Liken geht auch analog
Mit dieser Kolumne löse ich ein Versprechen ein. Im Frühling blühen die Digital-Konferenzen und so habe ich mich auch in diesem Frühjahr auf den Barcamps und Online-Konferenzen herumgetrieben. Das Prinzip Barcamp lautet, dass alle Teilnehmer:innen eingeladen sind, Teilgeber:innen zu werden. Jede:r bringt am besten einen „Session-Vorschlag“ mit.
In dieser Barcamp-Saison erzähle ich gerne das, was ich hier aufgeschrieben habe: Dass Reichweite nicht das Ziel von Glaubenskommunikation im Netz sein kann, sondern höchstens ein Vehikel. Dass es nicht reicht „etwas auf Facebook zu posten“, um den eigenen Kommunikationsauftrag für erledigt zu halten. Und dass digitale Reichweiten nicht kritischer betrachtet werden müssen als analoge. Schließlich gibt es längst glaubenskommunikative und publizistische Online-Formate aus den Kirchen, die es an Reichweite mit analogen Kirchenzeitungen und Präsenzformaten mindestens aufnehmen können.
Nachdem die Reichweite als Qualitätsmaßstab abgeräumt ist – wovon im Übrigen vor allem die reichweitenschwachen, aber dank offizieller Beauftragung mit hohem Ressourceneinsatz produzierten Formate von größeren kirchlichen Akteuren profitieren sollten -, stellt sich unweigerlich die Frage, was denn sonst Kriterien für den Erfolg eines Kanals oder eines Formates sein könnten.
Für die Glaubenskommunikation bietet sich hier das Maß der Gemeinschaftsstiftung und -Bildung an. Community-Building ist nicht erst seit Gestern das Schlagwort erfolgreicher Arbeit im Netz. Aber es reicht wie alles, was im Netz als sinnvoll (wieder-)entdeckt wird, natürlich weiter ins Analoge der Kirche hinein.
Schiefe und schaurige Gottesdienste
Am vergangenen Freitag beschäftigte sich die neue EKD-Synode in einer kleinen thematischen Einheit mit dem Gottesdienst während der Corona-Pandemie. Dabei legte der Leipziger Praktische Theologe Alexander Deeg Wert darauf, „dass die Suche nach Professionalität im Digitalen“ sich nicht auf den analogen Gottesdienst niederschlagen sollte und dort das Unperfekte, „Schiefe und Schaurige“ verdrängt. Deeg möchte, dass auch weiterhin Platz ist für Blockflöten-Kreise. Für unter-ambitionierte Predigten, während derer man zweck-, aber nicht sinnbefreit seinen eigenen Gedanken nachhängen kann. Für eine Liturgie, die allen Beteiligten – auch den Liturg:innen – ein wohliges Gefühl des Aufgehobenseins vermittelt. Für Gottesdienste ohne den Anspruch, den Kultus an jedem Sonntag neu erfinden zu müssen.
Weil ich auch ein Kind der Volkskirche bin, kann ich das sehr gut nachvollziehen. Ja, ich bekenne, dass mich übergestaltete Gottesdienstperfomances, in denen nix mehr selbstverständlich ist, vor allem anstrengen und nicht beheimaten. Das ist gleichwohl vor allem so, weil ich dank meiner Kirchenkindheit und -jugend eine solche kultische Heimat habe. Die Kirchen tun wohl daran, eine große Vielfalt unterschiedlicher gottesdienstlicher Heimaten zur Verfügung zu stellen, auch und gerade für diejenigen, die (noch) keine für sich gefunden haben.
Trotzdem ist es schade, dass beiden Volkskirchen der Verlust der Selbstverständlichkeit ihres Kultus droht. Ich glaube nicht, dass dies mit Absicht geschieht. Es ist wohl einfach der Zeitenlauf. Ich bewundere jedenfalls Juden und Muslime und „unsere“ Orthodoxen gelegentlich dafür, dass sie ihre Liturgien (zum großen Teil jedenfalls) hübsch widerständig einfach so in der Weltgeschichte herumstehen lassen. Wer zum Freitagsgebet geht, der geht zum Freitagsgebet, nicht um sich „abholen zu lassen“, sondern um sich selbst rauszuholen. Irgendwie muss ich gerade an Taizé denken.
Wie „gut“ sind die analogen Angebote?
Aber weiter im Text: Deeg und viele andere Leute, sorgen sich am Ausgang der Corona-Pandemie nicht zu Unrecht darüber, was mit den analogen Formaten der Kirche passieren könnte, wenn man an sie die gleichen Qualitätsmaßstäbe anlegen würde wie an die digitalen Angebote. Wie ist es bei ihnen um die Reichweite bestellt? Um das user engagement? Wie steht es tatsächlich um die musikalische, künstlerische, rhetorische Qualität der Verkündigung? Wer sollte das entscheiden? Die Gemeinden etwa?
Von vielen Prediger:innen und Liturg:innen, die während des vergangenen Jahres zum ersten Mal auf der digitalen Welle geritten sind, bekomme ich Rückmeldungen, wie herausfordernd, aber vor allem wertschätzend und aufbauend der Kontakt mit ihrer digitalen Gemeinde für sie geworden ist. Manche Prediger:in bekommt zum ersten Mal seit Jahrzehnten überhaupt ein Feedback auf ihre in der Predigt verbreitete Botschaft: „Wow, mir hört ja tatsächlich jemand zu!“ Das kann stressen, aber alles in allem höre ich davon, dass Gemeinden und ihre Liturg:innen und Prediger:innen diesen neuen Austausch toll finden.
Natürlich kommt so auch die Gestaltung des Gottesdienstes – digital und analog gleichermaßen – auf den Prüfstand. Viel mehr als sich die Köpfe in luftigen Höhen darüber zu zerbrechen und die Pfarrersblätter darüber vollzuschreiben, was „wir“ denn aus den digitalisierten Corona-Gottesdiensten lernen sollten, sollte uns diese Praxis wechselseitiger Feedback-Schleifen interessieren. Warum fällt es Leuten leichter, digital Unmut oder (auch und besonders) Dankbarkeit und Freude zu äußern? Was kann man davon ins Analoge hinüberretten?
Also: Ja, wir müssen unbedingt auch über die Qualität der analogen kirchlichen Formate reden und darum selbstverständlich auch über den Gottesdienst. Die Diskussionen der Kirche im Netz haben dafür schon echte Vorarbeit geleistet. Auch, weil im Netz konsequent registriert wird, wer nicht dabei ist. Kinder und Jugendliche, Familien, Alleinstehende, Singles, Menschen mit Behinderung, Kranke, Alte. Damit sind ja nur einige „Zielgruppen“ umrissen, die es mit dem gängigen Sonntagsgottesdienst an vielen (zum Glück nicht allen!) Orten schwer haben.
Feedback-Schleifen in den Gemeinden
Wir müssen die Qualitätsdiskussion nicht vornehmlich oder allein in Fachpublikationen und Diskussionsrunden der Mittleren Ebene führen, wo sie eher wenig Frucht tragen werden. Es gibt wirklich (noch) genügend professionelle Hilfeleistungen und erst recht genügend Lektüre für diejenigen, die sich auf den Weg machen. Aber das Gespräch muss in den Gemeinden geführt werden!
Qualitätsdiskussionen sind immer subjektiv und werden daher am besten vor Ort von denjenigen geführt, die nicht „den Kultus“ meinen, sondern ihren Gottesdienst. Gottesdienstausfälle und digitale Formate während der Pandemie haben gezeigt, dass wir unsere Gottesdienste nicht allein für diejenigen feiern, die eh und noch kommen. Überall registriere ich die Sehnsucht danach, dass man doch wieder „mehr“ wird, mit dem eigenen Gottesdienst nicht allein bleibt. Dann kann das Angebot nicht so bleiben, wie es war. Noch so eine Lehre aus dem Netz.
Ich richte hiermit aus, was ich denjenigen, die mit großer Lust und mancher Anstrengung im vergangenen Jahr auf digitalen Kanälen Gemeinde haben wachsen lassen, versprochen habe Ihnen, werte Leser:innen, auszurichten: Lasst uns über Sinn und Unsinn, Qualität und Nutzen, Lasten und Annehmlichkeiten der analogen Angebote unserer Gemeinden diskutieren. Jetzt, solange Zeit ist!
Philipp Greifenstein
Philipp Greifenstein ist freier Journalist sowie Gründer und Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“: https://eulemagazin.de