„Nicht blauäugig sein“

Warum die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Deutschland (leider) nötig ist
Menschenkette gegen Nachrüstung, Oktober 1983
Foto: picture-alliance
Lang, lang ist’s her: Menschenkette gegen den NATO-Doppelbeschluss auf der B10 zwischen Neu-Ulm und Stuttgart am 22. Oktober 1983.

Die beabsichtigte Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland im Jahr 2026 löst Kontroversen aus. Erinnerungen an den NATO-Doppelbeschluss und 1980er-Jahre werden wach. Aber worum geht es eigentlich genau? Und wie stehen die Chancen für neue Rüstungskontrollabkommen? Ein zeitzeichen-Gespräch mit dem Studienleiter für Internationale Politik an der Evangelischen Akademie Loccum, dem Politikwissenschaftler Thomas Müller-Färber.

 

Herr Müller-Färber, in den vergangenen Monaten wird immer wieder und teilweise mit besorgtem Ton über die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland diskutiert. Zunächst mal: Worum geht es genau, welche Mittelstreckenwaffen werden stationiert? 

Am Rande des NATO-Gipfels Anfang Juli haben das Weiße Haus und die Bundesregierung in einer bilateralen Erklärung bekannt gegeben, dass ab 2026 landgestützte, nicht-nukleare US-Raketen und Marschflugkörper zumindest vorübergehend in Deutschland stationiert werden sollen. Konkret geht es um den Marschflugkörper Tomahawk und die Standard Missile 6 – eine ballistische Rakete. Die Reichweiten liegen zwischen circa 1.600 bis 2.500 km und erreichen somit die westlichen Teile Russlands. Beide Systeme haben eine sehr hohe Präzision und werden vermutlich in kleiner Stückzahl nach Deutschland geliefert. Ebenfalls stationiert werden soll eine sogenannte Hyperschallrakete mit dem Codenamen Dark Eagle. Diese befindet sich aber noch in der Erprobungs- und Entwicklungsphase. Soweit bekannt, hätte Dark Eagle eine Reichweite von mindestens 3.000 km, vielleicht auch mehr. Ballistische Raketen fliegen eigentlich immer Hyperschall – weshalb der Begriff etwas irreführend ist. Dark Eagle wäre aber mit einer hohen mehrfachen Schallgeschwindigkeit unterwegs. 

Und was ist der militärstrategische Zweck dieser Waffen?

Hinter der Entscheidung steht konventionelle, nicht-nukleare Abschreckung gegen ein aggressives und weiterhin imperial denkendes Russland. Parallel zum Angriff auf die Ukraine hat Präsident Putin sein Land auf umfassende Kriegswirtschaft umgestellt. Damit möchte und wird er einen mittelfristigen Rüstungsaufwuchs erreichen, der darüber hinaus geht, was Moskau für seinen Angriffskrieg in der Ukraine benötigt. Abschreckung ist zugegebenermaßen ein sicherheitspolitisches Instrument für raue Zeiten, das in sich immer auch das Risiko des Scheiterns trägt. Aber solange keine andere Möglichkeit vorhanden ist, um geopolitische Unsicherheit und Gefahren zu managen und wenn wir uns explizit auf den konventionellen, nicht-nuklearen Bereich beziehen – dann kann Abschreckung durchaus als defensive Maßnahme verstanden werden, um zukünftige Gewalt einzudämmen und vorzubeugen. Und wenn wir jetzt konkret auf den Bereich landgestützte Mittelstreckenwaffen schauen, hat sich dort zwischen Russland und den europäischen NATO-Staaten ein deutliches Ungleichgewicht aufgebaut. Der Kreml verfügt vermutlich über deutlich mehr als 500 Systeme dieser sehr potenten Waffenkategorie – beispielsweise über den Marschflugkörper SSC-8, die aus dem Iran importierten Raketen Zolfaghar oder über den nun auch von Land aus einsetzbaren ursprünglichen seegestützten Hyperschall-Marschflugkörper Zirkon. Die europäischen NATO-Staaten haben hingegen derzeit kein einziges landgestütztes Mittelstreckensystem. 

Aber die NATO und hier vor allem die USA sind doch militärisch Russland deutlich überlegen. Sollte das bei der Stationierungsentscheidung nicht berücksichtig werden? 

Ja, richtig. Russland ist dem Westen – anders als zu Zeiten der Sowjetunion und des Kalten Kriegs –insgesamt militärisch unterlegen. Das gilt vor allem gegenüber der USA, aber auch für die NATO insgesamt. Allerdings ist das ein numerisches Argument, das nur auf die Zahlengröße der Waffenarsenale blickt, Einsatzszenarien jedoch weitgehend außer Acht lässt. Sicherheitspolitik findet aber nicht in solchen abstrakten Kalkulationen statt, sondern in realen regionalen Konstellationen. Die Stationierung der US-Mittelstreckenwaffen und die konventionelle Abschreckung gegenüber Moskau reagieren auf ein konkretes Szenario regionaler Kriegsführung. In der Fachdebatte wird dafür der zugegebenermaßen sperrige und dringend zu übersetzende Begriff Anti-Access und Area Denial oder auch kurz A2/AD verwendet. 

Okay … könnten Sie das vielleicht etwas ausführen? 

Die Stationierung will auf ein Szenario reagieren, in dem Moskau mit Raketen und Marschflugkörpern versuchen könnte, NATO-Streitkräfte vor allem im Aufmarsch- und Versorgungsraum zu bekämpfen. Im Falle eines russischen Angriffs auf östliche NATO-Staaten, etwa im Baltikum, wären durch den Einsatz entsprechender Waffensysteme Unterstützung und Nachschub gestört. Die rein zahlenmäßige militärische Überlegenheit des NATO-Bündnisses käme so nicht oder nur zeitverzögert zum Zuge. Das bedeutet, dass auf dem Boden bereits militärische Fakten geschaffen wären – beispielsweise das Baltikum oder Teile Polens besetzt – ehe die NATO mit ernstzunehmenden Abwehrmaßnahmen reagieren könnten. Aus der Situation der Ukraine wissen wir, wie schwer es ist bereits verlorenes Gebiet wieder zurückzuerobern. Es handelt sich also um eine Strategie asymmetrischer und regional begrenzter Militäraggression, die gezielt darauf ausgerichtet ist, die nummerische Überlegenheit der NATO und hier vor allem der USA zu umgehe. Zudem stellt es eine Gefährdung dar, die bei einer etwaigen „trumpistischen“ Abkehr Washingtons von Europa nach den Wahlen im November eventuell sogar noch deutlich größer werden könnte. 

Aber warum genau müssen deswegen bis 2026 neue Mittelstreckenraketen stationiert werden? 

Hauptsächlich aus zwei Gründen. Erstens könnten russische Abstandswaffen und deren Abschussrampen durch die hohe Präzision dieser drei US-Systeme ausgeschaltet und zweitens strategisch zentrale Ziele im westlichen Militärbereich Russlands angegriffen werden, wie zum Beispiel mobile Kommandozentralen oder strategisch wichtige Waffenlager. Auf dieser Grundlage könnte ein möglicher russischer Angriff auf die Ostflanke der NATO deutlich leichter durch nachrückende Verstärkungen aus Westeuropa oder den USA abgewehrt werden. Die Kosten für eine etwaige russische Aggression würden steigen. Ein solcher Angriff hätte für Russland folglich nur sehr geringe Erfolgsaussichten und der Kreml würde hoffentlich ganz davon absehen. Somit ist konventionelle Abschreckung hergestellt. 

Aber ließe sich dieser Schutz gegen russische Mittelstreckenwaffen nicht einfach durch Raketenabwehr herstellen? 

Ja, Flugabwehr ist ein weiterer Baustein, der derzeit auch in Europa aufgebaut wird. Hier ist unter anderem die European Sky Shield Initiative zu erwähnen, bei der Deutschland eine tragende Rolle spielt. Leider kann dem Szenario eines russischen Angriffs mit Abstandswaffen allein nicht mit einer defensiven Flug- und Raketenabwehr begegnet werden. Zum einen sind die europäischen Fähigkeiten in diesem Bereich – trotz der derzeit laufenden Initiative – weiterhin unterentwickelt. Zum anderen ist die europäische Landmasse zu groß, um einen zuverlässigen Schutz gegen das große russische Raketenarsenal zu bieten. Das aktuelle Beispiel der Ukraine, die sich allein mit Flugabwehr gegen russische Drohnen, Marschflugkörper und Raketenbeschuss verteidigen muss, ohne die Abschussanlagen direkt angreifen zu können, zeigt, dass dieser Ansatz nicht praktikabel ist.

Warum aber müssen es denn ausgerechnet landgestützte Mittelstreckenwaffen sein? Die NATO hat doch auch see- und luftbasierte Systeme im Arsenal. Kritiker der Stationierungsentscheidung machen auch genau dieses Argument stark und betonen, dass die zur Verfügungsstehenden Systeme zur Verteidigung bereits ausreichend sein. 

Ja, die NATO-Staaten verfügen in der Tat über Mittelstreckenwaffen, die von Flugzeugen und von Schiffen abgefeuert werden können. Aber auch hier haben wir eine Argumentation, die das Einsatzszenario der regionalen Kriegsführung weitgehend außer Acht lässt. In einer Konfrontation mit Russland würde der Luftraum über Europa und den angrenzenden Meeren stark umkämpft sein. Der Einsatz von flugzeug- und schiffsgestützten Systemen erfordert notwendigerweise vorbereitende See- und Luftbewegungen, die entsprechend militärisch vereitelt werden können oder zumindest zusätzliche Vorwarnzeit verschaffen. Besonders geht das Argument der Kritiker:innen jedoch an dem eigentlichen Szenario vorbei. Immerhin ist es ja der zentrale Kern der oben beschriebenen A2/AD Strategie regionaler Kriegsführung, in erster Linie die militärische Aufmarsch- und Versorgungsinfrastruktur ins Visier zu nehmen. Das betrifft zuvorderst Flugplätze und Häfen. Somit wären die heute verfügbaren luft- und seegestützten NATO-Flugkörper kurzer und mittlerer Reichweite in einem solchen Szenario nur mit erheblichen Einschränkungen zu nutzen und auch nur bedingt erfolgversprechend. Eine etwaige militärische Aggression Russlands auf die NATO-Ostflanke allein mit see- und luftgestützten Systemen abschrecken zu wollen, hätte vor diesem Hintergrund somit ein deutliches Glaubwürdigkeitsproblem und würde Gefahr laufen die gewaltvorbeugende Wirkung zu verlieren. Das wäre bei den Systemen, die ab 2026 in Deutschland stationiert werden sollen, anders. Der Begriff land-gestützt ist da etwas irreführend. Richtiger wäre straßen-basierte Systeme. Die Mittelstrecken-Waffen sind auf fahrbaren Abschussrampen montiert und dadurch höchst mobil. Der Stationierungsort in der US-Kaserne bei Wiesbaden ist eher sowas wie die Garage dieser Waffen. In einem Einsatzszenario wären sie irgendwo in der großen Landmasse Westeuropas auf der Strecke und sind daher kaum aufzuspüren – ganz anders als klar lokalisierbare Flugplätze, Häfen oder leicht zu detektierende Kriegsschiffe, die auf der Ostsee oder Nordsee operieren.

Für viele kam diese Stationierungsentscheidung überraschend. Für Sie auch? 

Ja und Nein zugleich. Kurz gesagt: Die Stationierungsentscheidung kam in Fachkreisen nicht überraschend – wurde aber überraschend schlecht kommuniziert.

Inwiefern?

Die bilaterale Erklärung am Rande des NATO-Gipfels kurz vor der Berliner Sommerpause hat zwar die Öffentlichkeit überrascht. Dennoch hatte sich diese Entscheidung bereits länger angekündigt und wurde so auch in Fachkreisen vermutet. Einige Expert:innen verweisen für ihr Nicht-Überraschtsein auf die im vergangenen Jahr erstmals erschienene Nationale Sicherheitsstrategie in der die Entwicklung von weitreichenden Abstandswaffen als einer der wenigen konkreten Punkte deutliche Erwähnung fand. Noch wichtiger finde ich jedoch die nahezu zehnjährige Vorgeschichte dieser Stationierung 

Und die wäre? 

Bis 2019 waren landgestützte Mittelstreckenraketen durch den INF-Vertrag (Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty) – ein Kernelement der nuklearen Rüstungskontrolle zwischen der Sowjetunion bzw. Russland und den USA – verboten. Sechs Jahre zuvor, ungefähr ab 2013, verdichteten sich die Anzeichen, dass Moskau mit der Entwicklung des bodengestützten Marschflugkörpers mit dem Codenamen SSC-8, der vermutlich eine Reichweite von bis zu 5.500 km haben könnte, deutlich gegen diesen Vertrag aus dem Jahr 1988 verstoßen würde. Dieser Einschätzung schließt sich mittlerweile das Gros der Fachwelt an. Moskau wiederum warf den USA vor, Abschussrampen für entsprechende Offensivwaffen in die in Rumänien und Polen stationierte Raketenabwehr gegen iranische Mittelstreckenwaffen integriert zu haben, was ebenfalls einen Verstoß gegen den INF-Vertrag darstelle. Es gab in der Folge dann mehrere amerikanisch-russische Dialogversuche zur Klärung dieser Vorwürfe, die jedoch allesamt scheiterten. Ende 2018 konstatierten dann die NATO-Staaten eine Vertragsverletzung durch Russland. Die damalige Trump-Administration stieg daraufhin aus dem Abkommen aus – ein Schritt, bei dem Washington zugegebenermaßen nicht nur Russland, sondern auch Entwicklungen in China im Blick hatte. Moskau folgte kurz darauf und der INF-Vertrag lief im Sommer 2019 aus. Nach dieser Vertragsverletzung wurde in Fachkreisen daher zweierlei erwartet. Erstens eine spiegelbildliche Reaktion des Westens auf die Inbetriebnahme der russischen Mittelstreckenwaffe SSC-8 ­– zumal die NATO in ihrer Reaktion auf das Ende des INF-Vertrags bereits eine mögliche Stationierung konventioneller Raketen und Marschflugkörper als Option genannt hatte. Zweitens – und daher kommt dann doch meine große Überraschung – hat man erwartet, dass es bei einem solchen Schritt zu einem intensiven öffentlichen Diskussionsbedarf kommen würde. Vor allem weil die Analogie zum NATO-Doppelbeschluss der späten 1970er/1980er-Jahre sich stark aufzwingt – unabhängig davon, dass dieser historische Bezug eher unzutreffend ist und zu verzerrten Lageeinschätzungen führen kann. Deshalb musste eigentlich jedem deutlich vor Augen stehen: Wird eine solche Stationierung angekündigt, muss sie öffentlich sorgfältig begründet werden. Wenn das nicht passiert, dann ist klar, dass die Debatte mit Annahmen und Vermutungen gefüllt wird und mit Sicherheit in den vertrauten, sachlich allerdings unzutreffenden Kategorien der Auseinandersetzung der 1980er-Jahre erfolgt. 

„Vertraute aber unzutreffenden Kategorien der Auseinandersetzung der 1980er“ – Was wollen Sie damit andeuten? 

Vielleicht ein Beispiel: Zwar ist in der Debatte mittlerweile angekommen, dass die Systeme, die ab 2026 nach Deutschland kommen konventionell und nicht-nuklear sind. Eine nachträgliche Nachrüstung mit atomaren Sprengköpfen ist technisch nicht möglich. Dennoch zirkulieren in der Diskussion oft noch Argumente, die aus den 1980er Jahren kommen als US-Mittelstreckenwaffen in der Tat häufig nuklear bestückt waren. Nehmen wir für ein solches fälschlich nuklear-geframtes Argument das Beispiel der hohen Fluggeschwindigkeit und der kurzen Reaktionszeit, die von Kritikern oft stark gemacht wird. Bei nuklearbestückten Mittelstreckenwaffen ist das in der Tat ein großes Problem – und einer der Hauptgründe, warum landgestützte Systeme in den 1980er Jahren durch den INF-Vertrag verboten waren. Für den Angegriffenen, der einen einfliegenden Gefechtskopf erkennt, bleibt keinerlei Zeit für Verifikation und Rücksprache. Es muss hingegen sofort mit einem Gegenschlag reagiert werden. Ein Fehlalarm, den es in der Geschichte der Nuklearwaffen schon öfters gab, könnte potenziell zu einer Eskalation führen, die nur noch schwer einzufangen wäre und die potenziell den gesamten Planeten gefährden könnte. Konventionelle Mittelstrecken-Raketen wie sie ab 2026 in Wiesbaden stationiert werden, transportieren zwar eine Menge Sprengstoff – in der Regel zwischen 500 bis 700 kg TNT. Aber eine einzige Explosion – anders als bei einem Nukleargefechtskopf – hebt nicht gleich die Welt aus den Angeln. Hier haben wir also eine falsche, nuklear-überzeichnete Analogie aus den 1980er-Jahren, die damit die aktuelle Debatte verzerrt.

Was ist Ihre Einschätzung: Macht die Stationierungsentscheidung Europa sicherer, oder ist es ein Eskalationsrisiko? 

Der Schritt stärkt konventionelle Abschreckung und macht Europa daher – so meine Einschätzung – in einer schwierigen sicherheitspolitischen Lage ein bisschen sicherer. In der Sicherheitspolitik und vor allem wenn mit Abschreckung hantiert wird, gibt es aber sehr häufig auch Eskalationsrisiken. Das ist auch hier so. Das Eskalationsrisiko ist vermutlich gering aber eben nicht Null. Russland wird auf jeden Fall reagieren – zuallererst mit Desinformationen über die deutsch-amerikanische Stationierungsentscheidung. Diesem potenziellen Risiko sind in einer Güterabwägung aber stets die Kosten gegenüberzustellen, die ein weiteres Leisetreten in puncto Mittelstreckenwaffen gegenüber Moskau zur Folge hätte. Hier ließe sich argumentieren, dass Russland ohne die Verstärkung der konventionellen Abschreckung der NATO ab 2026 von einer komfortableren sicherheitspolitischen Lage für die Durchsetzung eigener Ziele hätte ausgehen können. Dies könnte die Risikobereitschaft Moskaus für etwaige Aggressionen an der NATO-Ostflanke erhöhen, die von vielen Expert:innen für den Fall erwartet werden, dass Russland in der Ukraine letztendlich doch militärisch erfolgreich sein sollte. Gerade dann aber würde sich eine Entscheidung gegen eine Stationierung von Mittelstreckenraketen nicht als friedensfördernd, sondern als friedensbedrohend erweisen. Um dieses Risiko besser handhaben zu können, wäre es jedoch sehr ratsam – und viele Forderungen gehen ja in diese Richtung – die Stationierungsentscheidung mit verstärkten Anstrengungen im Bereich Rüstungskontrolle, Risikominimierung und Eskalationskontrolle zu flankieren. Das ist bisher nicht überzeugend geschehen. 

Wie sehen Sie die Chance, dass da noch etwas passiert bis 2026? 

Hier darf man natürlich nicht blauäugig sein. Auch kleine Schritte in Richtung Rüstungskontrolle sind unter den derzeitigen geopolitischen Bedingungen – und vor allem solange der Ukrainekrieg läuft – sehr schwer zu erzielen. In den letzten zehn Jahren sind viele Verträge, die es einst in diesem Bereich gab, erodiert. Zahlreiche Initiativen für einen Neustart der Rüstungskontrolle scheiterten. Dennoch ist es ein Versuch wert, hier zumindest einen Wiedereinstieg zu versuchen und die Zeit bis zur Stationierung in zwei Jahren in diesem Sinne produktiv zu nutzen. Einige Vorschläge zirkulieren dazu ja schon in der Debatte. Für den deutschsprachigen Raum sind hier zum Beispiel Ideen von Oliver Meier vom European Leadership Network oder von Jonas Schneider und Torben Arnold von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu nennen. Dennoch müssen sich alle, die mit guten Gründen am evangelischen Leitbild des gerechten Friedens festhalten, darüber im Klaren sein: Gerade weil Frieden mehr ist als nur die Abwesenheit von Krieg, weil die Garantie der Menschenrechte und der Abbau von Not sowie die Anerkennung unterschiedlicher Lebensformen zu einem gerechten Frieden dazugehören, liegt ein weiter Weg vor uns, wenn es um den Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur geht. Rüstungskontrollgespräche könnten im besten Fall ein Einstieg sein, um hier vorsichtig Vertrauen neu aufzubauen.

Die Fragen stellte Reinhard Mawick

 

 

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Foto: Nils Bäßler / Copyright: Ev. Akademie Loccum

Thomas Müller-Färber

Thomas Müller-Färber ist Studienleiter für internationale Politik an der Evangelischen Akademie Loccum und promovierter Politikwissenschaftler. Zuvor war er für die Abrüstungsabteilung des Auswärtigen Amtes sowie in der Forschung und Politikberatung tätig – unter anderem an der Berliner Hertie School, der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und am Weatherhead Center der Harvard University. 


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