Ich liebe die Nordsee, nicht übermäßig weit von ihr bin ich aufgewachsen. Frische Nordsee-Krabben, mein Gaumen ist süchtig danach. Und dankenswerter Weise gibt es die Nordsee in jeder Stadt und in etlichen Autobahnraststätten. Das Nordsee-Restaurant. Tausendmal gesehen und tausendmal ist nichts passiert, und dann hat mein Hirn wums gemacht: Das Restaurant wirbt mit unserem urchristlichen Symbol. Mit dem Fisch. (Dürfen die das?)
Im Griechischen heißt Fisch ICTHYS. Im Original ἰχθύς, ein Akronym: ΙΗΣΟΥΣ: ΧΡΙΣΤΟΣ-ΘΕΟΥ–ΥΙΟΣ–ΣΩΤΗΡ Das ergibt: Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser. Knapper kann man ein Bekenntnis nicht fassen. Zwei Halbbögen, die sich vorne treffen und hinten überschneiden. Fertig. Als Erkennungszeichen schnell in den Sand zu zeichnen und ebenso schnell wieder auszulöschen, um damals in Zeiten der Christenverfolgungen keine Spuren zu hinterlassen. Irgendwann wurde dieses Symbol im Ranking ersetzt und landete dann schließlich auf Speisekarten und Leuchtreklamen.
Schandholz als Siegesholz
Die Historiker sind sich noch milde uneins, wann das Kreuz präzise zum zentralen Symbol aufstieg, wann also das Schandholz umgewidmet wurde. Leicht erodierte Erinnerungen geben als Datum den 28.Oktober 312 an, die Schlacht an der Milvischen Brücke. Der (Unter)Kaiser Konstantin soll eine Vision erhalten haben: In hoc signo vinces. In diesem Zeichen wirst du siegen und den Usurpator Maxentius aus Rom vertreiben. So geschehen. Der Biograph Konstantins, Bischof Eusebius von Caesarea, hat alles dafür getan, dieses Datum festzuschreiben. Aus dem Schandholz wird ein Siegesholz. Die Konstantinische Wende.
Nur zur Erinnerung: Konstantin, der auch das Konzil von Nicäa einberief, ließ sich, wenn überhaupt, dann auf dem Totenbett taufen. Zeitlebens hat er für Sol invictus Sympathie gezeigt und wahrscheinlich in der Streitfrage zur Christologie, ob Christus mit Gott wesensgleich oder nur wesensähnlich (Arius) sei, eher für Arius votiert. Nicht zufällig hat er 327 Arius erneut in die Christengemeinschaft aufgenommen.
Gewalt und Gewaltverzicht
Heute, ohne die ganze Geschichte erzählen zu können, steht das Kreuz gleichermaßen für Gewalt und Gewaltverzicht. Es steht für den Tod des Folteropfers Jesus Christus und es ist zugleich Bild von Gewaltverzicht, denn der sterbende Christus sagt bekanntlich: „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht was sie tun.“ (Lukas 23,34) Mit diesem Satz ruft er auch seine Anhänger dazu auf, auf Rache zu verzichten. Damit wiederholt er eine Einsicht, die bereits in der Kain- und Abel-Erzählung niedergelegt ist, denn dort zeichnet Gott Kain ein Kainsmal auf die Stirn, das als Rachestopper für Dritte gilt. Die Spirale der Gewalt muss unterbrochen werden.
Auch dafür steht das Kreuz: Jesu Christi Tod erlöst von dieser Rachegewalt. Und unsere Aufgabe ist zu lernen, wie die Genese von Gewalt entsteht, um künftige Gewalt zu verhindern. Auch in dieser Hinsicht stellt bereits die Kain- und Abel-Geschichte exemplarisches Übungsmaterial zur Verfügung.
Am Mittwoch, auf dem Weg zum Geburtstag eines Enkels und zum Osterfest in Berlin, werde ich einen kleinen Stopp in einer Raststätte machen, die mit einem stilisierten Fisch wirbt.
Klaas Huizing
Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.