Während wir schlafen

Wenn Kunstlicht den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinander bringt
Unser Nachtschlaf läuft in unterschiedlichen, wiederkehrenden Phasen ab. Foto: dpa/
Unser Nachtschlaf läuft in unterschiedlichen, wiederkehrenden Phasen ab. Foto: dpa/
Schlafforscher haben festgestellt, dass Säuglinge über den Tag verteilt 17 Stunden und mehr schlafen. Jugendlichen genügen neun und Erwachsenen etwa acht bis sieben Stunden. Welche Bedeutung der Schlaf für das Wohlbefinden hat, erläutert der Wissenschaftsjournalist Reinhard Lassek.

Schlaf ist leicht erfahrbar, aber nur schwer zu beschreiben. Er ist ein hoch komplexes und in vielerlei Hinsicht widersprüchliches Phänomen. Die Erforschung unseres Ruhebedürfnisses hat daher bereits mehrere Generationen von Forschern buchstäblich um den Schlaf gebracht. Dabei ist Schlaf vor allem eine alltägliche Notwendigkeit: Rund ein Drittel unseres Lebens verschlafen wir.

Während einer geruhsamen Nacht verhalten wir uns jedoch allenfalls äußerlich weitgehend passiv. Körpertemperatur und Blutdruck etwa sind gedrosselt, andere Körperfunktionen hingegen laufen geradezu auf Hochtouren. Das gilt für das Immunsystem und die Zellregeneration sowie den allgemeinen Stoffwechsel inklusive dem Auffüllen diverser Energiespeicher. Insbesondere unser Zentralnervensystem verrichtet nachts Schwerstarbeit, indem es die Eindrücke des Tages verarbeitet und Gedächtnisinhalte festlegt. Schlaf ist also quasi ein reversibler Zustand der „äußeren“ Ruhe. Mit „innerer“ Ruhe – so Schlafforscher Jürgen Zulley – hat Schlaf jedenfalls kaum etwas zu tun: „Es ist ein Unruhezustand, in dem Prozesse des Regenerierens und Abspeicherns ablaufen. Wir sparen im Schlaf gerade einmal Energie im Gegenwert einer Toastbrotscheibe!“ Wenn uns Schlaf nicht in eine Art von Energiesparmodus versetzt, welche Bedeutung hat er dann?

Offenbar geht Schlaf mit der Entwicklung komplexer neuronaler Netzwerke einher. Der Unterschied zum bloßen Ruhen manifestiert sich erst bei Lebewesen, die eine Wirbelsäule haben – also bei Fischen, Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren. Wann, wo und wie geschlafen wird, hängt vom Entwicklungsstand sowie Lebensraum beziehungsweise von den jeweiligen Nahrungsressourcen ab. Messbar – und damit von anderen Ruhezuständen klar abgrenzbar – wird der Schlaf erst mit Hilfe der Elektroenzephalografie (EEG). Beim Ableiten elektrischer Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche ergibt sich nämlich für jede Art von Phase und Tiefe des Schlafs ein charakteristisches Wellen-Muster. Zudem ist über die Elektromyografie (EMG) auch noch die elektrische Aktivität der Muskulatur messbar.

Somnologen, also Schlafforscher und Schlafmediziner, haben festgestellt, dass Säuglinge über den Tag verteilt 17 Stunden und mehr schlafen. Jugendlichen genügen neun und Erwachsenen etwa acht bis sieben Stunden. Mit zunehmendem Alter erreicht die Dauer des Nachtschlafs nur noch sechs Stunden – Stichwort „senile Bettflucht“. Dass Genies mit weniger Schlaf auskommen als Normalsterbliche ist indes Unsinn: Napoleon etwa schlief täglich angeblich nur vier, Albert Einstein hingegen bis zu zwölf Stunden.

Die Chronobiologie, die sich mit den zeitlichen Gesetzmäßigkeiten im Ablauf von Lebensvorgängen einschließlich des Schlafs beschäftigt, kennt drei Schlaftypen: Unter zehn Schläfern findet man acht mit einen normalen Schlaf-Wach-Rhythmus, einen Frühaufsteher sowie einen Morgenmuffel. Neben den vielen Normalos gibt es also nur wenige „Lerchen“ und „Eulen“. Dafür existieren erbliche Vorgaben. Unser Schlafverhalten wird von etwa zehn verschiedenen Genen gesteuert. Die Summe der Unterschiede in den einzelnen Gen-Varianten macht dann den Schlaftypus. Entscheidend ist offenbar vor allem die Länge des so genannten Period3-Gens, das bei den „Eulen“ deutlich häufiger in einer verkürzten Version vorliegt als bei den „Lerchen“. Gewiss, wenn es die Umstände erfordern, können geborene „Lerchen“ durchaus ein „Eulendasein“ führen und umgekehrt, glücklich werden sie dabei wohl nur selten.

Von Eulen und Lerchen

Unser Schlafverhalten ist auf vielfältige Weise beeinflussbar. Und dabei geht es nicht nur darum, wie viel Zeit seit unserem letzten Nickerchen vergangen ist. Neben unseren Bewegungs- und Essgewohnheiten sind viele weitere Einflüsse feststellbar. Das Spektrum reicht da von den meteorologischen bis hin zu den sozialen Klimafaktoren. Doch wie müde oder wach wir gerade sind, darüber entscheidet letztendlich vor allem unsere innere biologische Uhr. Sie weist eine „circadiane“ Periodik auf – läuft also „rings um den Tag“ mit einer Periodenlänge von annähernd 24 Stunden. Unser Biorhythmus ist demnach ein Schlaf-Wach-Rhythmus, der sich in Anpassung an den Wechsel von Tag und Nacht (hell und dunkel) entwickelt hat. Jener von Esoterikern vom Zeitpunkt unserer Geburt her errechneter „Biorhythmus“ hat damit nichts zu tun.

Unser Körper hat indes mehr als nur eine biologische Uhr. Jedes Organ und sogar jede einzelne Zelle hat seinen eigenen Taktgeber. Es muss also eine übergeordnete Instanz zur Synchronisation der verschiedensten Rhythmen geben. Zuständig dafür ist der Nucleus suprachiasmaticus (SCN), ein kleines Hirnareal im Hypothalamus (einem Teil des Zwischenhirns). Zunächst registrieren spezielle Rezeptoren die im Auge ankommenden Lichtsignale und leiten ihre Information zum scn. Von dort aus wiederum wird die Information in sämtliche Körperregionen versendet, um die endogenen Uhren mit jener von der Erdrotation bestimmten Tag-Nacht-Rhythmik zu synchronisieren.

Unser Nachtschlaf läuft in unterschiedlichen, wiederkehrenden Phasen ab. Eingeleitet und kontrolliert wird solch ein Schlafzyklus durch die Ausschüttung diverser Hormone und Neurotransmitter. Sie aktivieren in den verschiedenen Schlafphasen jeweils unterschiedliche Hirnareale. Im Wesentlichen sind es drei Hirnregionen, die den Schlaf-Wach-Rhythmus steuern: Zwei Bereiche des Zwischenhirns, der Thalamus und Hypothalamus sowie ein Bereich des Hirnstamms, die Formatio reticularis – ein ausgedehntes, diffuses Neuronennetzwerk, welches vom verlängerten Rückenmark bis zum Zwischenhirn reicht.

Während wir schlafen, durchläuft der Körper vier bis sieben Schlafzyklen, wobei ein Zyklus normalerweise aus drei Phasen besteht: Leichtschlaf-, Tiefschlaf- sowie REM-Schlafphase (rem = rapid eye movements = schnelle Augenbewegungen). Hinzu kommen die Einschlaf- und Aufwachphase.

Die Einschlafphase wird vor allem durch das Hormon Melatonin ausgelöst. Ausgeschüttet wird Melatonin nur bei Lichtmangel und zwar hauptsächlich in der Epiphyse (Zirbeldrüse) – aber auch im Darm und in der Netzhaut des Auges. Nachts steigt die Melatoninkonzentration im Blut von Zyklus zu Zyklus an. Bei jüngeren Menschen kann sich der Ausgangswert verzwölffachen, bei älteren nur noch verdreifachen. Normalerweise wird das Maximum gegen drei Uhr morgens erreicht. Aber nicht nur die Melatoninwerte steigen an. Die Formatio reticularis schüttet zunehmend Hormone und Neurotransmitter wie Noradrenalin, Serotonin und Acetylcholin aus. Dieser Gute-Nacht-Cocktail führt schließlich zur Bettschwere. Beim Einschlafen kann es sodann noch sporadisch zu raschen unwillkürlichen Muskelzuckungen kommen. Das betrifft immerhin zwei von drei Schläfern, ist aber gesundheitlich unbedenklich. Manche dieser Einschlafzuckungen werden subjektiv als grelle Lichtblitze oder laute Geräusche wahrgenommen. Zuweilen kann sich auch ein Gefühl zu fallen oder zu stolpern einstellen.

Anders die Leichtschlafphase. Sie wird zumeist sehr schnell nach dem Einschlafen erreicht. Noch ist der Schläfer leicht wieder aufzuwecken. Die Leichtschlafphase ist ein Zwischenstadium: Alle Phasenübergänge sind denkbar – sowohl hin zum Tiefschlaf nebst REM-Schlaf, als auch wieder zurück zur Einschlafphase bis hin zum Aufwachen.

Die Tiefschlafphase (orthodoxer Schlaf oder auch Non-REM-Schlaf) ist von eher geringer Traumaktivität geprägt. Während der Non-REM-Phase kann es jedoch zu Schlafwandeln und Sprechen im Schlaf kommen. Im Laufe der Nacht nimmt die Schlaftiefe von Zyklus zu Zyklus zu. Es wird dann immer schwerer, in der Tiefschlafphase noch jemanden aufzuwecken. Dem Tiefschlaf folgt normalerweise eine REM-Phase – jener Schlafmodus, der durch schnelle, richtungslose Augenbewegungen unter geschlossenen Lidern gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zur Augenmuskulatur ist die Skelettmuskulatur völlig entspannt. Beim REM wird das Stresshormon Adrenalin vermehrt ausgeschüttet, so dass Atem- und Herzfrequenz sowie der Puls ansteigen.

Zudem ist das Hirn besonders stark durchblutet und zeigt hohe elektrische Aktivität. Die REM-Phasen einer Nacht summieren sich bei einem schlafgesunden Erwachsenen auf etwa 100 Minuten auf. Während der auffällig traumreichen REM-Phase laufen vermutlich jene Prozesse der Eiweißsynthese ab, die dafür sorgen, dass Inhalte des Kurzzeitgedächtnisses in das Langzeitgedächtnis überführt werden. Auch wenn wir uns zumeist nicht an unsere Träume erinnern: Ohne traumreichen Schlaf gibt es wahrscheinlich überhaupt keine dauerhaften Lernerfolge. Bei Erwachsenen geht der REM-Anteil bis zum 70. Lebensjahr auf etwa 20 Prozent zurück. Foeten und Neugeborene weisen indes einen REM-Anteil von deutlich über 50 Prozent auf. Offenbar gibt es einen engen Zusammenhang zwischen REM-Schlaf und Hirnreifung. REM-Mangel bei Kleinkindern führt jedenfalls zu Entwicklungsproblemen.

Leicht-, Tief- und REM-Schlaf wechseln einander in der Nacht beständig ab. Anfangs werden die Tiefschlafphasen immer länger, gegen Morgen hin dehnen sich sodann die rem-Phasen aus. Nach etwa sechs Stunden ungestörten Schlafs bereitet sich der Körper langsam wieder auf das Aufwachen vor. Die mit Sonnenaufgang aufkommende Helligkeit unterdrückt die Melatoninbildung. Gleichzeitig schüttet die Nebennierenrinde verstärkt das Stresshormon Cortisol aus, so dass Blutdruck, Herzfrequenz und Körpertemperatur bis zum Aufwachen ansteigen.

Wird die innere Uhr immer wieder ignoriert, so kommt es zu Tagesmüdigkeit, kognitiven Leistungseinbußen bis hin zu depressiven Verstimmungen. Das erfahren insbesondere Menschen, die von Schichtarbeit betroffen sind. Auch der „Jet-Lag“, unter dem viele Fernreisende leiden, verdeutlicht, wie sensibel unser Organismus auf Beeinträchtigungen des natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus reagiert.

Unsere künstlichen Lebenswelten – insbesondere das kalte, bläuliche Licht von Computerbildschirmen, Handydisplays und Energiesparlampen – sind in geradezu fahrlässiger Weise dazu prädestiniert, unseren natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinander zu bringen. Morgens ist blaues Kunstlicht überhaupt kein Problem – es entspricht dem erhöhten Blauanteil des vormittäglichen Sonnenlichts und muntert uns somit weiter auf. Abends jedoch, wenn der Körper sich hormonell auf Ruhe einstellt, hält blaues Licht uns künstlich wach beziehungsweise beeinträchtigt die Einschlafphase. Das EEG weist dabei auch Schlafstörungen nach, die mitunter von den Betroffenen noch gar nicht als solche wahrgenommen werden. Dazu Schlafforscher Zulley: „Wenn man Versuchspersonen beim Zähneputzen mit gelben oder blauem Licht bestrahlt, reagieren letztere mit Schlafstörungen.“

Es ist schon so manche Steuermillion geflossen, um etwa die Zusammenhänge von blauem Licht und schlechtem Schlaf zu erforschen. Werden diese Erkenntnisse weiterhin ignoriert, könnten die Folgeschäden dem Gesundheitssystem mithin Milliarden kosten. Dabei ist gesunder Schlaf in jeder Hinsicht viel zu kostbar, um ihn etwa durch administrativ verordnete Leuchtmittel systematisch zu stören.

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Reinhard Lassek

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