Gewehre knallen, Menschen kreischen, Sirenen heulen. Das Hörspiel Masse Mensch verstört. Mit der 55-minütigen Adaption des 1919 von Ernst Toller (1893–1939) geschriebenen expressionistischen Dramas strömt keine leichte Kost auf einen ein. Die Hauptfigur Sonja Irene L. (Jana Schulz), Pazifistin und Demokratin – im Hörspiel unbenannt, lässt Mann und Familie zurück, wird Teil einer revolutionären „Masse“. Ihr Gegenspieler, der „Namenlose“ (Rüdiger Klink), peitscht die Menge zum Streik auf. Zwischen Sonja Irene und den Massen kommentiert Jutta Wachowiak, „Terror“ genannt. Dazu sind sieben von Christian Brückner gelesene Zwischenspiele eingesetzt, und diese Bilder tragen eigene Überschriften, sie verleihen dem Hörspiel Struktur – von „Misstrauen“, „Macht“ bis „Moral“.
Wie Hörspielbearbeiter Ben Neumann und Regisseur Christoph Kalkowski im Booklet schreiben, geht es ihnen um die Frage der eigenen Verantwortung in Zeiten politischer Veränderungsprozesse. Sie zeigen, wie schmal der Grat ist zwischen Widerstand, Widersprechen oder der Unterordnung unter eine scheinbar wichtige Sache der Masse: „100 Jahre später stehen Demokratien fassungslos vor Populisten.“ Die Regie setzt auf ein lautes Spektakel aus Sprache, Geräusch und Musik. Da sind die umstürzlerischen Sprechchöre Studierender der Schauspielhochschule Ernst Busch, die peitschenden Worthülsen der Börsianer, unterstützt durch treibende Beats. Akustisches Chaos, das Drama hetzt voran. Dazwischen wieder einzelne Sätze und Dialogpassagen gesprochen in völlige Stille oder mit dezenter Klaviermusik im Hintergrund. So eindrucksvoll stellt sich die Frage, welcher Einsatz erlaubt und tolerierbar ist, um eigene Ziele zu erreichen.
Liebe Leserin, lieber Leser,
* Das einmalige Einloggen reicht aus, Sie erhalten damit automatisch Zugang zu allen anderen Artikeln. Beim Verlassen der Webseiten von zeitzeichen werden Sie automatisch ausgeloggt. Beim erneuten Zugriff auf die Seite behält sich diese Ihre Kundennummer.
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.