Das derzeit kurzweiligste Buch über den Wahn, Sinn und Unsinn von New Public Management (NPM), von Prozessmanagement und Managementprozessen sowie den abgöttischen Glauben an das Heil durch permanente Reorganisationsprozesse im öffentlichen Dienst, an Universitäten, in der Kirche und anderen Organisationen: Leben im Büro. Christoph Bartmann, Chef des Goethe-Instituts in New York, weiß, wovon er spricht, kennt und nennt sie alle - die inhaltsleeren Ideen und Begriffe, die jeder kompetente Büroteilnehmer heute verinnerlicht hat, die gleichwohl aber noch nichts zur Büroarbeit beitragen: strategisch, operativ, evaluieren, sich auf die Schiene setzen lassen, steuern, Arbeitsgruppen, Zielvereinbarungen, Jahresgespräch, Qualitätssicherung, Prozessoptimierung, PowerPoint, Assessment-Center und so weiter.
Die alltäglich gebetsmühlenartig abgespulte pseudotheologische Credo-Terminologie, die sich in den vergangenen dreißig Jahren dank Unterstützung von Harvard Business School, New Labour, MS-Office, IT-Sprech und wild umstrukturierenden Beratungskompetenten in das Büroleben eingenistet hat und den Menschen heute allerorts zu schaffen macht, wird von ihm sorgfältig diagnostiziert und mit Witz, Ironie, Sprach- und Sachkenntnis therapiert.
Nach einer Bestandsaufnahme des heutigen Bürolebens, bei deren Lektüre jeder Büroteilnehmer denkt, Christoph Bartmann habe just ein Jahr lang unsichtbar in seiner Abteilung mitgearbeitet, bietet der Autor einen kurzweiligen und historisch kundigen Überblick der Bürokratie-Entwicklung in den vergangenen hundert Jahren: von Franz Kafkas Der Prozeß über die Nationalökonomen Max und Alfred Weber bis hin zur "Agenda 2010". Daran schließt eine pathologische Bestandsaufnahme des NPM an, wobei unter anderem die Einsicht hervorsticht, dass die heutigen Büroteilnehmer, egal wo, nicht mehr vermittels tatsächlicher Arbeitsleistung ihre Arbeit erledigen, sondern allererst und hauptsächlich durch die powergepointete oder sonst wie vereinfacht-visualisierte "Darstellung", neudeutsch auch "Performance" genannt, positiv auf sich aufmerksam machen - auf die eigentliche Arbeitsleistung kommt es dabei gar nicht mehr an.
Das Buch sollte man gelesen haben, wenn man wissen will, warum die alte Bürokratie nicht grundsätzlich so schlecht war, und warum managerial dekretierter Bürokratieabbau zwingend neue, meist umfassendere Bürokratie produziert, in der wir uns am besten selbst führen und das gesamte Leben den "Fachleuten fürs Allgemeine" (Managern) übergeben. Der Manager - das ist für Bartmann der "Office-Priester", dessen Theologie, Credo und Sprache wir uns freiwillig ergeben haben.
Gelesen haben sollte man dieses Buch auch, bevor man sich für einen MBA-Studiengang bewirbt, spätestens aber, bevor man seinen ersten Vertrag für einen institutionellen Bürojob unterschreibt. Niemand soll sagen, er hätte es nicht gewusst. Die Ironie des managerial geführten Print- und Publishingbusiness will es, dass man Bartmanns kritische Zeitansage im Buchhandel nicht unter "Humor", "Gesundheit", "Linguistik", "Gesellschaft" oder "Mut zur Lebenskunst" findet, sondern ausgerechnet in der Wirtschaftsabteilung unter "Management" - zwischen all den Bergers, McKinseys und Co., deren deformatorische Einflüsse auf den ahnungslosen, sich selbst führenden Büroteilnehmer Bartmann so trefflich offenlegt. Bleibt zu hoffen, dass sich die höchstpriesterliche Managementliteratur infizieren lässt.
Fazit: Ein Buch, dass das Zeug, neudeutsch: das Potenzial, zum Klassiker der Gesellschaftsliteratur hat.
Christoph Bartmann: Leben im Büro. Hanser Verlag, München 2012, 320 Seiten, Euro 18,90.
Christoph Ernst