Annette Friese, die Lektorin des Adeo-Verlags, traf Prinz Asfa-Wossen Asserate auf dem Katholikentag 2018 anlässlich einer Zeremonie, bei der sich islamische und christliche Religionsvertreter Frieden zwischen ihren Religionen in Afrika versprachen. Aus der Begegnung entstand die Idee, ein Buch herauszugeben, das sich mit dem auch nicht konfliktfreien Zusammenleben der Religionen und Kulturen in Deutschland beschäftigt: die nun vorliegende Anthologie zum Thema Toleranz. Angefragt wurden bekannte Intellektuelle und ranghohe Religionsvertreter, darunter zwei Rabbiner und zwei katholische Bischöfe, aber auch Schriftsteller, Journalistinnen, ein muslimischer Aktivist, eine jesidische Aktivistin und andere. Ihre insgesamt 18 Beiträge sind in alphabetischer Reihenfolge angeordnet, was den Vorteil hat, dass Aleida und Jan Assmann den Auftakt machen mit zwei Aufsätzen, in denen das Wesentliche schon gesagt wird.
Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann legt dar, dass es in der multireligiösen Gesellschaft nicht so sehr um „Duldung“, sondern vielmehr um kulturellen Respekt geht und dass es neben den universalen Menschenrechten auch universale Menschenpflichten gibt, die über das bloße Dulden der Andersgläubigen hinausgehen.
Jan Assmann unterstreicht gegen die tiefsitzende europäische Überheblichkeit die Gleichwertigkeit aller Kulturen. Es wäre für die Leserinnen und Leser nun hilfreich gewesen, wenn sich daran die Beiträge angeschlossen hätten, die sich im weiteren Sinn ebenfalls mit der Frage europäischer Toleranz beziehungsweise Intoleranz beschäftigen, etwa der des Rabbiners Walter Homolka, der aufzeigt, warum die Toleranz es in Europa auch nach der Aufklärung noch schwer hatte, oder der von Navid Kermani, der wiederum überzeugt ist, dass zur europäischen Idee die kulturelle Offenheit schon immer gehörte. Hier hätte wohl auch der Beitrag von Bassam Tibi sich anschließen können, der seinen Begriff von der europäischen Leitkultur verteidigt und Einwanderung einigermaßen polemisch gegen „Zuwanderung“ abgrenzt. So hätte sich der Widerstreit der Positionen deutlicher gezeigt.
Aber in der alphabetischen Reihenfolge mischen sich nun private Betrachtungen über das Wort Toleranz, Erfahrungsberichte mit deutschem Alltagsrassismus, Einschätzungen zur deutschen Flüchtlingspolitik, Erklärungen zu Goethes Interesse am Islam und anderes mehr zu einem bunten Durcheinander, das sich am Ende nur auf den sehr allgemeinen Nenner bringen lässt: Gegenseitiger Respekt ist nötig, dazu bedarf es der Offenheit und der Begegnung, nur Intoleranz darf nicht toleriert werden. Ein erwartbarer Konsens, in dem dann bloß die Stimmen herausfordern, die ihn ein wenig gegen den Strich bürsten, wie die von Martin Mosebach, der als konservativer Katholik den unbedingten Wahrheitsanspruch der Religion nicht relativieren will. Die unauflösbaren Spannungen müssten ausgehalten werden.
Bemerkenswert ist noch, dass gerade in den Beiträgen von jüdischer und muslimischer Seite immer wieder ein mangelndes deutsches Selbstbewusstsein beklagt wird: Die historisch bedingte deutsche Unsicherheit sei es, die zur German Angst führe, wo es doch auch den German Dream eines liberalen Einwanderungslandes geben könnte, wie die jesidische Journalistin Düzen Tekkal schreibt.
Trotz zahlreicher aufschlussreicher Einzelinformationen wird diese Anthologie den toleranzwilligen Leserinnen und Lesern nicht viel Neues vermitteln. Etliche Beiträge eignen sich aber gut als Grundlage für eine Gesprächsreihe zum Thema interkulturelle Toleranz. So ist das Buch für die Gemeindearbeit sicher anregend.
Angelika Obert
Angelika Obert ist Pfarrerin im Ruhestand in Berlin. Sie war bis 2014 Rundfunk- und Fernsehbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb).