Der Verfassungsschutz sind wir

Die Herausforderungen für Kirche und Diakonie im Kampf für die Demokratie
Der Wichernempfang der Diakonie Deutschland widmete sich diesmal dem Kampf für die Demokratie. Festredner war Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer
Fotos: Diakonie/Alek Zivanovic
Der Wichernempfang der Diakonie Deutschland widmete sich diesmal dem Kampf für die Demokratie. Festredner war Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer.

Mehrere leitende Geistliche der deutschen Kirchen haben sich jüngst öffentlich klar gegen die AfD positioniert. Doch der Einsatz für die Demokratie in Kirche und Diakonie findet auf vielen Ebenen statt, mit jeweils unterschiedlichen Herausforderungen. zeitzeichen-Redakteuer Stephan Kosch beschreibt eine manchmal schwierige Gratwanderung.

Der „Brennende Dornbusch“ ist beeindruckende 18 Meter hoch. Einige Dutzend Glasscheiben in Blau und Grün, eingefasst in einen rot-braunen Rahmen, daraus besteht das Kunstwerk von HAP Grieshaber aus den frühen 1960er-Jahren in der Genezarethkirche in Berlin-Neukölln. Es trennt die Orgel vom Altarraum ab, soll erinnern an die erste Begegnung zwischen Mose und Gott, lässt an diesem Abend aber auch andere Assoziationen aufkommen. Eine Schutzwand für die Demokratie etwa, oder eine Brandmauer gegen ihre Feinde.

Die Diakonie Deutschland hat zum traditionellen Wichernempfang geladen, die Kirche ist voll besetzt mit Gästen aus Kirche, Politik und Diakonie. Und vor dem Dornbusch hält einer eine flammende Rede, Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer. Bereits vor vier Jahren warnte er im zeitzeichen-Interview vor den „Neuen Rechten“ und die Bedrohung, die sie für die Demokratie darstellen. Aber heute Abend schlägt er mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen einen noch schärferen Ton an. „Ist 2024 ein Schicksalsjahr? Wenn es der AfD gelingt, Regierungsverantwortung zu übernehmen, dann wird es ernst mit der Frage, wie geht es mit unserem Rechtsstaat weiter.“ Das Gleiche gelte für die unabhängige Justiz, die Demokratie, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Und wer meine, dass sich die Partei demaskieren würde, wenn sie in politische Verantwortung käme, dem müsse er sagen „das wird schiefgehen, wie das schon mal schiefgegangen ist.“

Er erinnerte an das Beispiel der NSDAP und der nationalkonservativen DNVP unter Franz von Papen, der glaubte, Hitler in einer Koalition kontrollieren zu können. Was Björn Höcke, Spitzenkandidat der AfD in Thüringen, sagt und schreibt, müsse man ernst nehmen, meint Kramer. Es gehe um Rechtsextremismus im vermeintlich bürgerlichen Schlafrock. Die Neue Rechte und die klassischen Rechtsextremen seien sich in vielem einig, lehnten beide die parlamentarische Demokratie ab. „Die Weimarer Republik ist nicht an zu vielen Nazis gescheitert, sondern an zu wenigen, die die Demokratie jeden Tag verteidigt haben.“

Dass Kirche und Diakonie zu den Verbündeten im Kampf für die Demokratie gehören, daran ließ auch Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch, der zum ersten Mal zum Wichernempfang lud, keinen Zweifel. „Rechtsextreme behaupten, soziale Organisationen müssten sich politisch neutral verhalten, wenn sie öffentliche Fördergelder erhalten“, sagte er. Auf diese Weise solle Kritik an rassistischen, antisemitischen, antimuslimischen, minderheitenfeindlichen und antidemokratischen Positionen und Äußerungen delegitimiert werden. „Richtig ist, dass deutliche Kritik an solchen menschenverachtenden Positionen geradezu geboten ist. Wir verhalten uns gegenüber diesen Parolen nicht neutral“, sagte er. Man müsse deutlich machen, „welche verheerenden Folgen ein weiterer Zugewinn an Einfluss und an politischer Macht der extremen Rechten für unser demokratisches Gemeinwesen hätte“. Er stellte klar: „Wir sind Verfassungsschützer:innen.“ 

Für Christen nicht wählbar

Damit reihte sich Schuch ein in viele deutliche Statements aus dem kirchlichen Raum, die in diesem Superwahljahr klar Position für die Demokratie und gegen die AfD und andere Rechtsextreme bezogen. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte schon im Februar erklärt, dass die AfD für Christen nicht wählbar sei. Einige Tage später schloss sich Kirsten Fehrs, amtierende Ratsvorsitzende der EKD, dieser Warnung an. Völkisch-nationale Gesinnungen sowie menschenverachtende Haltungen und Äußerungen seien mit den Grundsätzen des christlichen Glaubens in keiner Weise vereinbar, betonte die Hamburger Bischöfin. „Wir ziehen daraus die gemeinsame Konsequenz, vor der Wahl rechtsextremer Parteien einschließlich der AfD zu warnen, weil sie Minderheiten ausgrenzen und die Demokratie gefährden.“ Zudem sprach sie sich für eine rechtliche Prüfung der Vereinbarkeit von Kirchenämtern und dem Engagement für die AfD aus.

Hintergrund dafür ist die Kandidatur eines Pfarrers in Sachsen-Anhalt als Parteiloser für die AfD bei der Stadtratswahl in Quedlinburg. Die Mitteldeutsche Landeskirche (EKM) hat ihm die Beauftragung für eine Pfarrstelle entzogen und ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Auch die Synode der EKM bezog jüngst klar Position gegen die AfD. Vor einer Regierungsbeteiligung der AfD werde eindringlich gewarnt, erklärte das Kirchenparlament zum Abschluss seiner Frühjahrstagung. Dies gelte auf allen politischen Ebenen.

So weit, so wichtig und anders als vor gut 90 Jahren, als die Spitzenvertreter der Kirchen nicht zu Verteidigern der Demokratie gehörten und „Deutsche Christen“ der Nazi-Ideologie die Kirchentüren öffneten. Aber, so Stephan Kramer an diesem Abend, Politik ist „Kontaktsport“, und die Demokratie müsse täglich verteidigt werden. Zum Beispiel, wenn eine Pfarrperson beim Kirchkaffee einen Satz wie diesen hört: „So ein schwuler Pfarrer ist nicht gerade ein gutes Vorbild für unsere Jugend.“ Oder wenn eine Pflegekraft von einer Patientin gefragt wird, ob sie nicht immer anstelle der Kollegin aus Polen komme könnte, weil die einen schlechten Ruf wegen Diebstahls hätten. Oder, wenn bei einer Diskussion ein Kollege aus der Mitarbeitervertretung darauf hinweist, dass Juden für viele ein Feindbild wären, weil sie sich ja für das auserwählte Volk hielten.

Diese und viele andere Beispiele sind zu finden in einer Broschüre und auf einer Website der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz mit dem Titel „Zusammen streiten“. Sie liefern auch mögliche Reaktionen und Argumentationshilfen für solche Situationen. Denn klar ist: So wichtig eine inhaltliche Abgrenzung von rechtspopulistischen Narrativen ist, eine Ausgrenzung derjenigen, die diesen glauben, ist auf Dauer auch keine Lösung. Etwa ein Drittel der AfD-Wähler:innen gelten zwar als Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild, die sich wohl nur schwer davon abbringen lassen. Doch Gespräche mit den anderen könnten sich lohnen, sagt Ursula Schoen im Gespräch mit zeitzeichen. Sie ist Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. „Wir wollen Raum geben, auch Ängste auszusprechen, und gleichzeitig trotzdem Haltung zeigen und für unsere Werte einstehen.“

Deshalb beteiligt sich die Diakonie in Berlin und Brandenburg, wie auch andere Landesverbände der Diakonie, an dem überwiegend aus Bundesmitteln finanzierten Projekt „Demokratie gewinnt“ und bildet seit über zehn Jahren „Demokratieberater“ aus. In unterschiedlichen Modulen haben mittlerweile 88 Menschen aus unterschiedlichsten Arbeitsbereichen gelernt, wie man mit Anhängern von Verschwörungstheorien oder rassistischen Ideologien umgeht, wie man Haltung klar kommuniziert und rote Linien markiert, die nicht mit dem an der Bibel und der Menschenwürde ausgerichteten diakonischen Leitbild in Einklang zu bringen sind. Aber auch hier gilt: „Sympathisant:innen rechtspopulistischer Positionen und Vorurteile in der Mitarbeiterschaft oder Klientel werden nicht kategorisch ausgeschlossen. Kritischer Austausch und Aufklärung stehen an erster Stelle.“ So steht es in der erwähnten Broschüre „Zusammen streiten“.

Und es fällt auf: Anders als in den offiziellen Statements von der Kirchenspitze wird kein einziges Mal ausdrücklich die AfD als Gegner genannt. Ursula Schoen beschreibt es so: „Wir positionieren uns klar gegen Rechtsextremismus und -populismus. Dieser findet sich auch eindeutig in den Programmen und öffentlichen Aussagen der AfD wieder. Unsere Strategie zielt aber darauf, für Vielfalt, Toleranz und Menschenwürde ins Gespräch zu kommen.“ Die Erfahrung in den diakonischen Einrichtungen zeige, dass sich die Gesprächspartner in Mitarbeitendenschaft und Klientel verschließen, wenn eine Partei pauschal abgeurteilt wird. Eine gute Gesprächskultur macht diese auch für die dringend benötigten Fachkräfte attraktiv. „Es ist ein schmaler Grat. Aber wir müssen jetzt die Wege offen halten und Ängste ernst nehmen. Für eine lebenswerte Gesellschaft“, stellt Ursula Schoen fest. 

Zusammenarbeit der Akademien

Das Miteinander von Abgrenzung und Gespräch beschäftigt auch die Evangelischen Akademien in Ostdeutschland, deren Direktor:innen im Superwahljahr 2024 bei monatlichen Treffen mit Wissenschaftler:innen, Medienvertreter:innen und Theolog:innen über den Umgang mit rechtsradikalen Parteien reden. Im März ging es um die Frage „Dialog oder klare Kante“. Friederike Krippner, Direktorin der Evangelischen Akademie in Berlin, erklärte dazu: „Das Gespräch zu suchen mit dem einzelnen Menschen, den ich kenne, lohnt immer. Beziehung ist stärker als Propaganda. Aber das Gespräch im öffentlichen Rahmen mit AfD-Funktionären lehne ich mittlerweile ab. Wir erleben, wie das öffentliche Gespräch durch Missachtung aller Regeln des Diskurses für Propaganda missbraucht wird.“

Sebastian Kranich, Direktor der Evangelischen Akademie in Thüringen, beschreibt im Gespräch mit zeitzeichen den Hintergrund der Veranstaltungsreihe „Wir wollen in Ostdeutschland enger zusammenarbeiten, denn unsere Demokratie ist gerade besonders herausgefordert.“ Eine Regierungsübernahme durch die AfD in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg halte er für unwahrscheinlich. Aber möglicherweise erhalte sie so viele Stimmen, dass sie über eine Sperrminorität verfüge. Deshalb gehe es den Akademien nun auch darum, Positionen zu markieren und den öffentlichen Raum nicht der AfD zu überlassen. „Der Montag darf nicht von den anderen besetzt werden. Das ist schließlich der Tag, an dem zur Wendezeit auch mit kirchlicher Beteiligung die Demokratie erstritten wurde.“ Nun gehe es darum, sie zu verteidigen.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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