Katze im Sack
"You cannot have the cake and eat it" heißt es in England: "Man kann den Kuchen nicht essen und ihn gleichzeitig behalten.” Genau das aber versucht der im Juni veröffentlichte EKD-Grundlagentext "Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive". Einerseits will er an einen Gott glauben, der der Gott aller Menschen ist (Seite 19f, die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf den EKD-Grundlagentext) und dessen Geist daher auch in den anderen Religionen "authentische Formen der Spiritualität" hervorbringt (30). Andererseits verwirft der Text aber zugleich die Überzeugung, dass die verschiedenen Religionen in einer "Grundbeziehung zu einer letzten, allen Religionen gleichermaßen transzendenten Wirklichkeit" stehen (30f). Selbst die Vorstellung, dass Juden, Christen und Muslime an denselben Gott glauben, lehnt er ab (22) und tituliert diesen Gedanken als "leere Abstraktion" (64f). Doch das sind genau die beiden gegensätzlichen Standpunkte, zwischen denen sich Christen heute entscheiden müssen, wenn sie die Vielfalt der Religionen theologisch deuten wollen: Entweder bezeugt sich jene letzte Wirklichkeit, die Christen "Gott" nennen, auf authentische Weise auch in den anderen Religionen oder die anderen Religionen haben es nicht mit derselben göttlichen Wirklichkeit zu tun, sondern eben mit Götzen. Beides zugleich kann man aus Gründen der Logik nicht vertreten, auch nicht die Theologische Kammer der EKD: "You cannot have the cake and eat it."
Die exklusivistische Auffassung, dass es andere Religionen nicht mit dem wahren Gott zu tun haben, wird traditionell vor allem damit begründet, dass sich Gottes erlösende Gnade nur in Christus geoffenbart habe und nur in der Annahme Christi wirksam werde: "Denn die außerhalb der Christenheit sind, seien Heiden, Türken, Juden oder falsche Christen und Heuchler, mögen zwar nur einen wahrhaftigen Gott glauben und anbeten, aber sie wissen doch nicht, wie er gegen sie gesinnt ist. Sie können von ihm auch weder Liebe noch etwas Gutes erhoffen; deshalb bleiben sie in ewigem Zorn und Verdammnis. Denn sie haben den Herrn Christus nicht", formuliert es noch völlig unverblümt Martin Luther in seinem Großen Katechismus.
Zutiefst widersprüchlich
Der exklusivistische Standpunkt, wie er sich in einem Teil des neuen EKD Papiers findet, argumentiert geschickter, verdeckter, "postmoderner", wenn man so will, aber in der Sache nicht wirklich anders. Dass Christen und Menschen anderer Religionen sich nicht auf dieselbe göttliche Wirklichkeit beziehen, wird hier damit begründet, dass sich ihre Vorstellungen von dieser Wirklichkeit unterscheiden. Juden und Muslime denken Gott, im Unterschied zu Christen, nicht trinitarisch und lehnen die Inkarnationsvorstellung ab (66, 72, 74). Buddhisten kennen den Gottesgedanken überhaupt nicht in einer theistischen Form (23). Solche Unterschiede gelte es jedoch zu respektieren. Tue man das nicht, so werde man weder der Andersheit des religiös Anderen gerecht, noch der religiösen Vielfalt als solcher (65 und öfter). Es ist allerdings die alte exklusivistische Katze, die sich in diesem differenzhermeneutischen Sack verbirgt. Denn warum sollte derjenige die Andersheit des anderen nicht anerkennen oder weniger anerkennen, der davon ausgeht, dass es sich hierbei um die Andersheit und Vielfalt menschlicher Gottesvorstellungen handelt? Vorstellungen, die sich unbeschadet ihrer Verschiedenheit, dennoch auf die eine transzendente Wirklichkeit beziehen können, da diese jede menschliche Vorstellung übersteigt. Das Dokument verwirft ein Modell religiöser Vielfalt, wonach dieser Vielfalt perspektivisch verschiedene Wahrnehmungen derselben Wirklichkeit zugrunde liegen (60-62), obwohl es an anderer Stelle genau diese Perspektivität bekräftigt(32-34). Es ist in dieser zentralen Frage ein zutiefst widersprüchlicher Text.
Nachdem ein Teil des Dokuments die Möglichkeit verwirft, dass sich in den unterschiedlichen Gottesvorstellungen die eine göttliche Wirklichkeit bezeugt, zieht es den Schluss, dass in den Religionen eben jeder "zu seinem Gott" bete, wie es im Rückgriff auf das Buch Jona heißt (53). Doch was besagt dann diese Aussage? Man wird wohl nicht annehmen dürfen, dass hiermit ein neuer Polytheismus eingeführt werden soll. Wenn es nicht wirklich viele verschiedene Götter gibt, sondern nur einen einzigen Gott, und wenn nur der christliche Gott dieser einzige Gott ist, was sind dann die "Götter" der anderen? Verwirft man die Möglichkeit, dass es sich dabei um unterschiedliche Vorstellungen und Wahrnehmungen des einen Gottes handelt, dann wird mit dieser Aussage im Klartext gesagt: Christen beten zum wahren Gott, all jene, die sich Gott anders denken, beten zu falschen Göttern. Da es aber keine falschen Götter gibt, beten sie gar nicht zu Gott, sondern - traditionell gesagt - zu Götzen. Das ist die unvermeidliche Konsequenz, wenn man den Satz verwirft, Juden, Christen und Muslime glaubten an denselben Gott.
Der Gott Jesu
Doch gegen diesen klassischen Exklusivismus, wie ihn die christliche Tradition in großen Teilen vertreten hat, gibt es heute viele Einwände. Im Kontext des postmodernen Gewandes, in dem er im EKD-Dokument begegnet, verdient ein Gegeneinwand besondere Aufmerksamkeit: Wenn die Unterschiede im Gottesbild, besonders jene hinsichtlich des Trinitäts- und Inkarnationsglaubens, die Auffassung begründen, man habe es nicht mit demselben Gott zu tun, wie steht es dann um den Glauben Jesu selbst? Nahezu jeder neutestamentliche Exeget wird heute einräumen: Jesus glaubte weder an einen trinitarischen Gott, noch hielt er sich für die Inkarnation der zweiten Person eines trinitarischen Gottes. Wenn aber geschlussfolgert wird, dass Juden und Muslime aufgrund ihrer Haltung zu Trinität und Inkarnation nicht an denselben Gott glauben wie Christen und damit eigentlich gar nicht an den wahren Gott, dann müsste man diesen Schluss wohl auch für Jesus selber ziehen. Die Annahme, dass Jesus an einen falschen Gott glaubte, Christen hingegen an den richtigen, dürfte allerdings kaum das sein, was den Autoren des EKD-Textes vorschwebt. Solch absurde Konsequenzen führen jedoch die Unhaltbarkeit dieser Argumentationslinie deutlich vor Augen.
Spätestens an dieser Stelle wird man mir entgegnen, es komme doch darauf an, sehr viel genauer, mit ausgeprägtem historischen Bewusstsein und mit viel hermeneutischer Sensibilität herauszuarbeiten, in welcher Weise sich Inkarnationsglaube und der daraus hervorgehende Trinitätsglaube als eine berechtigte Interpretation Jesu verstehen lassen, die weder den Monotheismus aufgeben, noch einen Menschen vergöttlichen will. In der Tat - genau so muss man mit historisch gewachsenen dogmatischen Aussagen verfahren. Aber dieselbe Sensibilität ist dann auch an die Theologien und Vorstellungswelten anderer Religionen anzulegen. Tut man dies, dann können und müssen die vorhandenen Unterschiede nicht mehr als Argument für eine exklusivistische Haltung verzweckt werden, wie dies in einem Teil des Dokuments geschieht. Gerade das Verhältnis zum Judentum kann in seiner theologischen Komplexität für die Kirche zum Ausgangspunkt werden, von dem her "sie die Situation des religiösen Pluralismus insgesamt bewertet und versteht" (75). Doch genau diesen Weg schlägt das Dokument in weiten Teilen nicht ein, sondern isoliert das Verhältnis zum Judentum als einen Spezialfall.
Leonard Swidler, einer der bedeutenden Pioniere des interreligiösen Dialogs, formulierte einst in der sechsten seiner zehn Grundregeln für den Dialog: "Jeder Teilnehmer muss den Dialog ohne unveränderliche Annahmen in Bezug auf Meinungsverschiedenheiten beginnen." Hinter dieser Regel steht die Einsicht, dass Menschen unterschiedlicher Religionen in der Vergangenheit die Verschiedenheit ihrer Bekenntnisse häufig als Gegensätze konstruiert haben, um sich schärfer voneinander abzugrenzen. Die Behauptung der exklusiven Wahrheit der eigenen Religion sollte dadurch gestützt werden, dass man jede Abweichung von der Formulierung des eigenen Glaubens als Indiz für die Unwahrheit des anderen Glaubens deutete. Die Religionsgespräche vergangener Zeiten waren nahezu ausnahmslos polemisch-apologetischer Natur. Man befasste sich mit dem Glauben des anderen, um ihn als falsch und unterlegen zu erweisen.
Suche nach den Stärken
Der interreligiöse Dialog - sofern er mehr sein will als politisches Krisenmanagement - verfolgt eine ganz andere Zielsetzung. Ihm geht es darum, den Menschen anderen Glaubens soweit wie möglich aus seiner Innenperspektive heraus zu verstehen. Dialog sucht dabei nicht nach den Schwächen des anderen, sondern nach seinen Stärken. Dialog sucht die Wahrheit, die der andere in seinem Glauben und aus seiner Perspektive erblickt hat. Denn Dialog will vom anderen lernen. Aus einer solchen dialogischen Haltung heraus kann auch das in neuem Licht erscheinen, was lange als unüberwindlicher Gegensatz galt. Im innerchristlichen ökumenischen Dialog hat man solche Fortschritte im Hinblick auf die Rechtfertigungslehre erzielt. Das intensive Bemühen um das rechte Verständnis der anderen Seite, um die Erkenntnis der Wahrheit in der Position des anderen, förderte zutage, dass die vermeintlich unversöhnlichen Standpunkte in der Rechtfertigungslehre keineswegs zwangsläufig als unüberwindbare Gegensätze verstanden werden müssen. Gegensätzlichkeit verwandelte sich so in Komplementarität.
Der interreligiöse Dialog, wie er in den letzten Jahrzehnten intensiv weltweit auf theologischer Ebene geführt wurde und wird, hat viele solcher Komplementaritätserfahrungen zwischen den Religionen hervorgebracht. Dem aber verschließt sich das EKD-Dokument, wenn es die unbestreitbaren Unterschiede zwischen den Religionen so deutet, dass diese nur dann wirklich anerkannt seien, wenn man sie als unversöhnlich stehen lasse. Doch ist das Dokument, wie gesagt, in sich widersprüchlich. Denn an anderer Stelle formuliert es genau jene Grundsätze, die eine genuin dialogische Haltung befördern: Ein Dialog der Religionen im Sinne einer gemeinsamen Wahrheitssuche könne gelingen, wenn sich niemand "im Besitz einer abgeschlossenen Wahrheitseinsicht" wähne und wenn man die religiösen Standpunkte als unterschiedliche "Perspektiven" verstehe, die "korrigierbar" bleiben und "sich relativieren (können) in einem Raum des Gemeinsamen, den keiner alleine besetzen kann" (32f). Was aber spricht dagegen, in dem einen Gott aller Menschen den letzten Grund jenes gemeinsamen Raumes zu erblicken und in diesem Sinn, "die religiöse Überzeugung des anderen als eigene Antwort auf Gottes Wirklichkeit ernst zu nehmen" (33f)? Dagegen spricht nichts, außer eben das Dokument selber, das an anderer Stelle den Gedanken unterschiedlicher religiöser Perspektiven auf dieselbe göttliche Wirklichkeit als "bloße Suggestion" abkanzelt (62).
Bekenntnis zur Religionsfreiheit
Die hier aufgezeigten Widersprüche im neuesten Grundlagentext der EKD finden sich allerdings nur in seinen im engeren Sinn theologischen Teilen, nicht jedoch in seinen gesellschaftspolitischen Aussagen. In diesen bekennt sich die EKD völlig unzweideutig zur Religionsfreiheit und zum Gleichheitsgrundsatz, gerade auch wenn es um die staatliche Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften.
Diese Einmütigkeit ist gut und begrüßenswert. Dass in den religionstheologischen Teilen eine solche Einmütigkeit fehlt, spiegelt die reale Situation der Christenheit: Christen sind eben uneins in der Frage, ob Menschen anderen Glaubens trotz ihrer Andersheit dennoch denselben Gott kennen, ob sie vielleicht andere und anders ausgedrückte Erfahrungen mit dem einen Gott bezeugen oder ob ihre Gotteserfahrungen nur scheinbar echt sind. Das Dokument der EKD bietet in diesem Punkt keine Orientierung, sondern bezeugt lediglich das ungelöste Problem.
Reinhard Mawick: Musterschülerin der Pluralität
Perry Schmidt-Leukel