Vor dem Ende Prävention

Assistierter Suizid in der Diskussion beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg
Kirchentag 2023
Foto: Kathrin Jütte
In seinem Grußwort zur Eröffnung des Kirchentages in Nürnberg wendet sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder gegen den assistierten Suizid.

Ein neues Gesetz zum assistierten Suizid soll in wenigen Wochen im Bundestag verabschiedet werden. Derzeit wird hinter verschlossenen Türen um Mehrheiten gerungen. Auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg wurden am Donnerstagabend die Positionen offen erörtert.

Die Debatte um den assistierten Suizid ist verstummt. Zumindest in der Öffentlichkeit. Auch wenn der bayerische Ministerpräsident Markus Söder nach dem Eröffnungsgottesdienst des Evangelischen Kirchentages in Nürnberg in seinem Grußwort wie nebenbei einstreut: „Ich bin gegen assistierten Suizid.“ Doch die Bundesparlamentarier gehen davon aus, noch vor der Sommerpause Anfang Juli Gesetzesentwürfe zur Abstimmung vorzulegen, das parlamentarische Verfahren läuft.

Dass diesem Zeitplan nicht alle zustimmen, ja, es für ein endgültiges Gesetzgebungsverfahren noch zu früh sei, darauf verweisen beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU Thomas Rachel und der Präsident der Diakonie Deutschland Ulrich Lilie. Sie fordern in einer Diskussion eine breite Debatte in der Öffentlichkeit und im Parlament. Rachel, der auch EKD-Ratsmitglied ist, beklagt, dass vor kurzem bei einer Expertenanhörung im Deutschen Bundestag nur eine kleine Gruppe von zehn bis 15 Prozent der Abgeordneten anwesend gewesen sei.

Wie also kann die Balance zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz gestaltet werden?

„Sie müssen als Gesetzgeber eine Einzelgerechtigkeit und eine Mehrheitsgerechtigkeit schaffen“, sagt Rachel. Für ihn betrifft das vornehmlich die Schwersterkrankten: „Das könnte beim assistierten Suizid ein Weg für mich sein.“

Für Diakoniepräsident Lilie darf es nicht um Gewinnmaximierung der Sterbehilfevereine in dieser Frage gehen. Gleichwohl muss die Vorstellung von einem guten Leben und einem guten Sterben ausbalanciert werden, ohne dass sich der Staat paternalistisch zeigt.  „Hilfe zum Leben und Hilfe im Leben“, heißt Lilies Motto. Das meint, ins Gespräch kommen mit Menschen über das Thema, den Suizid zu enttabuisieren. Aber vor allem: Mit den identifizierten Risikogruppen sprechen, mit jungen Menschen und mit älteren Männern vor dem Ruhestand. Dazu gehört auch, „dass wir unsere Altersbilder überprüfen“, sagt der evangelische Theologe.

Kirchentag 2023
Foto: Kathrin Jütte

Im Gespräch zum assistierten Suizid: Der CDU-Bundestagsabgeordnete und EKD-Ratsmitglied Thomas Rachel mit Diakoniepräsident Ulrich Lilie.

 

Im Hinblick auf das anstehende Gesetzgebungsverfahren heißt das: Es muss zum einen eine Regelung gefunden werden, die nicht erneut vom Bundesverfassungsgericht als unverhältnismäßig erklärt wird. Die aber auch nach Ansicht Lilies Verantwortung und Spielraum für Pfleger und Ärztinnen bietet.

Zum Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das Gesetz zur Suizidbeihilfe aus dem Jahre 2015 für unverhältnismäßig erklärt. Die Karlsruher Richter betonten, dass Sterbewilligen durch den Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches die „Möglichkeit einer schmerzfreien und sicheren Selbsttötung“ genommen werde. Die bis dahin geltende Regelung, die organisierte Suizidassistenz von Sterbehilfeorganisationen verboten hatte, erklärte das Gericht für nicht zulässig. Seitdem wird im Bundestag über eine mögliche Folgeregelung diskutiert. Mittlerweile liegen drei Entwürfe für ein neues Gesetz auf dem Tisch, die von fraktionsübergreifenden parlamentarischen Gruppen erarbeitet worden sind. Der parlamentarische Weg für ein neues Gesetz ist damit eröffnet (siehe auch zeitzeichen 9/2022).

Den derzeit, wie es heißt, „ungeregelten Zustand“ wollen die Parlamentarier also jetzt beenden und allen, die darauf warten, Rechtssicherheit geben. Das diese fehlt, sehen jedoch nicht alle Fachleute, Ethiker und Wissenschaftler so. Der frühere Ethikratsvorsitzende Peter Dabrock hatte Anfang Mai in einem Interview im Deutschlandfunk dafür geworben, auf das geplante Gesetz zur Regelung der Suizidassistenz zu verzichten. Sein Hauptargument: Nach dem Verfassungsgerichtsurteil habe es „keinen Dammbruch“ gegeben. Der evangelische Theologe befürchtet bei allen diskutierten Entwürfen eine sogenannte Verschlimmbesserung. 

Verschlimmbesserung befürchtet

Tags zuvor hatte der Erlanger Theologieprofessor gemeinsam mit seinem Münchner Kollegen Reiner Anselm und zwei weiteren Wissenschaftlern in einem umfänglichen Beitrag in der FAZ konstatiert, dass für eine bundesgesetzliche Regelung kein Bedarf bestünde. Die aktuelle Rechtslage biete genügend Spielraum. „Anstatt komplizierte Konstruktionen zu ersinnen, die die (juristisch sogenannte) Freiverantwortlichkeit bei einer Entscheidung für einen selbst gewählten Tod sicherstellen sollen und in der Folge erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen in flächendeckende Suizidassistenzberatung zu stecken, sollte dieses Geld primär in Suizidprävention sowie die Palliativ- und Hospizversorgung investiert werden“, fordern die Wissenschaftler in ihrem Beitrag.

Sie spielen damit auf die in allen parlamentarischen Entwürfen angelegte neu zu schaffenden Beratungsinfrastruktur und ein eigenes Gutachterwesen an, das über die Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsch befinden soll. „Die Fixierung auf gesetzlich festgeschriebene prozedurale Vorgaben dürfte einen Eigenlogik entwickeln, die in den Wunsch nach professioneller Unterstützung münden könnte“, heißt es in dem FAZ-Artikel. Damit dürfte das Gegenteil dessen bezweckt werden, was ein mögliches Gesetz erreichen soll.  „Normalisierung durch Bürokratisierung“ nennen die Wissenschaftler ihre Befürchtung. Ihre Kritik richtet sich gegen die drei Gesetzesentwürfe, die bewusst die Position derer schwächten, die Situation, Umfeld und Krankheitsverlauf der Patientinnen und Patienten am besten einschätzen könnten: die von Ärztinnen und Ärzten.

Dazu muss man wissen, dass auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil sowohl Ärztinnen und Ärzte in ihren Standesregelungen als auch die Wohlfahrtsverbände wie die evangelische Diakonie reagiert haben. Das heißt: Die Beihilfe zum Suizid ist berufsrechtlich nicht mehr verboten. Eine gesetzliche Reglementierung könnte die Position von Sterbehilfevereinen stärken. Diese Meinung vertritt das Autorenteam um Peter Dabrock. Das könne niemand wollen.

Aber auch hinter den verschlossenen Türen der Bundesparlamentarier wird um einen Kompromiss gerungen. Wie aus Kreisen um die drei Abgeordnetengruppen bekannt wurde, sollen sich jetzt die liberalen Parlamentariergruppen zusammengeschlossen haben, um einen ihrer Ansicht nach restriktiverem Entwurf entgegenzuwirken.

Da ist zum einen die Gruppe um die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (FDP), deren Entwurf eine Regelung außerhalb des Strafrechts vorsieht. Mit einem neu zu schaffenden Netz von Beratungsstellen sollen Sterbewillige ergebnisoffen beraten werden. Anschießend, nach frühestens zehn Tagen, sollten Ärzte Medikamente zu Selbsttötung verschreiben können.

Ringen hinter verschlossenen Türen

Ebenso wie dieser Entwurf ist auch jener der Grünen-Politikerin Renate Künast außerhalb des Strafrechts aufgebaut. Allerdings weist er eine deutliche Differenzierung auf, nach welcher der Tod nur angesichts einer schweren todbringenden Krankheit oder anderen Gründen hin erfolgen solle. In der kommenden Woche sollen Einzelheiten bekanntgegeben werden, inwieweit sich die fraktionsübergreifenden Abgeordneten dieser Entwürfe auf einen gemeinsamen einigen können.

An das Strafrecht angelehnt ist der fraktionsübergreifende Gesetzentwurf des SPD-Abgeordneten Lars Castellucci. Nur unter strengen Bedingungen wie unter anderem die zweifache ärztliche Begutachtung soll der assistierte Suizid erlaubt werden. Diese Gruppe spricht sich zudem für ein erneutes Verbot der organisierten, sogenannten geschäftsmäßigen Suizidassistenz aus.

Ob der Deutsche Bundestag in der ersten Juliwoche über die Gesetzentwürfe entscheiden wird, ist fraglich. Thomas Rachel und Ulrich Lilie jedenfalls sind sich in Nürnberg an diesem Punkt einig: Bevor es zu einer gesetzlichen Regelung kommen sollte, müsse ein Präventionsgesetz erlassen werden. Dass das Geld kostet, um die flächendeckende Palliativversorgung in Deutschland auszubauen, ist auch klar. Denn am Ende muss die Lebensqualität verbessert werden.

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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