Schonungslos

Mimi Fiedlers Suchtgeschichte

Trinkerbelle ist die Geschichte der ehemaligen Schauspielerin Mimi Fiedler und ihrer Alkoholsucht. Doch es dauert 80 Seiten, bevor sie ihren ersten Vollrausch erlebt, mit 14, animiert von einer Nachbars­tochter auf einer privaten Silvesterfeier, scheinbar aus Übermut und Langeweile. Zum ersten Mal trinkt Mimi sich in ihr „Ghost Kingdom“, in die Welt, in der sie die Heldin ist. „Da gibt es nur mich und meinen Thron. Und dort sitze ich, unbesiegbar und abseits von der realen Welt, die mich mit dem gewetzten Messer bedroht.“

Was genau sie bedroht, ist noch nicht ganz klar, trotz der ausführlichen Schilderung der Familiengeschichte auf den vorherigen Seiten. Sie reicht bis zurück zum Urgroßvater Ivan, Ende des 19. Jahrhunderts im damaligen Königreich Dalmatien, heute eine Region in Kroatien. Doch schon hier blitzt das Thema auf, das mehrere Generationen der Familie beschäftigen wird: Schuld, oder besser ein Schuldgefühl, für das es keinen Grund gibt. Denn es war nicht das Gebet der Großmutter, das den Urgroßvater bei einem Unfall hat sterben lassen. Ebenso wie Mimis Schwester nicht todkrank wurde, weil sie, als glückliches Einzelkind, Jesus und Maria gebeten hat, sie lieber nicht zur Welt kommen zu lassen. Die Schwester überlebt, das Schuldgefühl bleibt – gewiss ein Treiber hinein in die Sucht.

Der zweite, wahrscheinlich noch stärkere Grund für den Sturz in die Sucht und die ständigen Vernebelungen durch den Alkohol war der als Kind erlebte sexuelle Missbrauch, jahrzehntelang verdrängt und irgendwann wieder im Bewusstsein. Im Buch ist dieser Rückblick auf die Tat eine der beeindruckend geschriebenen Stellen, die Mimi Fiedlers versierten Umgang mit Sprache zeigen. Sie nutzt nur das perfide Bild des Täters für das, was Mimi an ihm tun soll. Doch es ist alles bestürzend eindeutig. Der Täter wiederum nutzt ihr Schuldgefühl, das, wie beschrieben, schnell zu wecken ist. Und er entgeht leider der Konfrontation mit der Tat durch Mimi Jahrzehnte später.

Es ist eine zentrale Stelle in dem Buch, das aber vor allem durch die schonungslosen Berichte über vollgepinkelte Unterhosen, stinkenden Atem und Löcher in der Seele nach jedem Alkoholexzess beeindruckt. Dabei kennt man Mimi Fiedler doch als schöne TV-Schauspielerin, etwa aus dem Stuttgarter „Tatort“. Aber das ewige Rollenspiel ist Teil des Problems. So auch bei einem Date mit einem reichen Mann, das verheißungsvoll beginnt und im Desaster endet, weil sie sich im feinen Restaurant in Kürze in den Vollrausch trinkt. Nicht das letzte Mal in diesem Buch. Auch der Gang in eine teure Privatklinik ist nur einer von vielen Schritten im Kampf gegen die Krankheit, die eben in allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen ist. Doch egal, ob man sich mit billigem Korn oder teurem Rotwein betrinkt, der Schaden ist riesig, auch in Mimis Leben und dem ihrer Angehörigen. Denn was macht es mit einem Kind, das die Mutter morgens bewusstlos in einer Rotweinlache liegen sieht und fürchten muss, sie sei tot?

Doch irgendwann trinkt sie dann doch das letzte Glas. Wie es dazu kommt, ist ebenfalls faszinierend beschrieben, eine filmreife Situation in einer Kneipe in den USA mit Joan Osbornes „What if God was one us“ als Soundtrack im Hintergrund und einem alten Trinker als rettendem Propheten. Klingt kitschig. Aber wer es liest, ist berührt und versteht, dass Umkehr tatsächlich Leben retten kann, und es manchmal doch höhere Mächte zur Heilung braucht.

Mimis Leben ist nun in ruhigerem Fahrwasser, die Schauspielerei hat sie aufgegeben, ihr Mann ist reich, ihre Tochter stark und weiterhin in Liebe mit ihr verbunden. Trinkerbelle ist, so gesehen, eine Mutmachgeschichte für alle, die selber mit einer Sucht kämpfen. Aber auch für die Menschen, die andere bei diesem Kampf begleiten. Auch wenn es lange dauert – es kann alles gut werden.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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