Genugtuung für Käßmann
"Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden," sagte die damalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann in ihrer Neujahrspredigt 2010. Und sie fuhrt fort: Christen sollten ein klares Friedenszeugnis ablegen und über Alternativen zu Krieg und Gewalt reden.
Ihr Nachfolger Nikolaus Schneider verteidigte Käßmanns Äußerung, als er am 27. Januar diesen Jahres im Morgenmagazin des Deutschlandfunk die EKD-Schrift "Selig sind die Friedfertigen. Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik" vorstellte. Es sei notwendig gewesen, dass Käßmann vor vier Jahren so deutlich geredet habe, weil damals die Probleme in der Öffentlichkeit weitgehend verschwiegen worden seien. Dass im Bundestag über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan von Jahr zu Jahr erneut abgestimmt wurde, ohne dabei die politischen Ziele dieses Einsatzes überhaupt anzusprechen, sei von Anfang an ein großes Manko gewesen, das die Soldaten in ein Dilemma gestürzt habe. Der Politik wird damit das Fehlen eines strategischen und politischen Rahmenkonzepts angelastet.
Die EKD-Schrift, die als Titel ein Zitat aus der Bergpredigt Jesu: "Selig sind die Friedfertigen" trägt, evaluiert den Bundeswehreinsatz in Afghanistan auf der Grundlage evangelischer Friedensethik. Dabei bezieht sie sich auch auf die EKD-Denkschrift von 2007 "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen", die in der evangelischen Friedensethik neue Akzente setzte.
Konzilarer Prozess
Bis Ende der Achtzigerjahre hatten sich die christlichen Friedensinitiativen vor allem auf die Überwindung der atomaren Abschreckung konzentriert. Als 1983 auf der Vollversammlung des Weltkirchenrates in Vancouver ein ökumenisches Friedenskonzil gefordert wurde, waren es die Vertreter und Vertreterinnen aus wirtschaftlich unterentwickelten Ländern, die Frieden nicht ohne die Forderung nach Gerechtigkeit diskutieren wollten. Der damit initiierte konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung setzte in vielen Kirchen eine Änderung des Blickwinkels in Gang: Nicht mehr die Einhegung des Krieges sollte im Mittelpunkt christlicher Friedensethik stehen, sondern das Friedenstiften.
Beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR stand seinerzeit die atomare Abrüstung im Fokus friedensethischer Ausarbeitungen und Appelle. Aus kirchlicher Perspektive kam es damals nicht darauf an, wie politische Entscheidungsträger und militärische Führungskräfte damit umgehen sollten. Christen waren unter denen in der DDR sowieso keine zu finden. Doch es wurde damit auch vernachlässigt, dass Frieden nicht ohne Politik im weitesten Sinne gestiftet werden kann. Ein Defizit war vor allem, dass das Verständnis des Rechts im theologisch-ethischen Diskurs unterentwickelt war. Denn ein Friede, der auf Gewaltanwendung weitgehend verzichtet, ist auf ein funktionierendes Rechtssystem angewiesen.
Obwohl man das schon bei Kant hätte nachlesen können, ist es erst in der Gemeinsamkeit mit den Gremien der EKD stärker beachtet worden. Die Denkschrift von 2007 orientiert sich ausdrücklich am "Leitbild des gerechten Friedens" und räumt der "Respektierung der Menschenrechte sowie der Herrschaft des Rechts" bei der Friedensförderung "Priorität" ein. Die EKD hatte länger als zum Beispiel die katholische Bischofskonferenz mit ihrem Wort "Gerechter Friede" von 2000 gebraucht, den Paradigmenwechsel vom "gerechten Krieg" zum "gerechten Frieden" ausdrücklich zu vollziehen.
Frieden und Gerechtigkeit?
Der DDR-Kirchenbund fragte Anfang 1989 seine Partnerkirchen in einem Schreiben, ob Christen auch heute noch mit dem Augsburgischen Bekenntnis von 1530 der Überzeugung sein könnten, dass sie ohne Sünde "gerechte Kriege führen" dürfen. Der Kirchenbund erklärte: "Um Gottes und der Menschen willen ist uns heute der Dienst für den Frieden geboten. Als Christen wollen wir Schritte wagen, die zu einer Ordnung gerechten Friedens führen."
Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) zog sich damals auf eine Erklärung ihres Theologischen Ausschusses zurück, in der es unter anderem hieß, "daß die reformatorischen Bekenntnisse im Blick auf das rechte Handeln darauf zielen, dass Werke nicht in das Zeugnis der Rechtfertigung gemischt werden dürfen". Friedenshandeln sollte nicht mit dem Streben nach Gerechtigkeit verbunden werden.
In den friedensethischen und friedenspolitischen "Orientierungspunkten", die der Rat der EKD 1994 unter der Überschrift "Schritte auf dem Weg des Friedens" erstellte, einigte man sich gemeinsam auf wenigstens drei Punkte: Frieden ist nur durch Recht zu schaffen, Konfliktfälle sollten nur unter Verzicht auf Zwang und Gewalt gelöst werden, und militärische Gewalt ist nur als ultima ratio zu rechtfertigen.
Der dritte Punkt bleibt freilich interpretationsbedürftig. Und Wehrdienstverweigerung wurde nicht als das "deutlichere Zeugnis" des Christen verstanden, wie das Christen in der DDR taten, sondern als "eine Frage politischer Ethik". Das Problem hat sich allerdings vorläufig erledigt.
Ein Paradigmenwechsel
Erst in der EKD-Denkschrift "Aus Gottes Friede leben - für gerechten Frieden sorgen" von 2007 wird der Pradigmenwechsel deutlich. Aber jetzt steht eine neue Art militärischer Einsätze zur Debatte, die auch seitens der UNO erst mit dem Zerfall des osteuropäischen Machtblocks in den Blick geraten ist: bewaffnete humanitäre Nothilfe und militärische Intervention aufgrund massiver Verletzung der Menschenrechte und angesichts von Völkermord, sowie "Zerfall politischer Gemeinschaften". Auch die Bundeswehr war zum ersten Mal in einen solchen Einsatz geschickt worden. Die EKD-Denkschrift von 2007 versteht den gerechten Frieden - abgesehen von seiner religiösen Tiefendimension - als "sozialethischen Leitfaden". Darin artikuliert sich die "vorrangige Option für Gewaltfreiheit". Militärische Gewaltanwendung wird im Sinne christlicher Ethik nur noch als "rechtserhaltend" oder Recht ermöglichend für vertretbar gehalten. Dafür werden konkrete Kriterien angeführt.
Sie dienen der EKD nun in ihrem jüngst veröffentlichen Text "Selig sind die Friedfertigen" als Maßstab für eine ethische und friedenspolitische Einschätzung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr: Der Einsatz erfolgte seit Dezember 2001 aufgrund der Resolution 1386 des UN-Sicherheitsrates. Gleichzeitig galt er aber auch als Solidaritätsaktion gegenüber den USA, die durch die Terrorakte vom 11. September 2001 schwer getroffen war. Ob jedoch der "Krieg gegen den Terrorismus" unter dem Legitimationstitel "Selbstverteidigung" firmieren kann, ist unter den Autoren und Autorinnen von "Selig sind die Friedfertigen" strittig. "Bei der Mandatierung durch den Sicherheitsrat bestand von Anfang an eine friedenspolitisch problematische Überschneidung zwischen der mit Erzwingungsgewalt ausgestatteten Stabilisierungsmission von ISAF (International Security Assistence Force) einerseits und dem auf das Verteidigungsrecht gestützten OEF (Operation Enduring Freedom) Einsatz andererseits."
Auch sei der Primat des Zivilen vor dem Militärischen nicht immer gewahrt worden. Der weitaus größte Teil ziviler Opfer in den Auseinandersetzungen gehe zulasten der Aufständischen. Die selbst von militärischer Seite geforderten umfangreichen Mittel für zivile Zwecke seien erst viel später, nach der London-Konferenz 2010, ansatzweise bereitgestellt worden. Die Einbeziehung der einheimischen Bevölkerung sollte durch den auf dem Bonner Petersberg 2001 eingesetzten afghanischen Präsidenten Hamid Karzai abgedeckt sein, was die EKD für völlig unzureichend ansieht. Karzai war damals der Vertrauensmann der USA, das aber zu Unrecht - wie sich herausgestellt hat.
Nicht alles schlecht
Ein grundsätzliches Problem besteht nach Auffassung der EKD darin, dass es bei den Kämpfen vorwiegend um Gegner geht, die bewusst ihre Identität als Kombattanten verschleiern und hinter zivilen Personen und Einrichtungen Deckung suchen. Als weiteres Defizit wird beklagt, dass viel zu spät ein "regionales politisches Konzept" entwickelt wurde. Schließlich sehen die Verfasser des EKD-Textes auch ein großes Problem darin, dass die Afghanen mit reichlich Waffen ausgerüstet wurden, ohne dass absehbar war, "was diese großen Waffenpotenziale in einem Land bewirken, in dem nur eine fragile demokratisch kontrollierte Rechtsstaatlichkeit existiert".
Die "Verzahnung zwischen Zentralregierung, Kriegsherrensystem und Drogenökonomie" scheint ungebrochen zu sein. Es ist auch schwer zu ermitteln, wie viel von den erheblichen Mitteln, die durch Regierungen und Nichtregierungsorganisationen in das Land transferiert wurden, dem beabsichtigten Zweck zugeführt wurden, Not zu lindern und zivile Strukturen aufzubauen.
Misst man den Militäreinsatz der Bundeswehr an den friedensethischen und friedenspolitischen Kriterien der EKD-Denkschrift von 2007, lassen sich auch positive Auswirkungen feststellen. Freilich ist der Aufbau parlamentarischer Strukturen in "massiven Betrugs- und Täuschungsmanovern" steckengeblieben, heißt es in "Selig sind die Friedfertigen". Und "vertrauensbildende Maßnahmen" wurden durch unachtsamen Umgang mit ethnischen Besonderheiten und religiösen Empfindungen häufig konterkariert. Die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr hat sich bewährt, indem sie den häufig traumatisierten Soldaten Rat, Trost und Beistand leisten konnte. Und auch die Friedensdenkschrift von 2007 hat für die Verfasser von "Selig sind die Friedfertigen" in Afghanistan ihre Bewährungsprobe mit Erfolg bestanden.
Es ist gewiss nicht alles schlecht, was durch den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan geschehen ist. Doch gut steht es um Afghanistan bei weitem (noch) nicht.
Bestellung
"Selig sind die Friedfertigen". Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik, EKD-Text 116
Bestellanschrift: EKD-Kirchenamt, Versand, Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, Tel.: 0511/2796-460, Fax: 0511/2796-457.
Götz Planer-Friedrich