Als ihre Eltern so kurz vor dem großen Kongress der Weltreligionen verschwinden, fürchten Peter und seine ältere Schwester Tilde das Schlimmste: Sind doch der Finøer Dorfpfarrer und seine Frau, eine Organistin und Tüftlerin, keine unbeschriebenen Blätter. Die beiden sind schnellen Schlitten und teuren Pelzen nicht abgeneigt und haben sich schon in der Vergangenheit mit inszenierten Wundern und Trickbetrug in der Gegend weit um die kleine Insel Finø einen Namen gemacht. Jetzt, da sich alle Weltreligionen in Kopenhagen erstmals zu einer großen Synode treffen, planen die beiden ihren nächsten Coup. Die Geschwister sind überzeugt: Die Eltern wollen an die Kirchenschätze ran, die während des Kongresses in einer großen Ausstellung zu sehen sein werden.
Peter und Tilde nehmen die Spur ihrer Eltern auf und geraten in ein Abenteuer, in dem sie selbst zu Gejagten werden, sich immer wieder gegen widrige Umstände und unvorhergesehene Wendungen zur Wehr setzen. Zu Hilfe kommt ihnen dabei sowohl ihre Schlagfertigkeit als auch die naive Versessenheit ihrer erwachsenen Umwelt, so dass sie ihren Verfolgern ein ums andere Mal ein Schnippchen schlagen. Etwa als sie sich in Gardinen gehüllt und als Anhänger der Advaita-Vedanta-Gesellschaft getarnt auf einem Luxusdampfer einschleusen, der die unzähligen auf der Insel Finø vertretenen Weltreligionen nach Kopenhagen bringen soll.
In dem Roman tummeln sich Sinnsucher, Heilige und Religionsführer unterschiedlicher Couleur. Ein religiöses Kuriositätenkabinett, zu dem unter anderem das religiöse Oberhaupt eines buddhistischen Privatklosters gehört, das in seinem Tempel eine Agentur für "sexuell-kulturelles Coaching" betreibt. Auch Bischöfe und Anhänger eines Aschrams sind mit von der Partie. Kein Wunder also, dass die Kinder des Finøer Pfarrers in Sachen Religion experimentierfreudig sind.
Alles in allem beweist Peter Høeg Sinn für Humor und Skurrilität. Und doch geht es ihm um mehr: Sein Thema ist nichts weniger als die Sehnsucht nach einem glücklichen Leben. Eine Sehnsucht, die Peter und Tilde bei ihren Eltern entdeckt haben - groß wie ein Elefant und ebenso unkontrollierbar. "Elefantenhüter" nennen die Kinder ihre Eltern deshalb, denn: "Sie wollen wissen, was Gott wirklich ist, sie wollen Gott begegnen. Und nicht nur Vater, auch Mutter lebt in erster Linie dafür, das ist die Sehnsucht, die ihren Augen die Wehmut verleiht, eine Sehnsucht, groß wie ein Elefant, und wir erkennen, dass sie nie richtig erfüllt wurde."
Während sich die Eltern, aber auch die Anhänger anderer Religionen auf der Insel Finø in ihrer religiösen Sehnsucht selbst verwirklichen, bieten Tilde und Peter ihre eigene Theorie vom Glück. Die Geschwister haben sich eine Philosophie zurechtgelegt, die sie freimachen soll von den Lebensentwürfen und Erwartungen anderer. Um es mit den Worten des mitunter etwas altklugen Peter zu sagen: Es geht darum, dass es immer wieder eine Tür gibt, die sich zur Freiheit öffnet, eine Tür, die den Ausweg aus vorgegebenen, erwarteten Lösungen ermöglicht. Das Auffinden dieser Tür steht letztlich im Mittelpunkt des Romans, den Høeg seinen Icherzähler Peter mit den Worten eröffnen lässt: "Ich schreibe dies, um dir diese Türe zu öffnen."
Um im Bild der Türen zu bleiben, bekommt auch der Roman auf seinen knapp 500 Seiten immer wieder eine neue Wende. Am Ende geht alles anders aus, als erwartet. Soviel sei verraten: Nicht die betrügerischen Machenschaften der Eltern sind das eigentliche Problem. Vielmehr entdecken die Geschwister, dass eine Bande krimineller Geistlicher plant, die Kirchenschätze aus aller Welt zu zerstören. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem sich auch der Geheimdienst einschaltet und sich letztlich auch die kriminelle Energie der Eltern zum Guten wendet.
Peter Høeg: Die Kinder der Elefantenhüter. Carl Hanser Verlag, München 2011, 448 Seiten, Euro 21,90.
Barbara Schneider
Barbara Schneider
Barbara Schneider ist Journalistin. Sie lebt in München.