Vom Cover lächelt eine elegante Frau mit Perlenkette, die nur den Wenigsten bekannt sein dürfte: Das Bild zeigt die 1909 in Turin geborene Medizin-Nobelpreisträgerin Rita Levi-Montalcini. Wie viele der in diesem Buch versammelten Frauen legte auch die italienische Medizinerin einen verblüffenden Lebensweg zurück und erkämpfte sich gegen die geltenden Gesetze ihrer Zeit einen Zugang zum ersehnten Beruf.
Weil ihr als Jüdin unter Mussolini der akademische Bereich verschlossen war, diente ihr ein vom Bruder gezimmerter Brutkasten im eigenen Schlafzimmer als Forschungslabor. Später gehörte sie in den USA zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die das Wachstum von Nervenzellen analysierte. Mehr als die wissenschaftliche Leistung imponieren ihr Eigensinn und die Fähigkeit, auf Umwegen zum Ziel zu gelangen, wo der direkte Weg versperrt war. Darin gleicht sie den anderen porträtierten Frauen, die sich auf abenteuerliche Weise den Zugang zu Ausbildung und Beruf erschleichen, erkämpfen oder erbetteln mussten.
Die meisten von ihnen waren nicht wegen ihrer Religion oder Volkszugehörigkeit benachteiligt, sondern wegen ihres Geschlechts. Wie sie gegenüber ihren Gegnern, aber auch gegenüber dem König, dem Dekan und ihrer Familie auftraten und sich mit anderen Frauen und Männern verbündeten, liest sich oft wie ein Krimi. In vielen Fällen mündet der Krimi in eine Erfolgsgeschichte, die andere Menschen beflügeln kann, sich die eigenen Ideen nicht durch scheinbar fest zementierte Grenzen beschneiden zu lassen.
Eine der Frauen, die meilenweit vor ihrer Zeit herlief, war die erste promovierte Ärztin in Deutschland, Dorothea Erxleben (1715-1762). Von ihrem Vater, einem Arzt, ausgebildet, wirkte sie früh als Heilkundige und beschloss, „mich durch nichts vom Studiren abhalten zu lassen, und zu versuchen, wie weit ich in der Arzeneygelahrtheit es bringen könnte“. Sie schrieb ein Bittgesuch nebst Huldigungsgedicht an den König. Statt zu studieren, heiratete sie jedoch einen Witwer mit fünf Kindern und bekam noch vier weitere hinzu. Ihre Praxis betrieb sie dennoch.
Als Kollegen sie wegen Kurpfuscherei anzeigten, beantragte sie, zur Promotion zugelassen zu werden. Zwar hielt man ihr entgegen: "Aus dem Wochen Bette unter den Doctor Huth kriechen, ist ja wohl ein Paradoxon." Doch nach einem neunmonatigen Aufschub nach der Geburt ihres Kindes legte sie ihre Prüfung im Jahr 1754 an der Universität Halle ab.
Ebenso faszinierend wie dramatisch klingt die Geschichte des James Barry, der als Militärarzt eine steile Karriere machte, zu dem Preis, dass er während seines gesamten Arbeitslebens sein Geschlecht verbergen musste. Nach seinem Tod erfuhr die Öffentlichkeit, dass es sich bei dem Arzt um eine Frau gehandelt hatte.
Ganz anders pflegte Sophia Jex-Blake (1840-1912) aufzutreten. Sie lehnte es ab, ihren Weg zur Prüfung durch die Hintertür zu gehen, und ließ sich stattdessen hoch erhobenen Hauptes von männlichen Kommilitonen mit Dreck bewerfen. Der Protest gegen die ersten Medizinstudentinnen in Edinburgh ging als "The Surgeons´ Hall Riot" von 1870 in die Universitätsgeschichte ein. Die historischen Porträts sind eindringlich, pointiert und mit Humor geschrieben, und am Ende, so viel steht fest, gewinnt immer die Frau. Selbst wenn sie nicht all ihre Ziele erreichen kann, dringt sie in das lange verbotene Terrain ein.
Den letzten Abschnitt "Pionierinnen" widmet die Autorin, die selber eine Ausbildung als Heilpraktikerin absolviert hat, vor allem den Vertreterinnen der Alternativmedizin. Hier hätte sie bedeutenden Forscherinnen und Psychoanalytikerinnen mehr Raum geben sollen. Das üppig bebilderte Buch nimmt man immer wieder gern zur Hand, um Unglaubliches und Denkwürdiges aus dem Leben heilkundiger Frauen vom Mittelalter bis in die heutige Zeit zu erfahren.
Annette Kerckhoff: Heilende Frauen. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2011, 160 Seiten, Euro 24,95
Hedwig Gafga
Hedwig Gafga
Hedwig Gafga ist freie Journalistin und lebt in Hamburg.