Die Patin der Mütterzentren

Monika Jaeckel war eine Feministin, vor der in der Frauenbewegung gewarnt wurde
Monika Jaeckel, 1945–2009. Foto: privat
Monika Jaeckel, 1945–2009. Foto: privat
Monika Jaeckel ist in der breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt geworden. Zu Unrecht, meint die Hamburger Journalistin Hedwig Gagfa. Denn die Missionarstochter, die 2009 verstarb, entwickelte das Konzept der Mütterzentren, das mittlerweile in vierhundert Häusern umgesetzt wird.

In der Studentenbewegung ging sie an der Spitze, auf ihre Art. Bei Demonstrationen lief sie mit dem Megaphon vorneweg, um Zuschauer am Rand rechtzeitig zu warnen: "Vorsicht! Gleich fliegen Steine" - was Monika Jaeckel nicht behagte. Wie Joschka Fischer schuftete sie mit den Opelarbeitern am Fließband, um diese für die Revolution zu begeistern. Gleichzeitig erprobte sie in Wohngemeinschaften eine neue Art des Zusammenlebens, der Slogan "Das Private ist politisch" war für sie mehr als ein Spruch. Später, fest in der Frauenbewegung verankert, erfand sie mit anderen die Mütterzentren. Sie überzeugte Mütter und Behördenvertreter von der Idee, gemeinsam Räume für ein solidarisches Zusammenleben zu schaffen. Daraus wurde ein Zukunftsmodell, das bis heute Bestand hat und weiterentwickelt wird. Aber in der breiten Öffentlichkeit wurde Monika Jaeckel kaum bekannt. Zu Unrecht. Das zeigen die Erzählungen von Mitstreiterinnen und ihre kurz vor ihrem Tod im November 2009 aufgezeichneten Erinnerungen in dem Buch "(M)ein bewegtes Leben".

Kleine Szenen darin verraten ihre verblüffende Fähigkeit, sich den "Anderen" zuzuwenden, den Leuten, die jenseits ihrer eigenen akademischen Kreise standen: Wie sie als Missionarskind in Japan an ihrem Geburtstag auf die eingeladenen Kinder wartete, die nicht kamen - den Grund dafür hat sie vergessen - und dann beschloss, mit Kuchen und Schokolade einfach zu den Bauarbeitern auf der Straße zu gehen, die Sachen unter ihnen verteilte und beschloss: "Jetzt feiern wir." Das blonde, blauäugige Mädchen, das Japanisch sprach, kam gut an. Als Soziologiestudentin hatte sie ihr Studium unterbrochen, um für ein Jahr die Seiten hin zu den Fabrikarbeiterinnen zu wechseln. Der Plan, sie für den Aufstand zu mobilisieren, misslang, aber Jaeckel fand einen guten Draht zu ihnen und erhielt auf einer Betriebsversammlung Applaus für ihre Rede gegen die Ausbeutung. Später trat die leidenschaftlich berufsorientierte Soziologin ausgerechnet beim Club junger Hausfrauen, einer Unterorganisation des Deutschen Hausfrauenbunds, auf, um für ihr Konzept der Mütterzentren zu werben. Noch am Bahnhof sei keine der Frauen bereit gewesen, mit ihr und ihrer Kollegin - sie mit blonder Stoppelfrisur, die Kollegin mit flammend roten Haaren - in ein Taxi zu steigen. Jaeckels Rede auf der Versammlung zündete dennoch - und wurde für sie zu einer wichtigen Wegmarke.

Nach dieser Begegnung entsteht in Salzgitter 1980 das erste Mütterzentrum, ein von Soziologinnen entwickeltes, an der Basis vor Ort realisiertes Modell öffentlicher Räume, in denen Mütter ihren Alltag teilen, voneinander lernen und in schwierigen Phasen solidarisch handeln. Ein Aufbruch mit nachhaltigen Folgen: Über vierhundert weitere Mütterhäuser sind bis heute entstanden. Später entwickelten sich vielerorts in Anlehnung daran die Mehrgenerationenhäuser. Noch in den Achtzigerjahren blieben die meisten Mütter während der gesamten Erziehungszeit zu Hause.

Heftig umstritten

In den Zentren lassen Mütter mit ihren Kindern die Isolation der eigenen vier Wände hinter sich. In einem offenen Café treffen sie andere zum Kaffeetrinken und zum Austausch. Wer Arbeiten übernimmt - die Kinder betreut, Küchendienst leistet, Weiterbildungskurse anbietet -, soll dafür bezahlt werden. Die Kinder können in einem Nebenraum spielen, aber auch nachsehen, was nebenan bei den Erwachsenen passiert. Ihre Mütter vernetzen sich untereinander, wobei das Wort "Vernetzung" noch nicht erfunden ist. Dass diese Arbeit für die Gesellschaft wertvoll ist und finanzielle Unterstützung braucht, ist keineswegs selbstverständlich. Monika Jaeckel will, dass sich Basisbewegungen von Frauen auf internationaler Ebene zusammenschließen. Sie gründet die "Grassroots Women's International Academy" (GWIA) und den Verein "MINE" (Mütterzentren - Internationales Netzwerk für Empowerment). Mütterzentren verbreiten sich auch in anderen Ländern.

Über ihre Arbeit sagte Jaeckel: "Das ist mein Kind!" Ein anstößiges Kind! Wegen ihres Einsatzes für die Mütterzentren wurde Monika Jaeckel aus den eigenen Reihen angegriffen. Schließlich war sie doch eine Wissenschaftlerin, die sich zur Spitze der Frauenbewegung zählte, das Frankfurter Frauenzentrum mit begründete und als Sängerin der Rockband "Flying Lesbians" Agitprop-Lieder für ein selbstbewusstes lesbisches Leben sang. Nun wurde ihr eine frauenfeindliche Ideologie unterstellt. Eine Notiz im lila Frauenkalender warnte: "Vorsicht! Die beiden wollen faschistisches Gedankengut in die Frauenbewegung tragen." Gemeint waren Monika Jaeckel und ihre Kollegin Gerda Tüllmann, deren Focus auf Mütter als Verrat empfunden wurde. Ihnen wurde nicht nur vorgeworfen, ein patriarchal geformtes Rollenbild zu beleben, sondern einen Mutterkult wie in der NS-Diktatur. Letzteres bezeichnet Marieke van Geldermalsen-Jaeckel, Frau von Monika Jaeckel, als "Fatwa", ein Urteil, gegen das anzugehen unmöglich gewesen sei. Eine Plattform, eine faire Auseinandersetzung darüber zu führen, habe es in der Frauenbewegung damals nicht gegeben. Monika Jaeckel machten die Anwürfe zu schaffen. Sie war eine ebenso radikale wie sanfte Feministin, die sich den Blick für die "Anderen" nicht abgewöhnt hatte.

Mehr als drei Jahrzehnte später sind die Mütterzentren akzeptiert, der Streit um die Bedeutung der Mutterrolle schwelt weiter. Sollen Begriffe wie "Mütterlichkeit" und "Mütterzentren" weiterverwendet werden? Passen sie noch in eine Zeit, in der Frauen sich nicht mehr auf überlieferte Rollenbilder festlegen lassen und die Erziehungsarbeit mit Männern teilen?

Dialog mit anderen Welten

Bevor Jaeckel Ende der Siebzigerjahre als Soziologin am Deutschen Jugendinstitut in München das Mütterprojekt aus der Taufe hob, hatte sie einen weiten Weg zurückgelegt. Ihre Entwicklung stellte sie in ihrer mündlich erzählten Autobiographie in einen engen Zusammenhang mit den Erfahrungen in ihrem von christlich-humanistischen Werten geprägten, weltoffenen Elternhaus. Sie verwies auf die positiven Seiten dieses Erbes: ihre Fähigkeit, wie ihr Vater bei Fremden um Sympathie zu werben, sich draußen Gehör zu verschaffen und als Entertainerin aufzutreten, und ihre Leidenschaft, auf Menschen zuzugehen, die jenseits der eigenen Gruppe stehen: "Ich wollte immer den Dialog mit anderen Welten." Christliche Dogmen blieben dem Missionarskind fremd. Ihr Vater, sagte sie, habe seinen Kindern den Glauben nicht aufgedrängt, auch ihm sei es vor allem um eine bessere Welt gegangen. Eine spirituelle Praxis hingegen war ihr zeitlebens wichtig, sie fand sie in Retreats und Meditationsgruppen jenseits der großen Religionen.

Ihr leidenschaftlicher Einsatz für die Mütterzentren hatte mit ihrer Beziehung zur eigenen Mutter zu tun. Einerseits grenzte sie sich von ihr ab. Ein von ihr verfasster Song trägt den Titel "Wie meine Mutter wollte ich nie sein". Andererseits verband sie Wärme und körperliche Nähe mit ihr. Sie zollte ihr Anerkennung: "Was sie uns allen ermöglicht hat!", sagte sie: "Ich war nicht gegen sie."

1960 war die Missionarsfamilie nach Deutschland zurückgekehrt - für die Jüngste ein Schock. In der hierarchisch geprägten Nachkriegsgesellschaft fühlte sie sich als Außenseiterin. Sie war in einem englisch-kanadischen Schulsystem großgeworden und gewohnt, offen ihre Meinung zu sagen. In der Studentenbewegung traf sie auf Gleichgesinnte. Männliche Führungsansprüche akzeptierte sie generell nicht. Auch in ihren persönlichen Beziehungen, so analysierte sie später selbstkritisch, habe sie mit ihren männlichen Partnern konkurriert. Erst in ihren Beziehungen zu Frauen habe sie sich emotional wirklich öffnen können. Sie lebte in Wohngemeinschaften. Schon in dieser Zeit war ihr wichtig, dass die "Produktivkraft Mütterlichkeit" - die Fürsorge für Familienmitglieder, die Arbeit im Haushalt - nicht länger als eine selbstverständliche Ressource betrachtet, sondern als Arbeit anerkannt wird.

"Mütter haben das Sagen"

Von 1976 an arbeitete sie in einem Forschungsprojekt des Deutschen Jugendinstituts in München. Die Wissenschaftler sollten herausfinden, warum bestehende Bildungsangebote von Eltern aus sozial benachteiligten Familien nicht wahrgenommen wurden, und sie sollten Alternativen entwickeln. In ihren Interviews mit den Eltern aus sozial benachteiligten Stadtvierteln stellten sie den Eltern offene Fragen, die es ihnen ermöglichen sollten, "sich selber zu definieren". Dieser Punkt war Monika Jaeckel wichtig. Die Soziologinnen wollten den Interviewten nicht durch vorgeformte Antworten eine bestimmte Richtung vorgeben, sondern die Eltern sollten in Tiefeninterviews ihre Probleme, Lebensvorstellungen und Wünsche selber benennen. Die Auswertung zeigte, dass die Eltern keinesfalls in Kursen belehrt werden, vielmehr in ihrer elterlichen Kompetenz öffentliche Anerkennung erfahren wollten. Sie sehnten sich nach einem Ort, wo sie sich austauschen und voneinander lernen könnten.

Warum hieß dieser neue öffentliche Raum schließlich "Mütterzentrum" und nicht "Elternzentrum", wo doch dort auch Väter und Nachbarn willkommen waren? "Mütter haben hier das Sagen und finden öffentliche Anerkennung, weibliche Kultur und mütterliche Erfahrung dominieren", begründete Jaeckel die umstrittene Namensgebung. Das erste Zentrum eröffnete 1980 die damalige Vorsitzende des Clubs junger Hausfrauen, Hildegard Schooß, in Salzgitter. Auf der Expo 2000 wurde das Mütterzentrum zu einem viel beachteten Exponat, es entstand angrenzend an ein Mehrgenerationenhaus. Für Jaeckel ging es darum, dass in der Zukunftsplanung nicht allein Entwicklungen auf Hightech-Ebene das Denken bestimmen sollten, sondern "Modelle, die durch Selbsthilfe und ,Praxisexpertentum' an der Basis entstanden" sind.

In Marieke van Geldermalsen traf Monika Jaeckel bei einer UN-Konferenz die Frau fürs Leben. Sie waren sich einig in ihrem kritischen Blick auf die Gesellschaft und ihrer Leidenschaft für die Frauenbewegung. "Unsere Gesellschaft ist im Begriff, das Fürsorgliche, Mitfühlende, Soziale zu verlieren", kritisiert van Geldermalsen-Jaeckel. "Monika sah es als eine logische Konsequenz ihrer progressiven Ideale, eine Form von 'gesellschaftlicher Mütterlichkeit' zu schaffen, die der heutigen Welt angepasst ist." Über ihre Frau sagt sie: "Mit Monika zusammen war es eine Freude, weil sie Ideen zum Leben brachte. Sie ließ etwas Wirklichkeit werden."

Informationen

Monika Jaeckel: (M)ein bewegtes Leben. Aufgeschrieben von Katrin Rohnstock und Rosita Müller. Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2011, 196 Seiten, Euro 19,95.

Hedwig Gafga

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