Ein Kampf aller gegen alle, die Evolution war schon immer ein grausames Spiel. Mit dieser Ansicht räumt Stefan Klein in seinem neuen Buch gründlich auf und behauptet "selbstlos siegt". Der Wissenschaftsautor beginnt seine Argumentation mit einer lange Zeit vergessenen Einsicht von Charles Darwin, der schon ein viel freundlicheres Bild vom Menschen und seinen Urahnen zeichnete, als es selbst heute noch manche einflussreiche Theorien, insbesondere der Wirtschaftswissenschaften, wahrhaben wollen - sie sehen Gier und Egoismus als entscheidende Motoren für Wirtschaft und Wohlstand an.
Schon Darwin beobachtete im Laufe der Evolution die Herausbildung eines Sinns für Gerechtigkeit und Moral. Eine angeborene Neigung zum Miteinander zwinge den Menschen, zeitweilig selbstlos zu sein. Dabei konnte es sich nur um einen Irrtum des Lehrmeisters handeln, da waren sich seine Nachfolger sicher, auch weil Darwin seine Gedanken wenig präzise formulierte.
Warum diese Einsicht so lange und wohl auch hartnäckig, wenn nicht verschwiegen so doch ignoriert wurde, ist eine der wenigen offenen Fragen in Kleins Buch Der Sinn des Gebens. Denn schon der Genetiker George Price zeigte bereits 1970, warum sich Solidarität für das Individuum wie die Gruppe insgesamt lohnt.
Prices Theorie referiert Klein ebenso verständlich, wie er es immer wieder versteht, in einer Zusammenschau aus biographischer Erzählung, Anekdoten, Studien aus Biologie, Kulturwissenschaften und experimenteller Psychologie zu beschreiben, wie sich der Altruismus herausbildete und welcher evolutionäre Nutzen damit verbunden war und ist. Damit zeigt er zahlreiche Einsichten und Argumente für eine bessere und freundlichere Gesellschaft auf, in der die Selbstlosigkeit eines der obersten Prinzipien sein könnte.
Im ersten Teil seines Buches beschreibt er die Herausbildung von Selbstlosigkeit in Verwandtschaftsverhältnissen, wo sie ja in der evolutionsbiologischen Perspektive Sinn machte, um dem eigenen Nachwuchs und damit den eigenen Genen das Überleben zu sichern. Im zweiten Teil erkundet der Autor den Altruismus als Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenlebens insgesamt. Freundlichkeit, Sanftmut und Hilfsbereitschaft entstanden, weil sie ihren Trägern im Konkurrenzkampf einen Vorteil verschafften, stärkten sie doch die Kooperation, sicherten den Urahnen der heutigen Menschen eine erfolgreiche Jagd und damit das Überleben.
Kurzum, was wir heute als Teamarbeit kennen, könnte sich, so gesehen, in der Evolution herausgebildet haben, weil sich nach und nach jene Gene durchsetzten, die ein kooperatives Verhalten beförderten. Und das nutzte eben nicht nur dem Einzelnen, sondern der Gemeinschaft insgesamt. Natürlich gab es daneben auch immer Mord und Totschlag um des eigenen Vorteils willen. Gene alleine reichen für eine freundlichere Gesellschaft, in der der Egoismus keinen Platz mehr hat, also nicht aus.
Ein Gen für Altruismus scheint es wohl zu geben, mehr noch: einen Pool an Erbfaktoren, eingebettet in soziale Normen und kulturellen Praktiken. Auch wenn es manchmal einfach nur Freude macht zu schenken, weil das glücklich und zufrieden macht, und selbstlose Menschen sogar länger leben, wie Klein herausfand. Wer aber anderen selbst nichts Gutes tut, darf selten damit rechnen, selbst Gutes zu erfahren. Und so kann es durchaus sein, dass die Egoisten im Laufe der weiteren Evolution eines Tages ganz verschwunden sein werden und die Selbstlosigkeit siegt.
Stefan Klein: Der Sinn des Gebens. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2010, 336 Seiten, Euro 18,95.
Jörg Brause