Klarheit ohne Entweder-Oder

Ratsvorsitzende Kurschus will in krisengeschüttelter Welt Hoffnung durch Glauben vermitteln
EKD-Ratsvorsitzende Kurschus während ihrer Rede
Foto: ekd
EKD-Ratsvorsitzende Kurschus während ihrer Rede

Zum Auftakt der EKD-Synode in Ulm hat die Ratsvorsitzende Annette Kurschus zu den großen gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart deutlich Stellung bezogen und dabei trotz aller Krise Hoffnung aus dem Glauben vermittelt. Die Synodalen klatschten Beifall. Kontrovers wurde es allerdings beim Thema Schwangerschaftsabbruch.

Die Zustandsbeschreibung ist nicht gerade ermutigend: „Selten war die Hoffnung so kleinlaut und schwindsüchtig, selten waren unsere Gewissheiten so labil und zerbröselt wie in diesen Zeiten, da sich Krise an Krise reiht und Unheil auf Unheil türmt.“ Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der EKD, macht in ihrer Rede klar, dass die Welt, in der sich die 13. Synode zu ihrer vierten Tagung in Ulm trifft, vor großen Herausforderungen steht. Die dramatische Zuspitzung des Nahost-Konfliktes nach dem Terrorangriff der Hamas, der wieder offen zu Tage tretende Antisemitismus in Deutschland, die Debatte über den Umgang mit Asylsuchenden, der wachsende Rechtsradikalismus, die Debatte um Migrationspolitik, die an Schärfe zunimmt und nicht zuletzt die Klimakrise – die Welt brennt lichterloh. Und ausgerechnet jetzt beschäftigt sich die Synode mit dem Thema „Sprachfähigkeit im Glauben“?

Nicht ausgerechnet jetzt, sondern gerade jetzt: „Den Überschuss an Halt und Hoffnung und Gewissheit, der im Gotteslob schwingt und unser Tun beflügelt, bringt niemand in die Welt, wenn wir´s nicht tun.“ So formulierte es die Ratsvorsitzende gleich zu Beginn ihrer Rede, die alle genannten Punkte ansprach. Dabei zeigte sie im bekannten nachdenklichen, differenzierten und doch das klare Wort nicht scheuenden Kurschus-Sound Haltung. Und sie öffnete immer wieder auch Räume jenseits des gegenwärtig so oft geforderten „Entweder-Oder“.

Gegen Antisemitismus und Hass auf Muslime

Zum Beispiel mit Blick auf die Situation im Heiligen Land. Kurschus bezog klar Stellung, nannte die Hamas eine „antisemitische Terrororganisation“, und jeden Versuch, das Massaker vom 7. Oktober zu relativieren, Antisemitismus. Jedes „Ja, aber“ verharmlose, Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, wie es jedem anderen Land auch zugestanden würde. Doch dann: „Es ist töricht, und darum mache ich dabei nicht mit, die Solidarität mit Israel und die Empathie für die palästinensischen Opfer in ein Entweder-Oder zu zwingen.“ Es bedeute keine Entsolidarisierung mit Israel, „wenn wir mit unseren christlichen Brüdern und Schwestern im Heiligen Land verbunden bleiben. Es ist keine Entsolidarisierung mit Israel, völkerrechtliches Augenmaß, humanitäre Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung zu fordern.“

Kein Entweder-Oder auch beim Kampf gegen den Antisemitismus im Inland, der nicht nur bei den anderen existiere. „Er kommt aus unserer christlichen Geschichte, er keimt auch in unserer Mitte, unter unseren Kirchenmitgliedern. (…) Lasst uns weiter dagegen arbeiten.“ Und dann sagte sie: „Lasst uns dabei dem antimuslimischen Ressentiment widerstehen! Auch das unbedingt.“ In der Debatte um Migration etwa tarne sich gegenwärtig „unverschämter Hass auf Muslime als Israelfreundlichkeit. In Wirklichkeit ist es purer Rassismus. Und unser Glaube drängt uns, dagegen sehr deutliche Worte zu sagen.“

Kritik an Scheinlösungen

Dem Thema Migration widmete sich Kurschus eine ganze Weile in ihrer Rede und übte Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz und den CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz – ohne diese freilich direkt beim Namen zu nennen.  „Wir werden niemals mitmachen, wo aus Angst vor weiteren Wahlerfolgen der AfD Scheinlösungen vorgetragen werden, die nichts austragen. Grenzkontrollen, Abschiebungen im großen Stil und ein paar Piesackereien, die Flüchtlingen das Leben schwerer machen sollen, lösen nichts, sie lösen lediglich noch mehr Ressentiments aus.“ Kurschus betonte: „Ich jedenfalls lasse mir die Barmherzigkeit nicht ausreden und werde andere weiterhin an die Barmherzigkeit erinnern.“ Und auch hier hinterfragte sie einen vermeindlichen Gegensatz, und zwar den zwischen „Idealisten“ und „Realisten“: „Wie realistisch ist eigentlich die Vorstellung, wir könnten uns die Wirklichkeit einer Welt, die lichterloh brennt angesichts globaler Konflikte und Kriege und einer sich zuspitzenden Klimakatastrophe, effektiv vom Halse halten?“

Streit um §218

Für all das, und auch für die theologischen Erläuterungen zur Thema „Apokalypse“ als „Protest- und Hoffnungsrede im Angesicht einer Welt, in der alles ins Chaos zu stürzen scheint“, gab es während der Rede und vor allem danach Zustimmung und langen Applaus, wenn auch weniger euphorisch als im letzten Jahr. Lag es vielleicht an den wenigen Zeilen, in denen Kurschus auf die Stellungnahme der EKD zur geplanten Reform der gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch einging? „Wir ringen um eine verantwortliche, christlich gegründete Position, wenn es um die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs geht. Dazu haben wir eine Kommission auf den Weg gebracht, in der Argumente ausgetauscht und einer insbesondere innerkirchlich konsensfähigen Meinungsbildung zugeführt werden sollen.“

Mehr nicht. Tatsächlich beinhaltet aber die Stellungnahme der von der EKD berufenen Kommission zum Thema einen Paradigmenwechsel mit Blick auf die Rolle des Strafrechts beim Schwangerschaftsabbruch und sorgte für Kritik unterschiedlichen Inhalts. Der gemeinsame Weg mit der katholischen Kirche werde verlassen, die theologische Unterfütterung fehle, die Debatte an sich sei nicht transparent geführt worden, sondern einer Ad-Hoc-Kommission überlassen worden – so die Vorwürfe, die auch in der Aussprache zum Bericht der Ratsvorsitzenden wiederholt wurden.

Im Gespräch bleiben

Ratsmitglied Thomas Rachel, der sich bereits im Rat gegen die Stellungnahme ausgesprochen hatte, fragte, ob es sinnvoll sei, dass die evangelische Kirche zu Beginn der Beratung über mögliche Reformen einen „bewährten und tragfähigen Kompromiss“ in Frage stelle und beide Kirchen nun „in wesentlichen Lebensfragen getrennt voneinander gehen“. Er warnte vor möglichen Folgen eines abgestuften Lebensrechts im gesellschaftlichen Bewusstsein auch beim Thema Sterbehilfe und Umgang mit behinderten Menschen. Der Synodale Friedemann Kuttler bemängelte eine fehlende theologische Unterfütterung und betonte, dass der Maßstab für die Neuausrichtung nicht die gesellschaftliche Veränderung sein kann, sondern die „Nachfolge Jesu und die Bibel“. Und der Synodale Steffen Kern kritisierte mangelnde Stringenz mit Blick auf das jederzeit geltende Lebensrecht ungeborenen Lebens in der Stellungnahme, von der sich viele Evangelische nicht vertreten fühlten. Deshalb schloss er sich der Aufforderung des württembergischen Landesbischofs Ernst-Wilhelm Gohl an: „Lasst uns nochmal reden.“

Statt Kurschus reagierte auf diese Kritik zunächst die Stellvertretende Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs. Die EKD sei aus der Politik dezidiert um eine Stellungnahme zur rechtlichen Regelung gebeten worden, die eine Ad-Hoc-Arbeitsgruppe dann erarbeitet habe. Sie sei „ein erster Klärungsschritt.“ Der Grundansatz der Stellungnahme sei kein prinzipien-, sondern ein verantwortungsethischer. „Wir sollten Frauen in der Situation einer nicht gewollten Schwangerschaft nicht bestrafen, sondern sie unterstützen.“ Aber sie machte auch klar: „Es ist der Beginn der Debatte, nicht der Endpunkt.“

Der sächsische Landesbischof Tobias Bilz unterstützte Fehrs und machte klar: „Der Text spricht sich für den Schutz des ungeborenen Lebens aus.“ Und er verweise auf das Verantwortungsbewusstsein für das ungeborene Leben, nicht nur der werdenden Mutter, sondern auch das der gesamten Gesellschaft. Zur Kritik an dem abgestuften Lebensrecht verwies er auf die Erfahrung aus seiner eigenen Ehe, in der Schwangerschaften nicht zu einer glücklichen Geburt kamen. Und aus dieser Erfahrung könne er sagen, dass es einen Unterschied mache, zu welchem Zeitpunkt eine Schwangerschaft beendet werde. Er warb dafür, gemeinsam weiter über den Entwurf im Gespräch zu bleiben.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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