Mit dem Herzen

Bibers Rosenkranzsonaten neu

Was Georg Friedrich Händel in erhabener Größe 1741 im „Messiah“ abbilden wird, komponiert der Böhme Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704, von 1670 bis zum Lebensende in Diensten des Salzburger Erzbischofs), bereits zwischen 1678 und 1687: die Betrachtung des Lebens, Sterbens und der Auferstehung Christi – Freude, Leid und Sieg – verdichtet in einem komplex virtuosen Zyklus von 16 Sonaten auf die Struktur des Rosenkranzes: die sogenannten „Rosenkranzsonaten“ für Violine und Basso continuo.

Für diese Aufnahme hat Gunar Letzbor mit Ars Antiqua Austria sein exzellentes, der Alten Musik seit Jahrzehnten kundig verbundenes und mit großer Könnerschaft ausgezeichnetes Ensemble an der Seite: Hubert Hoffmann (Theorbe), Jan Krigovsky (Violone), Erich Traxler (Truhenorgel) und das partiell hinzukommende Lautenisten-Trio (neben Hubert Hoffmann noch Lee Santana und Daniel Oman) schaffen eine facettenreiche Vielfarbigkeit und durch alle Register substanzreich aufgefächerte Klangstruktur von großer Wirkmächtigkeit. Dabei verzichten sie größtenteils auf die barocke Gepflogenheit, die akkordische Vielfalt noch einmal improvisierend auszukosten. Stattdessen vertrauen sie ganz der üppig angelegten Kraft, lassen damit den nötigen Raum für die Durchdringung der Harmonien im Hören und umgeben die Violine mit einem schwerelos gewebten Schutzmantel.

So gewinnt das Spiel Gunar Letzbors an Leichtigkeit und Freiheit – eine Freiheit, die er nicht für das Spiel, sondern für die Tiefe nutzt. Dies ist das Besondere dieser Aufnahme! Etliche mögliche Ausflüge, seine virtuose Könnerschaft unter Beweis zu stellen, lässt er zugunsten ruhender, sinnend-versunkener Klänge außer Acht. Das ist irritierend und einnehmend zugleich. Hört man beispielsweise die bezaubernde Alice Pierot mit Les Veilleurs de Nuit mit dem gleichen Werk, so glaubt man dieses Klangmysterium von einer gänzlich anderen Glut beseelt. Aber der unterschiedliche Blick auf das Werk trennt beide nicht und lässt sich nicht werten. Denn Letzbor überzeugt schließlich nicht minder durch die Reife der Zurücknahme und Wiedereröffnung der Dimension des Vertrauens in das Urbild Biberscher Verwandlungskraft, die allein schon durch das Stilmittel der Skordatur (das Umstimmen einzelner Saiten) und die damit verbundenen Klangeffekte beseelt von sich reden macht. Kühne Doppelgriffe, dynamische und Tempowechsel tun ihr Übriges, um dieses völlig zu Unrecht nur in Kennerkreisen bekannte Juwel des Barock in seiner mystischen Klangkraft zu bestaunen. Es ist spannend, wie Gunar Letzbor selbst damit umgeht: 1996 hat er als junger Mann seine Solo-Karriere mit diesem Werk glanzvoll begonnen. Seither ist es Teil seines Kernrepertoires. Jetzt glaubt er sich ihm – auch aus seinem Glauben heraus – tatsächlich nahe: mit dem Herzen.

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