Wer wollte frevelnd fragen

Richard Wagner, der Antisemit - Wegbereiter des Nationalsozialismus?
Rainer Ehrt: „Wagner und die Meistersinger“. Rechts der Kritiker Beckmesser. Foto: © akg-images/Ehrt
Rainer Ehrt: „Wagner und die Meistersinger“. Rechts der Kritiker Beckmesser. Foto: © akg-images/Ehrt
Es ist nicht ganz einfach, Richard Wagner, dessen Geburtstag sich im Mai zum 200. Mal jährt, schrankenlos zu verehren: Sein Antisemitismus steht dawider. In seinen theoretischen Schriften wird er in geradezu heilloser Weise ausgesprochen. Der Theologe Klaus-Peter Lehmann über Wagners Wahnwelt.

Bis heute ist Richard Wagner (1813-1883) wegen seines Antisemitismus und wegen seiner Beliebtheit unter dem NS-Regime heftig umstritten. Holocaustüberlebende in Israel verhindern unter öffentlichem Protest immer wieder Aufführungen seiner Werke. Unumstritten sind zahlreiche verächtliche Äußerungen Wagners über Juden, ebenso der monströse Antisemitismus seiner Schrift "Das Judenthum in der Musik". Umstritten ist, inwieweit seine Person, seine Weltanschauung und besonders seine Opernwerke als antisemitisch oder als Wegbereiter des Nationalsozialismus zu gelten haben.

Wagner betrachtete die Kirche als entartet. Dazu habe maßgeblich ihr verfälschendes jüdisches Erbe beigetragen und das "Judenzen" (wuchern) ihrer Würdenträger. Er bezweifelte, "ob Jesus selbst vom jüdischen Stamme" war. Die universale Liebe des Heilands habe mit dem "Stammesgott Israel"s nichts gemein. Wagner trat für eine Entjudaisierung des Christentums ein. Trotzdem machte er aus Jesus keinen Arier. Der Entwurf zu seinem Drama "Jesus von Nazareth" (1848) schließt so: "Wer wollte frevelnd fragen, ob es (sein Blut) der weißen oder welchen Rasse sonst angehörte? Wer ihn hört, drängt sich hinzu und begehrt die Taufe."

Die Rassenlehre überwinden

Im "Parsifal" verkündet Wagner eine pazifistische, am Ideal unverdorbenen Menschentums ("reiner Tor") orientierte Mitleidsreligion. Mit seinem "Bühnenweihfestspiel" wollte er das Christentum reinigen und die Rassentheorie überwinden. "Die Rassen haben ausgespielt, nun kann nur noch, wie ich es gewagt habe auszudrücken, das Blut Christi helfen", sagte Wagner gegen Gobineau. Von dessen Rassenlehre grenzte er sich ab. Trotzdem tragen sein Verhalten und seine Werke antijüdische Züge, auch wenn die Operntexte das nicht verbalisieren.

Die Figur der Kundry lässt sich leicht antijüdisch deuten. Wie Ahasver irrt sie zwischen dem Reich des Guten, der Gralsburg des Amfortas, und dem Reich des Bösen, der Zauberburg Klingsors, heimatlos hin und her. Die Taufe, nach der sie sich eigentlich sehnt, bringt ihr schließlich Erlösung im Untergang. Dazu passt Wagners Verhalten bei der Uraufführung des "Parsifal" am 26. Juli 1882. Dirigent war Hermann Levi, Sohn eines Rabbiners, Hofkapellmeister in München, der Wagner voller Unterwürfigkeit verehrte. Als Ludwig II. sich entschlossen hatte, ihn zu verpflichten, hatte Wagner ernsthaft erwogen, ihn vorher taufen zu lassen. Sein "allerchristlichstes Werk könne unmöglich von einem Juden dirigiert werden". Doch schließlich stand Levi ungetauft am Pult. Während des letzten Aktes kam Wagner in den Orchesterraum, nahm Levi den Taktstock aus der Hand und dirigierte selber zu Ende.

Antisemitische Zeichnung

Mit seinem "Der Ring der Nibelungen" wollte Wagner die Deutschen einen, dass der Deutsche anfinge, durch seine Kunst "wenigstens in einem höchst bedeutenden Kunstzweige national zu sein", dass er hierdurch original würde, ein Vorzug, den der Italiener und Franzose ihm längst voraushatte. Im "Siegfried" brachte Wagner mit dessen Ziehvater Mime das Klischee von geld- und machtgierigen Juden ins Bild. "Der achselzuckende, geschwätzige, von Selbstlob und Tücke überfließende Mime - all die Zurückgewiesenen in Wagners Werk sind Judenkarikaturen" (Adorno)

Zusammen mit seinem Bruder Alberich und dessen Sohn Hagen, deren ganzes Sinnen nach dem Besitz des Ringes trachtete, erschien hier das Wahnbild von der drohenden jüdischen Weltherrschaft. Denn mit dem aus dem Rheingold geschmiedeten Ring gewinnt sein Besitzer "die höchste Macht" oder "der Welt Erbe". "Die Meistersinger von Nürnberg" lesen sich wie ein Grundtext der politischen Weltanschauung Wagners. Im Handlungsverlauf, der gesellschaftlichen Wandel darstellt, erhalten zwei Außenseiter eine neue Stellung. Der Feudaljunker Stolzing, ein schöpferischer Geist, wird ins anständige Bürgertum integriert. Der antisemitisch gezeichnete Beckmesser, ein emanzipierter und assimilierter Musikkritiker, erweist sich als zersetzender Geist und wird vom bürgerlichen Kollektiv erbarmungslos ausgestoßen.

"Instinktmäßige Abneigung"

Unter dem Pseudonym 'Karl Freigedank' veröffentlichte Wagner seine Schrift "Das Judenthum in der Musik" (1850). Sie gilt als zentraler Text des europäischen Antisemitismus. Drei Gedanken sind hervorzuheben: die Beherrschung von Politik und Kultur durch das Judentum, ihre "Verjüdung", die Unfähigkeit der Juden zu wahrer Kunst und die Rechtfertigung des Judenhasses:

"Der Jude ist nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge dieser Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht, und wird so lange herrschen, als das Geld an der Macht bleibt, vor der all unser Tun und Treiben seine Kraft verliert. Der Jude, der an sich unfähig ist, weder durch seine äußere Erscheinung, noch durch seine Sprache, am allerwenigsten aber durch seinen Gesang, sich uns künstlerisch kundzugeben, hat nichtsdestoweniger es vermocht, in der verbreitetsten der modernen Kunstarten, zur Beherrschung des öffentlichen Geschmacks zu gelangen.

Wer hat nicht Gelegenheit gehabt, von der Fratze des gottesdienstlichen Gesanges in einer eigentlichen Volks-Synagoge sich zu überzeugen? Wer ist nicht von der widerwärtigsten Empfindung, gemischt von Grauenhaftigkeit und Lächerlichkeit, ergriffen worden beim Anhören jenes Sinn und Geist verwirrenden Gegurgels, Gejodels und Geplappers? Wir haben uns das unwillkürlich Abstoßende, welches die Persönlichkeit und das Wesen der Juden für uns hat, zu erklären, um diese instinktmäßige Abneigung zu rechtfertigen, ... wenn wir sie ganz unumwunden eigestehen, muß es uns deutlich werden, was wir an jenem Wesen hassen, was wir dann bestimmt kennen, dem können wir die Spitze bieten. Ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müßten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist."

Ein Buchexemplar mit folgender Randbemerkung ist erhalten: "Ist inzwischen geschehen durch die nationale Revolution - Adolf Hitler - April 1933." Die Meinungen darüber, ob die Werke Wagners als Geburtshilfe für den Nationalsozialismus zu betrachten sind oder nicht, gehen bis heute auseinander. Für Adolf Hitler war klar, Bayreuth habe "das geistige Schwert geschmiedet, mit dem wir fechten".

"Wie der Hitlerismus"

Thomas Mann sagte über Wagners Werk, dass es "aus der bürgerlich-humanistischen Epoche auf dieselbe Weise heraustritt wie der Hitlerismus; daß es mit seiner Mischung aus Urtümlichkeit und Zukünftigkeit, seinen Appell an die klassenlose Volklichkeit, seinen mythisch-reaktionären Revolutionarismus die genaue geistige Vorform der metapolitischen Bewegung ist, die heute den Schrecken der Welt bildet". Andere meinen, Mythen seien keine Handlungsanweisung. Indem die Faschisten sie wörtlich nähmen, würden sie sie zerschlagen.

Aber schon Zeitgenossen Wagners sahen seine Gedanken auf die Vernichtung der Juden zusteuern. In einer prompten Rezension von "Das Judenthum in der Musik" schrieb der Musiktheoretiker Johann Christian Lobe sehr hellsichtig: "Was K. Freigedank unter 'Aufhören Jude zu sein' versteht, ist einfach und deutlich ausgesprochen: Wir können wahrhafte Menschen werden... 'erstens: durch Schweiß; zweitens: durch Noth; drittens: durch Fülle des Leidens und der Schmerzen; viertens: durch selbstvernichtenden blutigen Kampf; fünftens: durch Erlösung Ahasvers; sechstens: durch Untergang.' Also weg mit allen Juden. Wenn dann... alle Juden erschlagen vor uns liegen und wir übriggebliebenen Christen als triumphierende Mörder mit blutigen Fäusten dastehen, dann sind wir wahrhaftige Menschen und dann sind wir einig und untrennbar verbunden - untereinander und mit den Juden."

Klaus-Peter Lehmann

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