Kennen Sie Gregor Joseph Werner? Nie gehört? Macht nichts. Das ging mir auch so, bis vor ein paar Jahren war dieser Werner ein Phantom. Dann aber gewann er (Klang-)Gestalt, denn er geriet in den Fokus von Lajos Rovatkay.
Lajos Rovatkay? Der ist nun alles andere als ein Phantom, selbst wenn sein Name über die Grenzen Hannovers hinaus meist nur Kennerinnen und Eingeweihten bekannt ist. Der Cembalist, Ensembleleiter und Musikpädagoge, ein gebürtiger Ungar, floh 1956 vor den Kommunisten nach Deutschland und spielte dann eine profunde Rolle bei der Implantierung der Alten Musik hierzulande: Seit 1962 unterrichtete er Orgel und Cembalo an der Musikhochschule Hannover und von 1975 bis zu seiner Pensionierung 1998 leitete er das dortige Studio für Alte Musik. So prägte Rovatkay Generationen von Musiker:innen auf dem Gebiet der historischen Aufführungspraxis. Gleichzeitig ist er selbst ein Forscher und Entdecker par excellence. Nur ein Beispiel: 1989 führte er anlässlich des 300-jährigen Opernjubiläums in Hannover die Oper „Enrico Leone“ des italienischen Barockkünstlers Agostino Steffani (1654–1728) auf, der einige Jahre in Hannover gewirkt hatte und dessen opulentes Werk Rovatkay in Archiven gefunden hatte.
Nun ist der Schatzsucher auf einen neuen Künstler gestoßen, eben besagten Gregor Joseph Werner. Der Österreicher (1693–1766) verbindet in seinem Werk Barock und Klassik auf sehr kunstvolle und schöne Weise. Rovatkay hat nun zusammen mit versierten Solisten und dem achtköpfigen Voktett, einem erlesenen achtköpfigen Vokalensemble junger Sänger:innen aus Hannover, und dem Barockorchester La festa musicale Messen und Motetten Werners eingespielt. Er war übrigens Vorgänger von Joseph Haydn als Hofkapellmeister beim Fürsten Esterházy in Eisenstadt. Werners Werke sind von erlesener Schönheit. Sie vereinen kunstvollst die Strenge barocken Kontrapunkts mit Melodik und Harmonik, die bereits an die Wiener Klassik erinnert. Ohne Frage eine lohnende Entdeckung!
Nach der nunmehr dritten CD mit Werken von Gregor Joseph Werner, die Rovatkay mit den Seinen veröffentlichte, hat es auch die Fachwelt gemerkt und die Silberscheibe mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Dieser Preis trifft die Richtigen: Denn selten hat man so wunderschöne, ausgewogene Gesangsleistungen gehört – sowohl in den Soli wie auch im Tutti. Und dieser Preis trifft besonders den Richtigen: Sollten Sie sich gewundert haben, dass Lajos Rovatkay bereits 1998 pensioniert wurde, so liegt das schlicht daran, dass der überaus rüstige Künstler, Jahrgang 1933, im vergangenen September seinen 90. Geburtstag (!) feierte – natürlich mit einem selbstgespielten Orgelkonzert. Da kann man nur hoffen: Ad multos annos!
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.