Kostbares Kristall

Eine besondere Aneignung

Musikalische Dialoge können sehr verschieden sein – zwischen Instrumenten oder Epochen, Genres oder Sparten. Spannend werden sie, wenn sich über das gegenseitige Porträt hinaus tatsächlich ein Gespräch entspinnt, eine gegenseitige Inspiration, die Altes neu hörbar werden lässt und Neues ermöglicht. Das gelingt dieser CD auf ganz intime, pointierte Art und Weise. Überschrieben ist sie mit ARIES POINT: Widderpunkt, was den Frühlingspunkt, den astronomischen Frühlingsanfang bezeichnet – die Tagundnachtgleiche, wenn die Sonne aus dem Süden nach Norden wandert. Ein Nullpunkt, der im Herbst in der Waage wiederkehrt.

Die Musik dieser CD, die diesen Moment aller Möglichkeiten wie ein kostbares Kristall in sich trägt, stammt von dem Trompeter Bastian Stein, zunächst klassisch ausgebildet und heuer einer der interessantesten und wandlungsreichsten Vertreter des modernen Jazz der neuen Generation nach Chet Baker und Miles Davis. Begleitet wird er hier von Ronny Graupe, Gitarre, und David Helm, Bass, die unter anderem in „Fantasie“ und „Ljubljana“ ihre geballte Spielfreude fingerfertig filigran unter Beweis stellen. Bastian Steins eigentlicher Dialogpartner dieser CD aber könnte ob seiner Andersartigkeit spannender kaum sein: Es ist das Hathor Consort, ein Gamben-Ensemble, das sich vor allem der Alten Musik widmet und unter anderem große Erfolge mit der Interpretation der Werke von John Dowland feierte: Romina Lischka – Diskantgambe, Nicholas Milne – Tenorgambe, Irene Klein – Bassgambe.

Was schon die Lebendigkeit der ersten Aufnahme des Hathor Consorts wesentlich bestimmte, ist eine der Gelingensgrundlagen für das Zusammentreffen mit Bastian Stein: das sängerische Verständnis, das Atmen der Bögen, das Sänger:innen und Bläser:innen aneinanderbindet und einen Wesenszug aller Musik markiert. Damit geraten gleich die ersten Takte dieser CD mit „Burton“ zu einem Aha-Erlebnis, lassen aufhorchen und staunen, wie die In­strumente einander in Bewegung und Resonanz bringen, wie die Gamben singen und die Trompete dazu tanzt. Es ist verblüffend, wie es Bastian Stein kompositorisch gelingt, den Gamben ihr traditionelles Klang- und Technikfeld in aller Schönheit, wie sie in der Alten Musik aufscheint, zuzugestehen, ihre Wurzeln affektreich in Szene zu setzen und gleichzeitig auszuloten, was da noch geht … an ungewohnter Klanglichkeit, an rhythmischer Finesse – vor allem aber an partnerschaftlicher Offenheit für Grenzgänge, wenn es um das Miteinander geht.

Jedem tiefen gemeinsamen Atmer folgt eine Begegnung der besonderen Art, ein gegenseitiges Kennenlernen und Öffnen, ein Losstürmen und Innehalten, wie es nur gelingt, wenn es von wirklicher Neugierde und Wahrhaftigkeit getragen wird – durchscheinend etwa in „2+1“, im luzide bewegten, zugleich von großer Durchsichtigkeit geprägten „Zwischen“ oder „Freihändig“. Lassen Sie sich das geschehen: Es ist eine Einladung.

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