Brückenschlag

Souvenir als portabiles Paradies?

Wie kann Urlaub, den wir unter erheblichem Einsatz ins Werk setzen, um Erfahrungen zu machen, die uns über den Alltag hinausheben, in diesem so nachwirken, dass sich auch nach der Rückkehr davon zehren lässt? Reiseandenken stehen im Zentrum der Kieler Dissertationsschrift Maraike Heymanns, weil sich damit die Erwartung verbindet, dass sie jenen Brückenschlag zwischen Alltag und Urlaub zu bewerkstelligen vermögen. 

Indes – was ist ein Souvenir? Eine der interessantesten Einsichten, die dieses Buch bereithält, ist jene, dass die untersuchten Objekte nicht von vorneherein jene Qualitäten aufweisen, die sie zu Souvenirs machen. Oft müssen sie sich als solche für ihre Besitzer*innen erst noch erweisen. Die Vorgänge, durch die ein Objekt zu einem Gegenstand persönlichen Werts wird, sind wiederum von praktisch-theologischer Relevanz. Denn sie halten, wie die Verfasserin argumentiert, vielfältige Dynamiken der Verfertigung wie Transzendierung von Alltag und Selbst bereit. Souvenirs sind Vehikel der Sinnproduktion an der Schwelle von Hier und AnderOrt, Objekte der Fabrikation von Bedeutung – mithin des Identitätsmanagements.

Es geht in diesem Buch also nicht primär um materielle Kulturforschung. Der Fokus gilt vielmehr den Menschen, die sich mit Gegenständen verbinden, um das Extraordinäre jener Erfahrungsräume, denen diese entstammen, in ihr Übliches, bisweilen auch allzu Gewohnheitsmäßiges hineinzutragen. Anders gesagt: Heymann widmet sich jenen spannungsreichen, weil zwischen den Sinnprovinzen vermittelnden Aktivitäten, durch die wir uns auch im Alltag Paradiese schaffen. Die Verfasserin erkundet Praktiken der Souvenir-Konstitution und wirft von dort die Frage nach der praktisch-theologischen Valenz dieser Vorgänge auf.

Souvenirs liegen nämlich nicht einfach so bereit, um als Erinnerungsobjekt abgegriffen zu werden. Sie müssen als solche erst konstituiert werden. Aber auch als praktisch-theologischer Forschungsgegenstand bedürfen sie bestimmter theoretischer Zurichtungen. Die Frage nach den Souvenir-Praktiken ist darum aufs Engste mit der Frage verzahnt, wie Souvenirs praktisch-theologisch analysiert werden können.

Die erste Hälfte des Buches betreibt ein ausführliches Assessment der Theorie-Optionen. Das Projekt sieht sich in gleich mehreren disziplinären Forschungskontexten und -diskussionen verortet. Neben Streifzügen in die Kulturgeschichte des Urlaubs rezipiert die Verfasserin unter anderem auch Überlegungen zur Wirkmächtigkeit von Dingen. Das dreipolige Souvenir-Konzept, das sie sodann aus den Daten generiert, basiert auf gründlicher Auseinandersetzung mit den geschilderten Praktiken der Aktivierungs-, Reaktivierungs- und Deaktivierungsarbeit an und mit den zur Diskussion stehenden Dekorations- und Gebrauchsgegenständen. Deutlich wird: Der Umgang mit Souvenirs impliziert neben aktiver Sinnstiftungsarbeit stets auch das Moment des Beschenkt-Werdens. Wo dieses ausbleibt, kommt das Souvenir nicht zustande. Glückt der Prozess des Unterbringens persönlicher Erfahrung im Objekt, vermag es aber – darin einem Portschlüssel aus der Welt Harry Potters vergleichbar – seine*n Besitzer*in mental wie emotional an jene anderen Orte zu versetzen, denen es entstammt.

Als Grenzobjekt zwischen Alltag und Urlaub eröffnet das Souvenir einen eigenständigen Wirklichkeitszugang, dessen Pointe darin liegt, quasi on demand über Ersteren hinauszuführen. Denn Souvenirs lassen sich, so verstehe ich Heymann, als Durchgangsobjekte begreifen, durch die wir uns zeitweilig in andere Erfahrungshorizonte verlieren, die wir, wie das Souvenir auch, selbst gemacht haben. Wir umgeben uns damit nicht bloß aus Nostalgie, die uns den Alltag fliehen lässt, sondern vor allem deshalb, um unterdessen hin und wieder ein bisschen Paradies zu schmecken. Das Souvenir eröffnet uns darin, die Möglichkeiten unseres Selbst erinnernd zu vergegenwärtigen und auszuschöpfen. Und dass es dieses beziehungsreiche, freudvolle und genießbare Mehr gibt, unter dem wir unser vom tagtäglichen Funktionieren vielleicht auch angegriffenes Ich noch vollkommener zur Entfaltung bringen – das scheint mir eine religiöse Hoffnung zu sein, an die sich im Dienste der Förderung einer glaubenden Phantasie gerade auch in der pastoralen Praxis auf vielfältige Weise anschließen lässt.

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Foto: privat

Katharina Krause

Dr. Katharina Krause ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Praktische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.


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