Intelligentes Fest

Beethoven neu gehört

Es hilft nicht, die Augen davor zu verschließen: Nächstes Jahr ist Beethoven-Jahr. 2020 feiert die Welt den 250. Geburtstag des großen Komponisten und Genies – „Freude schöner Götterfunken!“.

Aber nicht um die Neunte Sinfonie oder die tragische Fünfte, die Streichquartette oder andere instrumentale Berühmtheiten soll es gehen, sondern um das recht kleine Feld der geistlichen Musik, die von Beethoven überliefert ist.

Dass er so wenig Geistliches schrieb, liegt schlicht daran, dass Beethoven nicht wie so viele Komponisten vor ihm, zum Beispiel Bach und auch noch Mozart, in kirchlichen Diensten stand. Beethoven war frei, hatte immer wieder reiche Gönner, aber begab sich nicht in die Abhängigkeit einer Stellung, in der er regelmäßig geistliche Kantaten und Motetten oder Messen schreiben musste. Außerdem war die Kunst zu Beethovens Zeit so weit gediehen, dass Kunst oft selbst einen stark religiösen Aspekt einnehmen konnte, der der tradierten kirchlichen Textschemata nicht mehr bedurfte.

Unter den wenigen geistlichen Werken Beethovens ragt einsam als Olymp die Missa Solemnis Opus 123 hervor. Uraufgeführt wurde die Missa am 26. März 1824 in St. Petersburg. Sie gilt seit jeher zwar als großes Werk Beethovens, aber sie ist auch unter Fachleuten umstritten: zu ausladend, zu komplizierte Themen – Kritik, die bei anderen Beethoven-
werken selten laut wird. Auch der Rezensent hielt sich von diesem Werk zeitlebens fern. Höreindrücke im Konzert wie bisherige Aufnahmen schreckten eher ab: Viel Lärm, viel Gebrülle und ein fehlender Gesamteindruck …

Nun aber gibt es pünktlich zum Beethovenjahr eine neue Einspielung mit dem Kammerchor Stuttgart und der Hofkapelle Stuttgart, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen darf. Salopp gesagt: Endlich kann man die Missa Solemnis mit Freude und Genuss anhören, da Dirigent Frieder Bernius die klangliche Balance gründlich bedacht hat und dem Hörer nun ein farbiges, entschlacktes Kunstwerk präsentiert, in dem sich die tiefe Schönheit der vielfältigen Klänge und Themen ganz neu entfaltet. Dazu singt mit Johanna Winkel, Sophie Harmsen, Sebastian Kohlhepp und Arttu Kataja ein Vokalquartett, das sich im besten Sinne als „quartettfähig“ erweist. Ganz vorzüglich auch der klare, schlanke Klang der Hofkapelle – die Wahl des spezifischen historischen Instrumentariums für die frühromantische Epoche zahlt sich aus. Und last but not least der Kammerchor Stuttgart mit klarem, feinem Klang und überzeugender Textverständlichkeit. Diese Missa Solemnis erweist sich als intelligentes Fest der Sinne, an dem man sich gar nicht satthören möchte. Beethoven-Jahr, Du kannst kommen!


 

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