Meisterwerk

Neue Heine-Biografie
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Nicht, dass diese Biographie ein gänzlich neues Heinebild aus dem Hut zauberte - aber sie lässt im besten Sinne nichts zu wünschen übrig.

Heinrich Heine nannte sich einen entlaufenen Romantiker. Und ja, er war ein Romantiker von Seele und Gemüt. Aber er hatte auch ein untrügliches Gespür für alles, was nicht mehr kreative Kunst, sondern nur noch Konvention war. Wo er darauf stieß, reizte das seinen Hang zur Ironie, die er in allen Spielarten, von mild bis beißend, beherrschte. Selbstzweck war sie ihm nicht, oft aber Waffe, mit der er aufspießte, was faul im so genannten Reich des Geistes war. So spottete er schon früh über alles, was die Romantiker, zumal die epigonalen, längst allzu routiniert betrieben: Mittelalterverherrlichung als Weltflucht, Religiosität als dekorative Bigotterie, Kult der Nacht und aller möglichen Nachtseiten - und schließlich Vergötzung des "Teutschen". Die grassierte seit den Befreiungskriegen zunehmend. "Teutschland" - schon die Härtung des Anfangskonsonanten klang unheilverkündend. Heine nahm das hellseherisch wahr, auch wenn er sich noch nicht albträumen ließ, was im 20. Jahrhundert Übles daraus entstehen sollte.

Bald wurde aus ihm, der den romantischen Herzenston so unnachahmlich vorzubringen wusste, dass auch seine obligatorische spöttische Wendung am Gedichtende diesen nicht wirklich widerrufen konnte, ein politischer Schriftsteller. Für viele, die sich in der Restaurationszeit nicht in die biedermeierliche innere Emigration flüchten wollten, war er ein Herold der Freiheit. Entsprechend verhasst war er den Fürsten, nicht nur im politisch zerrissenen Deutschland, sondern aller restaurativer Mächte Europas, die, unter Metternichs Ägide, die Zustände der vorrevolutionären Welt wiederherstellen und konservieren wollten. Das Mittel der Wahl dazu, vor allen weitergehenden Brutalitäten, war die Zensur. Sie sollte die kritischen Geister mundtot machen. Heine trieb sie schließlich ins freiwillige Exil, nach Paris. Dort lebte er von 1831 bis zu seinem Tode 1856.

Wer mehr über Heinrich Heine, geboren als Harry Heine 1797 in Düsseldorf, Sohn eines Tuchhändlers, erfahren wollte, konnte dies auch bisher - an Biographien war kein Mangel, die schwungvolle von Ludwig Marcuse etwa ist immer noch lesenswert. Nun liegt die von Rolf Hosfeld vor: ein Meisterwerk. Nicht dass sie ein gänzlich neues Heinebild aus dem Hut zauberte - aber sie lässt im besten Sinne nichts zu wünschen übrig, nichts an Lesbarkeit, Klarheit, historischer Urteilsfähigkeit, wissenschaftlicher Gründlichkeit. Die Konsequenz, mit der Heines Werk hier in seine Zeit gestellt wird, macht - nicht einmal nur nebenbei - eine Periode der deutschen Geschichte anschaulich, die so etwas wie eine Achsenzeit darstellt, in der sich vieles eben nicht zum Guten entwickelte. Aber Hosfeld versteht auch zu erzählen, versteht es, Heine als lebendige Person auf die Bühne zu bringen - wichtigste Voraussetzung, um den garstigen Graben des zeitlichen Abstands zu überspringen.

Natürlich kommt dabei nicht der Versuch einer Neutralitätsskizze heraus, Hosfeld steht nachdrücklich auf der Seite seines Protagonisten. Dabei verschweigt er nicht, dass Heine, Mann der Freiheit, aber nicht einer der planen Unbeirrbarkeit, die historische Heroenverehrung so gern rühmt. Heine war mit der Gabe beständigen Zweifelns begabt oder geschlagen, sie - nicht mit Wankelmütigkeit zu verwechseln - schützte ihn zeitlebens vor jeder ideologischen Verblendung.

So ist es gut und richtig, dass Hosfeld Heines Ecken und Kanten nicht, wie in der Vergangenheit oft geschehen, als Einwand gegen dessen Charakter gelten lässt, etwa wenn Heine es dem Dichter August von Platen, der ihn aus antisemitischen Motiven zu diffamieren trachtete, mit gleichen Mitteln heimzahlte und ihn als Homosexuellen - damals noch ein Skandal - outete und als "Mann des Steißes, nicht des Kopfes" bezeichnete.

Ja, Heine schoss nicht selten über das Ziel hinaus. Verständlicherweise, denn als Jude hatte er es nicht leicht. Die hochgemuten Zeiten der Aufklärung, in der es geschienen hatte, als ob die Emanzipation der Juden nur noch eine Frage der Zeit sei, waren vorüber, überall, wo sich Freiheitsgeist massenhaft regte, war er mit dem Geist des Nationalismus amalgamiert und zunehmend von offenem Antisemitismus vergiftet.

Merkwürdigerweise hat man sich in Deutschland mit Heine noch eine ganze Zeit lang schwer getan, nachdem der Antisemitismus längst nicht mehr gesellschaftsfähig war, bis in die Zeiten der Bundesrepublik hinein. Vielleicht gerade deshalb, weil ihm, dem Dichter, politischen Schriftsteller und Journalisten, alle Prätention eines Schwer- und Tiefsinns zuwider war. Dass er gerade mit seiner scheinbaren Oberflächlichkeit und seiner Vorliebe für das elegante Wortgefecht die Probleme seiner Zeit tiefer als andere begriffen und benannt hat, war ihm offenbar nur schwer zu verzeihen.

Hosfelds großes Verdienst ist es, zu zeigen, wie sehr Heine auf die andere, lichte Seite der deutschen Geschichte gehört, zu den Stimmen, die, wären sie nur besser gehört worden, das deutsche Unheil zumindest hätten mindern können. Keiner, so macht er klar, hat es mehr verdient, zu den legitimen Ahnen der deutschen Demokratie gezählt zu werden - und dies, ein Glücksfall für die deutsche Geistesgeschichte, als einer der ganz Großen der deutschen Literatur. Das Schönste aber ist, dass Hosfeld Heine nicht auf einen Sockel stellt - meist das Zeichen, dass der so Glorifizierte endgültig in den Archiven der Literaturgeschichte verschwindet -, nein: sein Buch macht Lust, Heine selbst zu lesen oder wieder zu lesen.

Rolf Hosfeld: Heinrich Heine. Die Erfindung des europäischen Intellektuellen. Siedler Verlag, München 2014, 512 Seiten, Euro 24,99

Helmut Kremers

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