Vergnügen

Beobachter des Universums?

Nicht wenige Theologen, besonders unter den protestantischen, ziehen es vor, wenn sich Theologie und Naturwissenschaften niemals wechselseitig ins Gehege kommen. Theologie und Naturwissenschaften, so die Begründung, widersprächen sich nicht, hätten sich jedoch direkt auch nichts zu sagen; Sinn und Bedeutung theologischer Aussagen seien unvergleichbar („inkommensurabel“) mit Sinn und Bedeutung naturwissenschaftlicher Aussagen.

Da macht das Buch des evangelischen Theologen und Philosophen Matthias Schleiff hellhörig, das die schiedlich-friedliche Funkstille zwischen Theologie und Naturwissenschaften mit der provozierenden These aufkündigt, es gäbe Phänomene, für die Naturwissenschaften und Theologie um die beste Erklärung miteinander konkurrieren sollten. Das zu erklärende Phänomen ist die Feinabstimmung. Es lässt sich logisch-mathematisch nachweisen. Wichen die Werte der fundamentalen Naturkonstanten und bestimmter Rand- und Anfangsbedingungen auch nur verschwindend geringfügig von ihren tatsächlichen Werten ab, so wären bewusste und selbstbewusste Beobachter in unserem Universum unmöglich. Das provoziert die Frage, ob die fundamentalen kosmischen Parameter vielleicht nicht „zufällig“ so fein aufeinander abgestimmt sind. War es möglicherweise von Anfang an beabsichtigt, dass wir als bewusste Beobachter im physikalischen Universum auftreten? Diese Frage beantwortet Schleiff mit seinem „Feinabstimmungsargument“. Er präsentiert es mustergültig durchsichtig: „Die Feinabstimmung von Naturkonstanten und kosmischen Anfangsbedingungen bedarf der Erklärung. Sie ist ein überraschendes Phänomen. Die Hypothese einer zielgerichteten Planung (‚Schöpfungshypothese‘) erklärt das Phänomen der Feinabstimmung. Das heißt, wenn die Schöpfungshypothese wahr wäre, wäre das Phänomen der Feinabstimmung nicht mehr überraschend. Die Schöpfungshypothese erklärt das Phänomen der Feinabstimmung besser als die mit ihr konkurrierenden Erklärungshypothesen (…). Also: Es ist rational gerechtfertigt, die Schöpfungshypothese zu akzeptieren.“

Es ist natürlich eine Sache, ein Argument kurz und bündig hinzuschreiben, eine andere, seine Prämissen so auszubuchstabieren und zu begründen, dass man erkennt, wieso die Prämissen die Konklusion wahr machen. Der allergrößte Teil des Buches ist dieser zweiten anspruchsvollen Aufgabe gewidmet. Die Lektüre des Buches ist nicht ganz leicht, aber die Mühen des Lesers werden belohnt. Schleiff trägt durchgängig interessante, erhellende und scharfsinnige Überlegungen vor. Wer Sinn für gut durchdachte und klar präsentierte Argumente hat, für den ist die Lektüre dieses Buches ein intellektuelles Vergnügen besonderer Art.

Das Feinabstimmungsargument beweist nicht das Dasein Gottes, gar das Dasein des christlichen Gottes. Es lehrt uns etwas anderes: Wir Menschen fragen nach der Herkunft des Universums und nach unserer Stellung in ihm. Als Subjekte, die das Universum und sich selbst vernünftig hinterfragen, können wir uns am besten verstehen, betrachten und begreifen wir das Universum und uns selbst im Lichte des Schöpfungsgedankens. Das ist die auch existenziell relevante Einsicht, die wir dem Feinabstimmungsargument verdanken. Im letzten Kapitel seines Buches führt Schleiff in neun sehr klug abwägenden Thesen aus, wie Theologen und Naturwissenschaften über das so verstandene Feinabstimmungsargument wieder in ein direktes Gespräch miteinander kommen können. Das Gespräch dürfte, wie Schleiff darlegt, beide Seiten vielfältig herausfordern und folgenreich für sie werden. Das Buch von Matthias Schleiff eröffnet in provozierender Weise ein solches Gespräch. Ein hervorragendes Buch.


 

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