"Hier wird's Ereignis"

Stemanns Faust-Marathon bei den Salzburger Festspielen 2011
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Was können die berühmten Salzburger Festspiele angesichts der Inflation von Festivals im Sommer heute noch Besonderes leisten?

Was können die berühmten Salzburger Festspiele angesichts der Inflation von Festivals im Sommer heute noch Besonderes leisten? Die Festspiele hatten ihren Eklat vor Beginn, als der Schweizer Soziologe Jean Ziegler wieder ausgeladen wurde, weil er allzu kapitalismuskritisch die Frage nach der Relevanz teurer Kunst angesichts der Unrecht produzierenden Geldherrschaft stellen wollte. Joachim Gauck füllte die Lücke kritisch-salomonisch aus und die deutsche Bundeskanzlerin beehrte die Festspiele mit ihrem Besuch, beziehungsreich zur Premiere von Richard Strauß' Die Frau ohne Schatten, die bekanntlich mit einem musikalisch-opulenten Lob der Familie und Kinderaufzucht endet.

Vielleicht wäre sie besser in Nicolas Stemann fulminante Inszenierung von Faust I und II gegangen. Wer sich auf das Abenteuer einließ, fast achteinhalb Stunden diesem Spektakel, einer Koproduktion mit dem Hamburger Thalia-Theater, zu folgen, wurde reich belohnt. Stemann, das ist bekannt, behandelt auch die dialogischen Klassiker als Textfläche, wie eine musikalische Partitur. So ist das erste Drittel von Faust I einem Schauspieler (Sebastian Rudolph) anvertraut, er spricht alles von der Zueignung und dem Prolog im Himmel bis zum Osterspaziergang. Faust ist auch Mephisto, seine "zweite Seele" und umgekehrt. Der Zuschauer muss selbst entscheiden, wie er die Figuren und Stimmen wahrnimmt. Die Faust-Tragödie ist, so gesehen, ein großer Monolog der Selbstbefragung und schließlich der Selbstanmaßung des Menschen, die Herrschaft über die Welt ständig zu erweitern bis hin zu Katastrophe und Untergang. Eine Sinn- und Schönheitssuche, die sich letztlich verfehlt - und in Faust II im Übrigen schnell bei dem Thema anlangt, der Geldherrschaft, die Ziegler in Salzburg nicht kritisieren durfte. Man darf staunen, wie aktuell Faust II ist - der Schönheitswahn um Helena, Homunculus als Beitrag zur PID-Debatte, Euphorions Flugabsturz, alles schon da beim alten Goethe.

Es ist ein ebenso barockes wie aktuelles Welttheater, das Stemann und seine exzellenten Schauspieler aufführen, sechs Hauptakteure und viele drum herum, die malen, tanzen, singen, filmen, Kulissen schieben, mit Puppen spielen, mal parodieren und kalauern und so die bekannten schönen, erhabenen Stellen, die wir alle kennen, bis zum Überdruss zitiert und nicht ernst genommen, neu mit Leuchtkraft versehen oder als Sprechblase entlarven. Doch wer seinen Wortmagier Goethe liebt, findet auch schön Gesprochenes, etwa jene wunderbare Szene, in der Faust Helena (eindrücklich: Patrycia Ziolkowska) in den Sprachduktus des Nordens einführt. Aber eben dieser empfindsame Faust treibt als Kolonisator Menschen unbarmherzig von ihrem Fleckchen Erde, damit Megacities entstehen. Dabei weiß der Faust Goethes, dass die Menschen, die er auf dem Meer abgerungenen Land ansiedelt, "nicht sicher" wohnen.

Der Schluss von Faust II wird zu einer poppigen Parodie der hoch getönten Vorlage. Das biblisch-theologische Personal, das Goethe auftreten lässt, diverse Engelklassen, selige Knaben, die verschiedenen Patres und Büßerinnen, der ganze "Ringverein" der Seligen - das singt, während an Stangen gehaltene Puppen nach einer Plastiktüte als Symbol für Fausts Seele haschen: "Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis, das Unbeschreibliche, hier wird's Ereignis."

Vom "offenbaren Rätsel" seiner Faust-Tragödie sprach Goethe, "das die Menschen fort und fort ergötze und ihnen zu schaffen mache". Stemann hat in diesem Sinne inszeniert, das Stück neu ins Schwingen gebracht, uns amüsiert und nachdenklich gemacht. Noch auf dem Weg durchs nächtliche Salzburg zum Hotel, es war inzwischen zwei Uhr, hörte man hier und dort begeisterte Besucher über diesen Faust sprechen. Kunst, was willst du mehr?!

Hans-Jürgen Benedict

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Hans-Jürgen Benedict

Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich  der Literaturtheologie.


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