärft sich zunehmend durch Extremwetterereignisse wie Dürren, Starkregen oder Hitzewellen, welche zu Ernteausfällen führen und die Lebensgrundlage der Landwirt*innen gefährden können. Dabei muss sich der Berufsstand der Landwirtschaft nicht verstecken. Moderne Landwirt*innen, ob selbstständig oder angestellt, verfügen über eine solide berufliche Grundbildung, erfüllen hohe ökologische und technische Anforderungen und spielen als Produzent*innen von Nahrungsmitteln eine zentrale gesellschaftliche Rolle.

Glücklicherweise erlebe ich auch immer wieder motivierte junge Menschen mit tollen und inspirierenden Ideen, die sich nicht von den Herausforderungen abschrecken lassen und zum Beispiel die steigende Nachfrage nach regionalen, saisonalen und ökologisch erzeugten Lebensmitteln als Chance sehen und diese nutzen. Dies zeigt auch die Statistik, nach der die Anzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge in der Landwirtschaft zwar zuletzt leicht gesunken ist, sich aber seit mehr als zehn Jahren auf ungefähr gleichbleibend hohem Niveau befindt. 2022 wurden 13 314 Ausbildungsverträge in der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei neu abgeschlossen. Das sind fast drei Prozent der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in Deutschland insgesamt.

Doch die Zahlen der Betriebsentwicklungen machen deutlich, dass in der vergangenen Dekade täglich etwa zehn landwirtschaftliche Betriebe ihre Tore schlossen. Neben anderen Ursachen ist auch eine fehlende Hofnachfolge Grund für die Aufgabe der Betriebe. Längst ist die innerfamiliäre Übernahme eines landwirtschaftlichen Betriebs keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Hofnachfolge ist in Deutschland nur bei 37 Prozent der Höfe mit Betriebsleiter*innen über 55 Jahren gesichert. Das heißt, dass bei knapp zwei Dritteln der Betriebe die Hofnachfolge noch nicht geklärt ist. Bei größeren landwirtschaftlichen Betrieben (bezogen auf die landwirtschaftliche Fläche) ist eine Hofnachfolge eher gesichert als bei kleineren, bei Haupterwerbsbetrieben ist sie wahrscheinlicher als bei Nebenerwerbsbetrieben. Die Beziehungen zwischen den Generationen spielen bei der Hofnachfolge eine bedeutende Rolle: eine gemeinsame Planung des Hofnachfolgeprozesses von Abgebenden und Übernehmenden fördert die Übernahmewahrscheinlichkeit durch die nachfolgende Generation. Es ist gut, dass sich für die Ausbildung neben den Hofnachfolger*innen aus der eigenen Familie immer häufiger auch junge Menschen entscheiden, die nicht auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen sind.

Ich bin als jüngstes von vier Kindern selbst auf dem Hof groß geworden. Rückblickend hat sich unser Hof stetig verändert. Bis Mitte der 1990er-Jahre hatten wir noch einen Mischbetrieb mit Milchvieh, Schweinemast und Ackerbau. Da damals bereits der Milchpreis nicht die Herstellungskosten deckte und mein Vater vor der Entscheidung stand, entweder einen neuen großen Kuhstall zu bauen oder den Fokus auf die Schweinemast zu legen, entschied er sich für Letzteres. Vor 20 Jahren kam der Bau einer Biogasanlage hinzu. Die Hofübergabe an meinen älteren Bruder stand vor knapp zehn Jahren an, wobei mein Vater nach wie vor aktiv in den Betrieb involviert ist. Immer schon interessiert an neuen Möglichkeiten, entschieden sich mein Bruder und mein Vater für den Aufbau einer Aquakultur. Mit viel Schweiß, Gehirnschmalz und einer großen finanziellen Investition läuft die Anlage seit Ende 2019, natürlich mit ganz eigenen täglichen Herausforderungen. Dies ist eins von vielen Beispielen, wie Landwirtschaft sich verändert und wie junge Menschen die Herausforderungen angehen.

In vielerlei Hinsicht ist hierzulande jeder landwirtschaftliche Betrieb einzigartig, zum Beispiel in seiner Bodenbeschaffenheit, seinen Kompetenzen oder der sozialen und natürlichen Umgebung. Damit gibt es keine einheitliche Lösung für alle Betriebe, um mit den Anforderungen und Zielkonflikten der heutigen Zeit umzugehen. Dennoch steht für uns als Katholische Landjugendbewegung Deutschlands (KLJB) fest, dass natürliche Ressourcen wie Boden, Wasser, Luft sowie die biologische Vielfalt die wichtigsten Grundlagen der Ernährungs- und Landwirtschaft sind. Ein nachhaltiger Umgang mit diesen Ressourcen ist essenziell. Ebenso muss aber auch festgehalten werden, dass wir ohne eine vielfältige, breit aufgestellte und zukunftsorientierte Landwirtschaft mit dynamischen und jungen Landwirt*innen nicht überleben können. Deshalb müssen die Strukturen so geschaffen sein, dass Betriebe rentabel agieren und Landwirt*innen eine langfristige Zukunftsperspektive entwickeln können. Ebenso spielt auch ein planungssicherer politischer Rahmen eine Rolle, der auch globale Auswirkungen und unsere Verantwortung dafür nicht aus dem Blick verliert.

Viele Facetten

Durch einen umfangreichen Beschluss unserer Bundesversammlung, dem höchsten beschlussfassenden Gremium, haben wir für die vielen Facetten der Landwirtschaft konkrete Visionen, die ich wie folgt zusammengefasst habe: „Landwirt*innen sichern mit dem hiesigen Ackerbau nachhaltig die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, Futtermitteln und biogenen Rohstoffen. Die Vielfalt an Kulturpflanzen auf den Äckern hat wieder deutlich zugenommen, es gibt ein aktives Bodenleben, und die Düngung orientiert sich an dem Nährstoffbedarf der jeweiligen Kulturpflanze. Tierzucht und Tierhaltung sind wichtige Standbeine der deutschen Landwirtschaft und werden im Sinne der Mehrnutzung und Komplettverwertung umgesetzt. Den hohen Anforderungen an das Tierwohl werden die Landwirt*innen in ganz Europa durch die Maßgabe ‚Qualitäts- statt Mengenwettbewerb‘ gerecht. Sonderkulturen wie Gemüse-, Obst- und Weinbau tragen u. a. durch eine vielfältige Strukturierung der Lebensräume (Biotop-Vernetzungen) zur Steigerung und zum Erhalt der Artenvielfalt bei (zum Beispiel durch Heckensysteme). Die Nutzung von Bioenergie bietet eine Möglichkeit der Energieerzeugung aus regenerativen Rohstoffen, und Landwirt*innen tragen durch die emissionslose bzw. emissionsarme Erzeugung von Wind- und Solarenergie zur Energiewende bei. Lebensmittel werden als hohes Gut gesehen und landen nur selten in der Tonne. Vor allem die gestiegenen Produktionskosten spiegeln sich im Endverbraucher*innen-Preis wider. Handelsunternehmen, Lebensmittelverarbeitende Betriebe und Landwirt*innen agieren Hand in Hand und nach einer fairen Preispolitik. Die Digitalisierung fördert eine standortangepasste und tierwohlbezogene Landwirtschaft. Digitale Programme verarbeiten alle verfügbaren Daten aus Satellitenbildern, Tierkameras und Nährstoffuntersuchungen und stellen so dem*der Landwirt*in wichtige Entscheidungshilfen ohne Verletzung der Datenhoheitsrechte zur Verfügung. Durch klar regulierte Risikoanalysen bei Züchtung und Gentechnik wird ein negativer Einfluss auf das gesamte Ökosystem so klein wie möglich gehalten. Ebenso klar geregelt ist die Verwendung der Entwicklungen, sodass sowohl für Unternehmen als auch für landwirtschaftliche Betriebe jeglicher Größe keine wirtschaftlichen Nachteile entstehen und Produzent*innen auf der ganzen Welt Zugang zu verfügbaren Technologien haben. Durch klimabewusste Maßnahmen, Handlungen und Anbaustrategien leistet die Landwirtschaft nicht nur vor Ort einen wichtigen Beitrag für den Naturschutz, sondern trägt auch einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen bei. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) schafft durch die faire Entlohnung von Landwirt*innen für ihre natur-, umwelt- und tierwohlbasierten Leistungen ausreichend Anreize, um Klima, Boden und Biodiversität zu schützen. Gleichzeitig begünstigen die Subventionen nicht den Export von Lebensmitteln in Länder des Globalen Südens, damit negative Auswirkungen auf nationale Märkte vermieden werden.“ (Siehe: https://www.kljb.org/download/13530)

Als KLJB bringen wir uns politisch ein, vernetzen uns mit anderen landwirtschaftlichen Verbänden und Verbänden aus dem Natur- und Umweltschutzbereich und ergreifen die Stimme für junge Menschen, um unter anderem für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen. Ein besonderer Fokus der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP), einem wichtigen (Förder-)Instrument der Landwirtschaft, muss auf der Förderung junger Landwirt*innen liegen, um dem Strukturwandel vorzubeugen. Die Landwirtschaft muss für junge Menschen attraktiv sein und bleiben. Anreize für frühzeitige Hofübergaben geben Planungssicherheit für nachfolgende Generationen. Auch ein außerfamiliärer Einstieg für Junglandwirt*innen in die Landwirtschaft muss monetär möglich und interessant sein. Hervorzuheben ist auch die Bedeutung von vitalen Höfen für die ländlichen Räume, denn sie sind Motoren einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung.

Auch die KLJB hat ihre Wurzeln in der Landwirtschaft, wurde sie doch 1947 aus der Bauernjugend heraus gegründet. Deshalb ist die Landwirtschaft in der KLJB schon immer ein Thema. Auch wenn heute, begründet durch den Strukturwandel, weniger Mitglieder direkt in der Landwirtschaft arbeiten, haben wir dennoch eine enge Verbindung hierzu. Wir leben auf dem Land, und Äcker und Wiesen werden durch die Landwirtschaft erhalten und gestaltet. Viele Betriebe existieren seit mehreren Generationen und weisen eine tiefe Verwurzelung in der Region auf. Landwirt*innen fühlen sich für ihr Dorf verantwortlich und tragen durch vielfältiges Engagement zur Vitalität der ländlichen Räume bei, indem sie sich beispielsweise in Kirchengemeinden, Vereinen und der kommunalen Selbstverwaltung einbringen. Und das sehen wir auch in der KLJB. Viele Aktionen unserer Mitglieder wären ohne die Hilfe und Mitwirkung von Landwirt*innen gar nicht möglich – sei es etwa durch die Bereitstellung von einer Scheune für eine Fete oder durch die Unterstützung mit Treckern und Hängern beim jährlichen Tannenbaumsammeln.

Als katholischer Landjugendverband beschäftigen uns aber nicht nur die Veränderungen in der Landwirtschaft, sondern auch die in der katholischen Kirche. Die jüngsten Austrittszahlen zeigen deutlich, dass Kirche immer weniger in der Lebensrealität (junger) Menschen vorhanden ist. Zumindest die Amtskirche als solche wird immer mehr in Frage gestellt. Denn in der KLJB merken wir, dass Räume für Glauben und Gemeinschaft gebraucht und auch gesucht werden. In unseren Ortsgruppen steht das Aufrechthalten von Traditionen wie die Ausrichtung eines Osterfeuers oder das Binden einer Erntekrone für das Erntedankfest hoch im Kurs. Und hier schließt sich auch wieder der Kreis zur Landwirtschaft. Im Jahresverlauf gibt es ständig Überschneidungen zwischen Landjugend, Kirche und Landwirtschaft. Hieran möchten wir festhalten und versuchen, dies durch unsere Arbeit in der KLJB zu unterstützen. 

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Sarah Schulte-Döinghaus

Sarah Schulte-Döinghaus ist Bundesvorsitzende Katholische Landjugendbewegung Deutschlands (KLJB) e.V. in Bad Honnef.


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