Buchresistance

Über die Zukunft des Buches
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Die Erfindung des Buches ist für die Autoren wie die Erfindung des Rades. Auch "Das Rad des Wissens" kann nur wieder erfunden, aber nicht überboten werden. Das Internet ist darum nach ihrer Sicht eher eine Wiederkehr der Ära Gutenberg, eine Abkehr von der Welt der Bilder und eine Rückkehr in das Zeitalter des Alphabets...

Gegenüber allen kulturpessimistischen Vorhersagen über den Untergang des Buches in den Zeiten elektronischer Massenkommunikation feiern zwei ebenso gesprächsfreudige wie gelehrte Bücherfreunde und Büchersammler die große Zukunft des Buches: Umberto Eco, Zeichentheoretiker, Romanautor, passionierter Sammler einer Bibliothek okkulter und falscher Wissenschaften, und Jean-Claude Carrière, studierter Historiker, renommierter Drehbuchautor und Essayist. Die Erfindung des Buches ist für sie wie die Erfindung des Rades. Auch "Das Rad des Wissens" kann nur wieder erfunden, aber nicht überboten werden. Das Internet ist darum nach ihrer Sicht eher eine Wiederkehr der Ära Gutenberg, eine Abkehr von der Welt der Bilder und eine Rückkehr in das Zeitalter des Alphabets.

Ohne Blindheit gegenüber den Möglichkeiten elektronischer und individueller Kommunikation weisen die Gesprächspartner - geschickt mit neuen Stichwörtern versorgt von Jean-Philippe de Tonnac - auf Paradoxien hin: das extrem schnelle Veralten der Datenträger, von Disketten und Video-Cassetten zu CD-ROMs und USB-Sticks bis hin zu dem im Buch noch nicht erwähnten cloud computing; der Verlust einer gemeinsamen Enzyklopädie und ihre Auflösung in eine Vielzahl unvermittelter individueller Enzyklopädien und die Unmöglichkeit einer Verdammung des Gedächtnisses, des verordneten Vergessens. Demgegenüber erscheinen Bücher, ihre Sammlung in Bibliotheken, ihre Erhaltung und Vernichtung und schließlich die Jagd von Bücherliebhabern auf die verschütteten Reservoire des Wissens und des Scheinwissens als Schlüssel zur Kulturgeschichte.

All das wird höchst gelehrt, unterhaltsam, gespickt mit Anekdoten von Büchern und ihren Liebhabern sowie persönlichen Reminiszenzen der beiden Dialogpartner, vor allem natürlich an ihre eigenen Büchern, verhandelt.

Von Religion muss bei diesem Thema viel die Rede sein, von den unterschiedlichen Formen der Sakralisierung des Wortes und vom Verhältnis des Wortes zur erzählten Mythologie und zur mystischen Erfahrung. Provozierend ist nicht nur die These Ecos von der Religion als dem Kokain des Volkes, sondern ebenso die Verbindungen von Religion und Obskurantismus, die auch die Geschichte der Bücher prägen. Ein ganzer Gesprächsgang beschäftigt sich mit dem "Lob der Dummheit". Nur hintergründig kommt so eine verborgene Grundschicht der Geschichte der Bücher zur Sprache: die Allianz des Buches mit der Wahrheitssuche.

Dass jedes Buch in einer Geschichte, die durchgängig vom Buch der Bücher geprägt ist, auch stets eine Einladung ist, die Klarheit seiner Botschaften im Medium der inneren Klarheit eigener Gewissheitsbildung zu prüfen, wird in diesen Gesprächen meist nur indirekt als Geschichte des Irrtums reflektiert. Irrtümer gibt es aber nur gegenüber der Wahrheit. Zum Lesevergnügen gehört allerdings auch eine, die Grundthese der Gespräche noch einmal ironisierende, Erfahrung. Ohne die Hilfe des Internets sind für den durchschnittlich gebildeten Leser die Hälfte der literarischen Andeutungen - etwa Carrières These über die "wahren" französischen Barockpoeten, die von der Literaturgeschichte ignoriert werden - kaum zu entschlüsseln. Sollte die Zukunft doch der kritischen Koexistenz von Buch und Internet gehören?

Umberto Eco/Jean-Claude Carrière: Die große Zukunft des Buches. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2012, 285 Seiten, Euro 9,90.

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Christoph Schwöbel

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