Kaum bewältigt

Geschichte der Bundeswehr

Der etwas reißerische Buchtitel bringt es denn doch auf den Punkt: Die Armee eines demokratischen Staates hängt von politischen Entscheidungen ab und wird durch zivile Mandatsträger geführt. Denk-, aber kaum wünschbare Alternative wäre die Armee als „Staat im Staate“, wie die Reichswehr während der Weimarer Republik es verkörperte, als das militärische Führerkorps die verfassungsmäßige Ordnung verachtete, deren Feinden teilweise offen zuarbeitete und den Staat destabilisierte. Aus gutem Grund ordnet eine starke Demokratie sich ihre Streitkräfte unter, nicht nur in Deutschland.

Hauke Friederichs präsentiert „eine kleine Geschichte der Bundeswehr“, die bestimmt nicht dem entspricht, was eine Armeeführung als Festschrift herausgäbe. Strukturelle Defizite, Richtungsstreit, Fehlleistungen und Skandale, auch politisches und militärisches Führungsversagen werden anschaulich dargelegt. Eine effekthaschende Skandalchronik ist dies dennoch nicht. Der Autor schildert die Geschichte der Bundeswehr mit so viel Verstand für Bedingungen und Zusammenhänge, dass Aufreger letztlich zu Anfragen an den Leser werden – soweit dieser sich als verantwortlicher Staatsbürger begreift. Die Bundeswehr entstand nach der moralischen, politischen und militärischen Katastrophe des Nationalsozialismus in mehrheitlich ablehnender Stimmung; sie wurde, wie Theodor Blank als erster Bonner Verteidigungsminister sagte, „in einem Staat mit einer kaum bewältigten Vergangenheit“ aufgebaut, „in einer jungen Demokratie, die um ihr Ansehen oft noch im eigenen Volk zu ringen“ hatte.

Das Konzept der Inneren Führung brach mit dem Kadavergehorsam der Wehrmacht und führte den deutschen Soldaten mental gen Westen, stellt(e) als ausgearbeitete Organisationsphilosophie aber weltweit ein Novum dar. Dass der zur Mitverantwortung verpflichtete „Staatsbürger in Uniform“ immer wieder grundsätzlich in Frage gestellt wurde, wird tiefenscharf referiert. Jüngere Vorgänge dieser Art, etwa der heftig pamphletisierende Band Armee im Aufbruch von 2014, dürften dabei stärker vorkommen. Vergebliche konservative Anläufe, die Bundeswehr als disziplinierende „Schule der Nation“ zu etablieren, stehen neben der real erfüllten Funktion der Nationalen Volksarmee der DDR, Jugend durch Zwang und Schikane gefügig zu machen. Erhellend ist der Abschnitt zur vergleichsweise resistenten Haltung der jungen Bundeswehr gegenüber NS-geprägten Altkadern, insbesondere aus der Waffen-SS. Unter dem Druck internationaler NATO-Verbindungen zeigte sich die umstrittene Armee weniger nazibelastet als andere Institutionen der neuen Westrepublik.

Aus dem kirchlichen Spektrum werden Martin Niemöller und Margot Käßmann erwähnt. Die nationalprotestantische Prägung des alten U-Boot-Kapitäns verdiente freilich mehr kritisches Hinsehen, zumal sich an seiner Person und deren Ausstrahlung die historische Genese und moralische Aporie des deutschen „Nationalpazifismus“ analysieren ließen. Die Militärseelsorge ist dem Verfasser keine Erwähnung wert, obwohl ihr globaler Sonderstatus doch auch deutsche Gesellschaftsgeschichte spiegelt.

Den profunden Anmerkungen Friederichs zum gescheiterten Afghanistaneinsatz ist eine große Leserschaft zu wünschen. Welcher Zwiespalt zwischen wiederholter parlamentarischer Absegnung der riskanten Auslandsmission und allgemeinem Desinteresse bestanden hat, wird hier augenfällig. Nach Abklingen der „Zeitenwende“-Rhetorik des Frühjahrs 2022 scheint die Anteilnahme der Deutschen an ihrem Militär wieder zu erlahmen. Dieses Buch, das keine steile These vertritt, sondern im Wesentlichen schlicht informiert, sollte dort gelesen werden, wo man über Krieg und Frieden sinniert und debattiert, also auch in kirchlichen Zirkeln. Und generell stünde Staatsbürgern gut an, die Geschichte ihrer Armee zu kennen.

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