Firma mit zwei Chefs

Von der Freiheit Schweizer Katholiken können die deutschen nur träumen
dpa/Keystone/Gaetan Bally
In Zürich sind die Katholiken besonders aufmüpfig, und sie lassen sich von dem für sie zuständigen Bischof von Chur nichts gefallen. dpa/Keystone/Gaetan Bally
In den meisten Schweizer Kantonen existieren rechtlich zwei miteinander verbundene römisch-katholische Kirchen. Sie bestehen aus dem Bischof und den Pfarrern auf der einen Seite und auf der anderen aus einer demokratisch organisierten "Landeskirche". Dass diese Doppelstruktur zu viel Streit führt, schildert der St.Galler Journalist Daniel Klingenberg.

Bischofs-Vertrauter will Kirchensteuer abschaffen": Mit dieser Überschrift, in großen Lettern, hatte die Schweizer Boulevard-Zeitung Sonntagsblick vor einiger Zeit ihre Leser überrascht. Martin Grichting, Generalvikar des Bistums Chur und rechte Hand von Bischof Vitus Huonder, kritisierte darin das katholische Kirchensystem in der Schweiz: "Die Kirche in der Schweiz ist so etwas wie eine Firma mit zwei Chefs."

Gemeint sind damit die klerikal-hierarchische Kirche und die kantonal organisierten Landeskirchen. Dem 43-jährigen Grichting, der als "ultra-konservativ" gilt und den Bischof Huonder gerne zum Weihbischof gemacht hätte, schwebt ein anderes System vor. Nämlich ein Hirte und eine Herde: "Es gibt nur einen Chef", sagt er, was für ihn "gesundem katholischem Geist" gleichkommt. Das Bistum Chur umfasst sieben Kantone, darunter die Kantone Zürich und Graubünden.

Aber warum will Grichting, der über die "Problematik des Verhältnisses von Kirche und Staat in der Schweiz, dargestellt am Beispiel des Kantons Zürich" promoviert hat, die Kirchensteuer abschaffen? In der Schweiz ist das Recht der Kirchen, Steuern einzuziehen, wie in Deutschland mit der öffentlich-rechtlichen Anerkennung durch den Staat verbunden. Nur ist diese in bestimmten Kantonen der Schweiz an andere, strengere Bedingungen geknüpft als in Deutschland.

Die Schweizer Bundesverfassung legt fest: "Für die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat sind die Kantone zuständig." Und diese sind frei, ihr Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften zu definieren. In der Praxis hat dies zu 26 Sonderlösungen geführt, die sich auf zwei Typen reduzieren lassen. Der eine orientiert sich an der Trennung zwischen Kirche und Staat nach französischem Muster. Sie wird in den französischsprachigen Kantonen Genf und Neuenburg praktiziert. Bei der weit verbreiteten zweiten Variante hingegen gibt es über die öffentlich-rechtliche Anerkennung hinaus eine Privilegierung der beiden Großkirchen - und der Altkatholiken, die in der Schweiz "Christkatholiken" heißen und - je nach Kanton - der Jüdischen Gemeinde.

Wesensfremde Demokratie

Die öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen werden nicht wie in Deutschland als "Körperschaft des öffentlichen Rechts" bezeichnet, sondern als "Landeskirchen". Daher gibt es in einigen Kantonen neben der evangelisch-reformierten eben auch eine römisch-katholische und christkatholische "Landeskirche". Diese Landeskirchen müssen im Innern demokratische Spielregeln einhalten. Und der Staat kann sich einmischen, sollte in ihnen Grundrechte verletzt werden. Im Gegenzug zieht der Kanton die Kirchensteuer ein und beauftragt die Kirchen teilweise mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in Seelsorge und Unterricht.

Damit ist die Stoßrichtung des Churer Generalvikars Grichting klar. Zwei Momente sind ihm ein Dorn im Auge. Erstens ist mit der Einmischung des Staates eine demokratische Kontrolle verbunden. Und die läuft seiner Vorstellung vom "einen, hierarchischen Chef" zuwider. Denn Demokratie ist seines Erachtens für die römisch-katholischen Kirche wesensfremd, und so bezeichnet er die Landeskirchen als "Gegenkirchen".

Schreckbild ist ihm die reformierte Kirche. Sie sei seit dem 19. Jahrhundert vom Staat "einfach nur demokratisiert worden", und das habe eine "völlige Zersetzung der Bekenntnisgrundlage" mit sich gebracht. Dass die liberal dominierte römisch-katholische Kirche zunehmend "distanzierte Mitglieder" habe, liegt für Grichting auf der Hand. Denn das die "Kirche einende Moment" liege außerhalb ihrer selbst: nämlich beim Staat.

Bischof Huonder sieht es wie sein Generalvikar. Er schreibt: "Das staatskirchenrechtliche System gehört nicht zum überlieferten Glaubensgut." Verkürzt gesagt: Das Staatskirchenrecht ist Schuld am Niedergang der Kirche. Denn es garantiert, dass sie überleben kann, auch wenn sie nicht mehr aus Gläubigen besteht.

Schreckbild: die reformierte Kirche

Zweitens ist mit dieser doppelten Struktur auch ein Einfluss der staatskirchlichen Organe verbunden. So bekommen die römisch-katholischen Bistümer das Geld von den römisch-katholischen Landeskirchen und deren Synoden. Und die drehen schon mal den Geldhahn zu. Das war im Bistum Chur der Fall.

So überwies die römisch-katholische Landeskirche des Kantons Zürichs dem umstrittenen, sehr konservativen Bischof Wolfgang Haas in den Neunzigerjahren kein Geld mehr. Nach rund zehn Jahren wurde Haas von Rom schließlich als Erzbischof ins neu gegründete Bistum Liechtenstein wegbefördert. Und auch bei der Auseinandersetzung um Generalvikar Grichting zeigen die Landeskirchen ihre Zähne. Als im Sommer 2010 die Pläne von Bischof Huonder bekannt wurden, Grichting zum Weihbischof zu ernennen, liefen sie Sturm. Personalpolitik und Kommunikation des Churer Bischofs wurden harsch kritisiert und Rücktrittsforderungen laut.

Das allerdings waren nur laue Vorboten des medialen Erdbebens, das sich in diesem Frühjahr im Bistum Chur ereignete und die den tiefen Graben zwischen Bistumsleitung, landeskirchlichen Organen und liberaler Basis zeigte. So gibt es im Bistum Chur Dramatik pur. Eigentlich hatte man sich im Bistumssitz in der Graubündner Kantonshauptstadt ein ganz anderes Drehbuch ausgedacht.

Der Verzicht von Generalvikar Grichting auf das Weihbischofsamt - ein "Teilerfolg" der Landeskirchen - sollte für gute Stimmung sorgen. Und im Gefolge wollte man die Initiative zur Abschaffung der Kirchensteuer medial prominent platzieren. Doch die Wirklichkeit überrollte dieses Vorhaben. Denn innerhalb kurzer Zeit traten zwei hochrangige Mitarbeiter zurück, die Bischof Huonder selber ernannt hatte.

Ernst Fuchs, der Leiter des Churer Priesterseminars und Andreas Rellstab, einer der vier Generalvikare, gaben an, ihr Rücktritt sei einer Entlassung durch den Bischof nur zuvorgekommen. Daraufhin hagelte es geharnischte Stellungnahmen von landeskirchlicher und auch klerikaler Seite. Darin war vom "Verheizen" von Kaderleuten die Rede, und die römisch-katholischen Landeskirchen des Bistums Chur forderten erneut die Abberufung des Bischofs: Die Regierung solle wie im "Fall Haas" eingreifen.

Die Landeskirchen zeigen ihre Zähne

Bischof Huonder kündigte an, Rat in Rom zu suchen. Auch die Schweizer Bischofskonferenz (sbk) äußerte sich zu den Vorgängen im Bistum Chur. Sie zeigte sich "besorgt" über die Situation und wünschte, dass das "Powerplay in den Medien" ein Ende habe. Die sbk sah sich auch gezwungen, Generalvikar Grichting zu maßregeln und legte ein klares Bekenntnis zum dualen staatskirchenrechtlichen System ab.

In diesem Zusammenhang wurde ein weiterer Grund der Auseinandersetzungen öffentlich: Bischof Huonders Hang zur Ausbildung erzkonservativer Priester. Dies zeigte eine Analyse von Thomas Binotto, Redakteur des Zürcher Pfarrblatts. Basierend auf Aussagen von Ernst Fuchs, dem Leiter des Churer Priesterseminars, stellte er fest, dass Huonder stark in die Auswahl des Klerikernachwuchses eingreift.

"Der Bischof wünscht sich einen Klerus, der dem Priesterbild der Petrusbruderschaft entspricht." Diese befindet sich ideell in der Nähe der Piusbruderschaft - man erinnert sich: der Papst rehabilitierte vier Bischöfe dieser Gruppierung, unter anderem einen Holocaust-Leugner -, die in der Schweiz an verschiedenen Orten fest verankert ist. Huonders Nähe zur Petrusbruderschaft, die anders als die Piusbrüder das Zweite Vatikanum anerkennt, habe sich bei einem Besuch ihrer Ausbildungsstätte im bayerischen Wigratzbad gezeigt.

"Hier bin ich nicht in meinem Seminar - und doch auch", habe Huonder ausgerufen. Das Ziel des Churer Bischofs wäre demnach, ausschließlich Priester auszubilden, die die Messe im vorkonziliaren, tridentinischen Ritus feiern. Papst Benedikt xvi. hatte diesen Ritus ja wieder zugelassen. Dass Bischof Huonder über den Kopf von Priesterseminarleiter Fuchs hinweg die Aufnahme konservativer Priesteramtskandidaten entschieden habe, sei der Hintergrund des Konflikts zwischen diesem und dem Bischof.

"Gegen den Willen aus der Herde verstoßen"

Redakteur Binotto folgert: "Die große Mehrheit der Katholiken im Bistum Chur - Kleriker wie Laien - wird damit von ihrem eigenen Hirten praktisch ‚entheimatet‘ und gegen ihren Willen aus der Herde verstoßen."

Dabei gibt es unter den Schweizer Katholiken durchaus eine mobilisierbare konservative Basis. So werden in Leserbriefen häufig "bischoftreue" Haltungen sichtbar. Diese Katholiken beunruhigt nicht, dass die Kirchenaustritte im Kanton Zürich zwei Jahre hintereinander jeweils um 50 Prozent anstiegen. Die konservativen Kreise, die auch für eine Trennung von Kirche und Staat eintreten, seien der Meinung, man solle "diese Leute einfach gehen lassen", meint Daniel Kosch, Generalsekretär der römisch-katholischen Zentralkonferenz.

Die Bischöfe der Schweiz spüren konservativen Druck auch aus Rom. Denn die mit dem Schweizer Modell verbundene demokratische Einflussnahme ist im Katholizismus weltweit einzigartig. Entsprechend werde man aus dem Ausland immer wieder kritisiert und "kaum mehr für katholisch gehalten", klagen Schweizer Bischöfe. Und sie vermeiden daher, sich allzu laut und allzu liberal zu äußern.

Bislang letztes Kapitel der Auseinandersetzungen im Bistum Chur waren römische Streicheleinheiten für Bischof Huonder. Der Heilige Vater wünsche sich von ihm "Kontinuität im Dienst", hieß es Anfang April. Und in einem Brief an Mitarbeiter teilte der Bischof mit, dass er sich die "Erwartungen des Papstes zu eigen" machen wolle. Weniger vornehm ausgedrückt: Das Krisenmanagement lautet "Aussitzen".

Daniel Klingenberg

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"