Langer, dunkler Schatten

Diffamieren, um zu eliminieren. Die Strategie des Constantin Gröhn
Mehrere Tausend Menschen haben am Samstag (14.01.2023) in Luetzerath (Kreis Heinsberg) fuer den Erhalt des von der Abbaggerung durch den Braunkohletagbau betroffenen Ortes demonstriert.
Foto: epd/Meike Boeschemeyer
Mehrere Tausend Menschen haben am Samstag (14.01.2023) in Lützerath (Kreis Heinsberg) für den Erhalt des von der Abbaggerung durch den Braunkohletagbau betroffenen Ortes demonstriert.

Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte der Hamburger Theologe Constantin Gröhn einen Beitrag, in dem er die Äußerungen von drei Theologen zum Thema Kirche und Klima – unter anderem in zeitzeichen – scharf kritisierte. Einer der Angesprochenen, der Bochumer Systematische Theologe Günter Thomas, weist die Kritik entschieden zurück.

Welch ein Erfolg! Endlich sind sie publizistisch und intellektuell festgesetzt, die drei Verschwörer Frisch, Thomas und Körtner. Dem theologischen Referenten für Diakonie und Bildung in Hamburg, Constantin Gröhn, ist vor ein paar Tagen dieser Coup gegen die „Wiederholungstäter“ gelungen – mit seinem Beitrag „Bedenkliche Bilder“. In der Metaphorik nicht mehr ganz korrekter Wildwestliteratur formuliert: Der Verteidiger seines öko-politischen Territoriums hat die Skalps dreier theo-politischer Eindringlinge erbeutet. Dass sie von alten weißen Männern und obendrein von Professoren stammen, überrascht wenig, schmälert den Triumph aber nicht. Im Gegenteil.

Man könnte Gröhns Artikel als eine Posse im rapide schrumpfenden protestantischen Biotop abtun, wenn er nicht deutlich mehr offenbaren würde – nämlich ein im Kern totalitäres Denken. Dieses totalitäre Denken und Schreiben ist durch drei Elemente charakterisiert:

Erstens: In der Beschäftigung mit dem theo-politischen Gesprächspartner wird nicht die Auseinandersetzung mit dem Gesagten, sondern die moralische und politische Disqualifizierung des Sprechers gesucht. Die Attacke gilt nicht dem Inhalt, sondern der Person.

Zweitens: Die Disqualifizierung erfolgt durch das so lockere wie willkürliche Streuen und in den Raum Stellen von diskriminierenden Assoziationen. Damit wird ein Framing erzielt, durch das am Ende immer etwas hängen bleibt. Anders gesagt: Sind die Asso­ziationspfade lange genug durch Wiederholung eingetrampelt, bleiben sie weithin sichtbar und werden sie immer wieder begangen werden.

Drittens: Ziel der Streuung diffamierender Assoziationen und des beschriebenen Framings ist es, Personen aus dem Diskurs zu kegeln, also öffentlich diskursiv zu eliminieren. Am Ende sollen bzw. müssen alle moralisch und politisch Einsichtigen und Integren den Kontakt mit der Unperson meiden, die somit ausgeschaltet ist.

Vorsätzlich missachtet

In diesem totalitären Denken und Schreiben wird die Unterscheidung von Werk und Person, die eine gute reformatorische Theologie, ein humanes Rechtssystem, eine funktionierende Demokratie und nicht zuletzt einen demokratieförderlichen Journalismus diesseits des Revolverblatts auszeichnen, bewusst, ja vorsätzlich missachtet.

Mancher mag sich an dieser Stelle fragen: Ist dieser harsche Vorwurf gegen Constantin Gröhn nicht maßlos überzogen und seinerseits Teil des Spiels der Provokationen in einem Medium, das nicht zuletzt von Provokationen lebt? – Keineswegs, wie ein kurzer Blick auf einige der mit politischen Interessen lancierten Assoziationspfade, die – physikalisch gesprochen – sämtlich Kurzschlüsse sind.

Der religionssoziologische Verweis auf die Grenze des Humors in der Gegenwart wird Gröhns Beitrag „Bedenkliche Bilder“, aus dem die folgenden Zitate entnommen sind, einfach so zusammenassoziiert mit Donald Trump, dem Instagram-Account CSU.me­mes und Texten der AFD. Die Bemerkung zur Naturmystik wird in Verbindung gebracht mit Ideen von Jonas Glaser in Compact. Der Verweis auf eine Bullerbü-Romantik – ein Gemeinplatz der Baby-Boomer – wird mit einem Text der Hamburger AfD-Fraktion zusammenphantasiert. Ulrich Körtners Verweis auf Ernst Troeltschs Modell der Sekte „erinnert an die Kampfschriften gegen die Weimarer Republik“, und dies ist ja doch irgendwie „zeitlich nah“ an Naziliteratur.

„Zerstreuung und Verwirrung“?

Die selbstverständlich ohne Literaturverweise angeführten Hinweise und Beispiele in den zugrundeliegenden Veröffentlichungen dienen, so Gröhn, nur „der Zerstreuung und Verwirrung, um potentielle Gegenargumente zu entkräften“. „So bleiben fragwürdige Aussagen im Raum stehen und können ihre Wirkung entfalten.“

Das sind erstaunliche Mutmaßungen! Für wie intellektuell unselbstständig hält Constantin Gröhn die Leserinnen und Leser der Texte auf zeitzeichen.net eigentlich, dass er sie paternalistisch vor Günter Thomas zu schützen müssen meint? Und zwar offenbar deshalb, weil Gröhn eine auch in Kirchen zu findende „Nähe zu Verschwörungstheorien“ wittert, die ja unlängst „Matthias Pöhlmann in seinem Buch „Rechte Esoterik“ nachgewiesen hat.

Auch hier wieder die Suggestion einer „Nähe“ – ohne jeglichen Nachweis, ohne jeglichen Beleg. Und vor allem ohne jegliches Argument. Das bedenkliche Raunen allein genügt. Und natürlich übersieht Gröhn geflissentlich, dass ich den menschengemachten Klimawandel mit keinem Wort leugne und es mir nicht im Traum einfiele, mich gegen sinnvolle Maßnahmen zu dessen Eindämmung auszusprechen. Gröhn erklärt meine Anfragen umstandslos als „Klimadesinformation“, „die komplexer geworden ist und sich von offener Leugnung zu erkennbaren Diskursen der Verzögerung entwickelt hat.“ Das Stichwort ist gefallen, die gedankliche Verbindung gesetzt. Günter Thomas ist ein Klimaleugner. Quod erat demonstrandum.

Explizit mit NS-Ideologie „zusammenassoziiert“

Meine Überlegungen zum Kampf für das Leben und gegen das Leben waren im Kontext des Kampfes um das Leben auf den Intensivstationen während der Corona-Zeit und der ersten Impfkampagnen verortet. Im Blick auf diesen biologisch-medizinischen Zusammenhang schrieb ich seinerzeit: „Jede Nadel einer Corona-Impfung injiziert die Einsicht mit: Gott ist nicht einfach ein Freund des Lebens. Wer so denkt, macht ihn zum Dämon. Gott ist auch ein Feind des Lebens – des bedrohenden und chaotischen, als Nacht und Zerstörung hereinbrechenden Lebens. Gott ist ein Feind manchen biologischen Lebens zugunsten heilvoll gelingenden biologischen Lebens – von Menschen und anderen Geschöpfen.“

Wenn Constantin Gröhn diese Äußerung nun explizit mit „der NS-Ideologie“ zusammenassoziiert, dann hat er meinen Gedankengang entweder einfach nicht erfasst oder es geht ihm darum, die Grenze zum Boshaften willentlich zu überschreiten. Gröhns Deutung ist angesichts des aufopfernden Kampfes des Pflegepersonals und der Ärzte entweder nicht sorgfältig genug, also töricht oder grenzenlos zynisch. Ich hoffe, Ersteres.

Wes Geistes Kind Constantin Gröhn ist, zeigt sich unverblümt dann, wenn all die Fragen etwa zu politischen Güterabwägungen, zur Eingriffstiefe in Naturzusammenhänge, zur Ambivalenz der Natur etc. imaginativ eingereiht werden in die besagte „Strategie der Verzögerung“. „(M)it ökologisch nicht zielführenden Ideen, verunsichernden Fragen, künstlich kreierten Dilemmata und immer wieder neuen, vermeintlichen Hindernissen“ sollen die Ausführung der ökologischen Agenda Gröhn zufolge verzögert werden. Gröhn unterstellt mir also explizit einen „Kulturkampf mit polemischer ‚Streumunition‘“.

Für vogelfrei erklärt?

Man darf sich die Augen reiben! Wer pointierte Fragen stellt und die Dinge konsequent zu Ende zu denken versucht, wirft mit „‘Streumunition‘“?! Diese Unterstellung macht jeden unbequem, ungemütlich und unerbittlich Fragenden zum öko-theologischen Kriegsverbrecher. Und wenn einer ein ökologischer Kriegsverbrecher ist, dann darf man ihn diskursiv für vogelfrei erklären und dann sind offenbar alle Mittel recht, um ihn zu stoppen.

Dass Constantin Gröhn meine Texte in die Nähe der extremen Rechten, Covid und einer „neue[n] Front“ rückt, was ihn an den „rechtspopulistischen Kulturkampf“ erinnert, ohne dass er sich die Mühe machen würde, Argumente zu verstehen und auf Argumente mit Gegenargumenten zu reagieren, zeigt, dass es ihm eben nur darum geht, mit politischem Schmutz zu werfen. Und das Werfen von politischem Schmutz gegen die Person scheint, wenn der Schmutz für die Schlammschlacht nur von den richtigen Händen und von der richtigen Gesinnung geformt wird, die sich um keine Argumente mehr bemühen muss, sondern gelassen denunzieren kann, keiner Begründung zu bedürfen. Dass die „Klimadesinformationen“ auf zeitzeichen.net zufällig in zeitlicher Nähe zur 11. Vollversammlung des Weltkirchenrates und zur Flutkatastrophe in Pakistan veröffentlicht werden, wird in Gröhns Bedenken irgendwie zeitmagisch zusammengefühlt. Irgendwie muss dies einfach ein tief blicken lassendes Zeichen für die fehlende moralische Integrität dieses Autors sein.

Was Constantin Gröhn immer wieder vorführt, könnte man als Metaphernschnüffelei bezeichnen. Etwa dort, wo er in einer sprachpolizeilichen und uninformierten Anmaßung schon des Metaphernfeld des Virus schlicht als rechts und als „(a)ntisemitische Tradition“ detektiert. Mehr braucht es nicht, um zu diskreditieren, zu diffamieren und jemanden in die rechte Ecke zu stellen. Es genügt, „Bilder und Formulierungen“ von Thomas, Körtner und Frisch für „bedenklich“ zu halten, um sie als Diskursteilnehmer auslöschen zu wollen.

„Milde, wohlwollende, repressive Toleranz“

So hält Gröhn der Redaktion von zeitzeichen.net angesichts der drei notorischen Diskurskriminellen stirnrunzelnd vor, dass sie da „mitspielt“. Und mit milder und wohlwollend repressiver Toleranz wird Stephan Kosch für seine redaktionsseitige Kritik gelobt. Hier handelt es sich um Cancel Culture nach dem Lehrbuch. Ich höre geradezu Franz Josef Degenhardt singen: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!“ Und zum Schmuddelkind wird man eben dadurch, dass man dem roten oder vielmehr dunkelgrünen Faden einer bestimmten politischen Agenda theologisch nicht folgt.

Mit herrschaftsfreiem Diskurs und Demokratie hat das alles wenig zu tun. Aber das Hadern mit der Demokratie scheint ein langer dunkler Schatten des Protestantismus zu sein. Wobei der Protestantismus in diesem Punkt mit sich selbst hadert und vielleicht doch lieber römisch-katholisch wäre, sich genauer gesagt nach einem – moralischen – Lehramt sehnt.

Diese Sehnsucht nach einer Kirche, die den Bürgerinnen und Bürgern misstraut und sie als Moralagentur belehrt, vielleicht sogar einer fürsorglicher Korrektur zuführen will, ist in Constantin Gröhns Texten unmittelbar greifbar. Der Grad der offenen Verachtung der Demokratie, die aus Gröhns Ausführungen spricht, die sich selbst offenkundig für alternativlos halten, ist durchaus bemerkenswert. Und so ist es das vielleicht größte Verdienst der Beiträge Constantin Gröhns, den demokratiefeindlichen totalitären Kern seines eigenen Denkens – unfreiwillig? – offen gelegt zu haben.

Natürlich ist diese Demokratiefeindlichkeit auch Theologiefeindlichkeit. Wer wie Frisch, Körtner und Thomas theologische, genauer gesagt genuin reformatorische Gesichtspunkte in die gegenwärtigen gesellschaftlichen und kirchlichen Debatten einzuspielen sucht, wird mit dem Verdikt der „theologischen Besserwisserei“ und der „Wahrheitsemphase“ nicht nur lächerlich gemacht, sondern politisch diskreditiert.

Keine Theologie. Nirgends

Damit schließt sich der Kreis. Denn es zeigt sich einmal mehr, dass Gröhns Denken überhaupt keine theologischen Argumente, geschweige denn Wahrheiten mehr kennt und gelten lässt, die nicht umstandslos in eine politische Agenda zu überführen wären. Das gilt für ihn selbst. Und das gilt aus seiner Sicht für seine theologischen „Feinde“. Theologie im prägnanten Sinne des Wortes scheint es nicht zu geben. Es gibt nur Politik. Man kann so denken. Man könnte aber auch einen kurzen Blick auf die Weltchristenheit und ihre Theologien richten und erkennen, wie lächerlich, wie anmaßend und wie reduktionistisch dieses Denken ist.

Nicht nur ich frage mich nun: Ist dieser totalitäre Geist zu fürchten? Bin ich ökoreligiophob? – Ja, selbstverständlich! Dieser Geist ist zu fürchten. Und es ist zutiefst vernünftig, es ist Christenpflicht und Demokratenpflicht, diesen Geist zu fürchten. Wer diffamierend gezielt gegen Autoren hetzt, Person und Werk nicht zu trennen bereit ist, kritische Fragen unverblümt unterbinden will und offen nach Zensur ruft, ist gefährlich. Max Frisch hat in „Biedermeier und die Brandstifter“ zu dieser Offenheit alles Notwendige gesagt. Auch wer Autoren durch das Legen falscher Assoziationspfade subtil delegitimiert, hetzt.

Und so folgt Constantin Gröhn am Ende meines Erachtens eben doch entschlossen der Logik von Carl Schmitt: Wer sich außerhalb des eigenen theo-politischen Territoriums bewegt, ist ein Feind. Mit Gegnern kann man sachlich streiten. Feinde sind zu eliminieren. Werfer von „‘Streumunition‘“ sind zweifelsfrei Feinde, nicht Gesprächspartner. Darum sind alle diskursiven Mittel erlaubt: Diffamieren, gezielt falsch assoziieren, um Sprecher aus dem Diskurs zu kegeln. Wer sich theo-politisch auf der Seite des Letzten und Letztgültigen wähnt, wird immer der Auffassung sein, sich diese Freiheit nehmen zu dürfen, ja, nehmen zu müssen. Und wer sich diese Freiheit nimmt, trägt das Seine dazu bei, den Geist des theo-politischen Totalitarismus aus der Flasche zu entlassen.

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