Trotzdem Hoffnung

Erinnerungen
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Zweimal schon, 2002 und 2004, hat Hertzsch über sein Leben Rechenschaft gegeben. Jetzt hat sich der 82-jährige Autor in einer tiefen Reflexion ganz offensichtlich auch traumatische Erfahrungen von der Seele geschrieben.

Mit seinen "biblischen Balladen", mit Reden aus der Zeit der Wende und spätestens mit dem Gesangbuchlied "Vertraut den neuen Wegen" ist der in Jena lebende Theologe und Pfarrer Klaus-Peter Hertzsch so etwas wie eine Identifikationsfigur des deutschen Protestantismus geworden. Die EKD hat ihm 2008 ihre Martin-Luther-Medaille verliehen und ihn dabei als "nachhaltig prägenden Vertreter protestantischer Predigt- und Verkündigungskultur unserer Zeit" gewürdigt.

Zweimal schon, 2002 und 2004, hat Hertzsch über sein Leben Rechenschaft gegeben. Jetzt hat sich der 82-jährige Autor in einer tiefen Reflexion ganz offensichtlich auch traumatische Erfahrungen von der Seele geschrieben. "Ich will versuchen zu schildern, was damals unsere und was speziell meine Hoffnungen und Enttäuschungen waren." Ohne Anklage, aus der eigenen Befindlichkeit heraus, erinnert er sich der Gefühle von Angst angesichts körperlicher Behinderungen, aber auch der Gefühle von Scham, als ihm nach und nach das Ausmaß der NS-Verbrechen deutlich wurde. Aber auch der Hoffnungen, die nach 1945 trotz äußerer Entbehrungen keimten und die sich Hertzsch zeitlebens bewahrt hat; wie sonst hätte er sein so stark das Zeitgefühl von 1989 prägende Lied, das heute längst Allgemeingültigkeit hat, schreiben können.

Angst erfährt der erst fünf Jahre alte Junge, als er zum ersten Mal wegen seiner Sehschwäche in Berlin operiert werden muss und dabei getrennt ist vom Elternhaus in Jena, tagelang unter einem dunklen Verband liegt und seitdem eine mögliche Erblindung befürchtet. In seiner ganzen Schulzeit ist der Heranwachsende ein Außenseiter: "So begegnete mir immer aufs neue die Feststellung, dass ich in Hitlers Reich zu nichts zu gebrauchen bin." Geborgenheit bietet allein das dem geheimen Widerstand angehörende Eltern- und Pfarrhaus.

Nach 1945 waren die derart "Schwachen" auf einmal "mächtig"; gefragt waren jetzt Besonnenheit, Überlegung und natürlich eine "weiße Weste". Hertzsch bringt berührende Beispiele für ein neues Gefühl für Kunst und Kultur, mehr aber noch für Mitmenschlichkeit gegenüber Verfolgten und zuvor Ausgestoßenen. Auf die DDR-Zeit geht er kaum ein. Allerdings erfährt man, dass die sed angesichts der vielen christlichen Symbole in Kunst und Kultur kurz überlegt hatte, ein Fach "Mythenkunde" einzuführen. Es stellt sich stattdessen die Frage, wie heute in einer Welt der Spannungen und Brüche soziale Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gelebt werden sollten. Dem vielleicht etwas mutlosen Leser gibt Hertzsch den letzten Vers seines Liedes mit: "Wer aufbricht, der kann hoffen / in Zeit und Ewigkeit. / Die Tore stehen offen, / das Land ist hell und weit."

Klaus-Peter Hertzsch: Die Stärke der Schwachen. Erinnerungen an eine gefährliche Zeit. Radius Verlag, Stuttgart 2012, 128 Seiten, Euro 12,-.

Dirk Klose

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