Unverbunden

Theologie in der Klimakrise

Über Theologie in der Klimakrise wurde und wird erhitzt gestritten, auch in dieser Zeitschrift: Ist schon die Vorstellung, der Mensch könnte die Welt zerstören – und bewahren? – Ausdruck der Hybris des Menschen, der glaubt, die Welt in seiner Hand zu halten – im Guten wie im Schlechten? Oder Ausdruck seiner Welt- und Nächstenliebe? Inwieweit ist das, was wir Umwelt nennen, „Schöpfung“? In diese Fragen führt der knapp 130 Seiten fassende Band Vergängliche Schöpfung des Wiener Ethikers Ulrich H. J. Körtner hinein.

Anlass für den Band ist für Körtner die Nähe einiger Teile der evangelischen Kirchen zu zivilgesellschaftlichen Initiativen wie der „Letzten Generation“. Diese greift Körtner politisch und theologisch scharf an: Die gewählten Mittel des zivilen Ungehorsams werden als Mangel an Demokratiefähigkeit gedeutet, und theologisch gefährde eine neue Gesetzlichkeit moralischer Appelle die Reinheit des Evangeliums. Der überraschende Verweis auf die in der ökumenischen Bewegung entwickelte Formel von der Bewahrung der Schöpfung als „gesinnungsethisches Motiv“ mag diese Zuordnung kaum begründen. So scheint die Kritik weniger auf die versprochene theologische Grundlegung denn auf Abgrenzung bis hin zur Delegitimierung dieser für ihn im Phänotyp fremden Formen zivilgesellschaftlichen und kirchlichen Engagements angelegt.

Jenseits dieser Positionsbestimmung bietet der Band in den folgenden Kapiteln die versprochene theologische Kritik: Nuanciert arbeitet Körtner im zweiten Kapitel heraus, wie der Glaube an Gott als Glaube an „das Letzte, die Erlösung der Welt durch Gott“ Grundlage und Bezugspunkt jeden Engagements im Vorletzten, also in der Welt zum Beispiel angesichts der Klimakrise, sein muss. Schöpfung und Evolution werden bedacht wie die Rede vom Menschen als Co-Creator. Dies ist ebenso anregend zu lesen wie die Auseinandersetzung mit dem EKD-Text „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ und mit der Umweltethik Markus Vogts. Das dritte Kapitel unternimmt einen Streifzug durch die Entwicklung ökologischer Ethik. Körtners Ausführungen zur Kritik des Anthropozentrismus, ausgehend von Sündenlehre und Rechtfertigung, lesen sich überzeugend. Die paritätische Darstellung der unterschiedlichen Modellierungen des Klimawandels überrascht hingegen angesichts des gegenwärtigen Forschungsstands in den entsprechenden Fachwissenschaften. Das vierte Kapitel entwickelt eine innovative theologische Land(nutzungs)ethik mit dem Ziel einer Theologie der Erde, deren Idee einer kreativen Natur im Kontext der naturphilosophischen Debatten um das Verhältnis von Natur und Kultur weiter zu diskutieren ist.

Der Leseeindruck zerfällt in zwei Teile, was auch den jeweiligen Erstveröffentlichungsorten der Kapitel geschuldet sein mag: Während die Kapitel zwei bis vier anregende und zum Teil innovative inhaltliche Denkanstöße enthalten, bleiben diese unverbunden mit der Polemik des Eingangskapitels. Irritierend im Blick auf das Ziel, der Gesamtdebatte eine theologische Grundlegung zu bieten, ist Körtners konfessorische Zuspitzung, die mit dem Verweis auf die Reinheit des Evangeliums an den status confessionis grenzt und damit die von ihm kritisierte positionale Abschottung iteriert. Inhaltlich vergibt Körtner damit das Potenzial zu erkunden, wo kirchliches Klimaschutzengagement seine Grundprämissen einer endlichen Schöpfungsverantwortung durchaus teilen kann – aber andere Schlüsse daraus zieht. Denn zivilgesellschaftliches und politisches Engagement ist für weite Teile der kirchlichen Klimabewegung gerade Ausdruck des titelgebenden Gottvertrauens angesichts einer vergänglichen Schöpfung. Dass die anregenden theologischen Impulse somit kaum als Gesprächsangebot gelesen werden dürften, ist nicht nur ein Verlust für den Band selbst, sondern auch für die Debatte und die Theologie in der Klimakrise im Ganzen.

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Foto: privat

Frederike van Oorschot

Dr. Frederike van Oorschot ist Leiterin des Arbeitsbereichs Religion, Recht und Kultur beim Institut für Interdisziplinäre Forschung F.E.S.T. in Heidelberg.


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