Retter aus dem Ruhestand?

Warum fehlendes Pfarrpersonal nicht mit Pensionär:innen ausgeglichen werden sollte
Foto: Christian Lademann

Wenn ich an meinen eigenen Ruhestand denke, dann erscheint es mir vor allem paradiesisch, Dinge tun zu können, die dann keinerlei Bedeutung mehr haben müssen. 26 Jahre Dienstzeit habe ich noch vor mir und wahrscheinlich wird es am Ende ganz anders kommen und ich werde nach meinem Dienstende in meiner ehemaligen Kirchengemeinde wohnen und den jungen Pfarrkollegen im Berufseinstieg dauerhaft terrorisieren und ihm Vorträge über den Gartenzaun halten, wie es eigentlich geht (Memo an mein Ruhestands-Ich: auch eine attraktive Vorstellung). 

Eigentlich müsste es am Ende der Berufslaufbahn für Pfarrerinnen und Pfarrer so etwas geben wie das Vikariat zum Einstieg. Zu Beginn braucht man eine Begleitung, um reinzukommen und zum Ende braucht man sie, um sich zu lösen von diesem Beruf. Die Ruhestandskollegs der pastoralen Fortbildungsinstitute, wo Menschen die Gelegenheit haben, die letzten Berufsjahre für sich zu sortieren, sind jedenfalls stark frequentiert. 

50 Prozent weniger

Hört man gegenwärtig genau hin bei einzelnen Vorschlägen zum Umgang mit den zu erwartenden disruptiven Entwicklungen in der Kirche, legt sich nahe, dass für die gesamte Babyboomer-Generation diese Loslösung vom Pfarrberuf gar nicht notwendig sein wird, weil sie einfach weiter arbeiten sollen. Die quantitativen Entwicklungen im Bereich des Pfarrberufes werden einschneidend sein. 50 Prozent weniger Pfarrerinnen und Pfarrer in den kommenden zehn Jahren. Grund dafür ist die hohe Zahl der Eintritte in den Ruhestand in Kombination mit den rapide sinkenden Zahlen an theologischem Nachwuchs. 

Immer wieder werden nun Stimmen laut, die dieser massiven Entwicklung begegnen wollen, indem Ruheständler gebeten werden, auch über das offizielle Dienstende hinaus pastorale Aufgaben in der Kirche zu übernehmen. Dieser Gedanke wird lanciert von Menschen, deren Ruhestand in Sichtweite ist und dem ein oder anderen Akteur in Kirchenleitungen erscheint diese Strategie auch nicht gänzlich unattraktiv. Interessanterweise vernimmt man sie kaum aus den Reihen derer, die gerade in den Pfarrberuf einsteigen und diese Zeit der disruptiven Veränderungen zu gestalten haben. 

Wie ein Katalysator

Im Hinblick auf die Kirchenentwicklung wäre es fatal, wenn versucht wird, die entstehenden Lücken notdürftig mit dem Einsatz von Pfarrerinnen und Pfarrern im Ruhestand zu füllen. Durch die personellen Entwicklungen wird ein massiver Druck in die kirchlichen Systeme kommen. Dieser Druck wird manche Anstrengung bedeuten, aber er wird auch ein innovatives Potential entfalten. Gegenwärtig erleben wir, wie schwer es ist, die notwendigen organisationalen Veränderungsprozesse in unseren Kirchen zu initiieren. Wir nehmen wahr, dass schon jetzt das parochiale Prinzip deutlich an seine Grenzen stößt und gleichzeitig fällt es schwer uns von diesen Kirchenbildern wirklich zu lösen und gemeinsam neue zu entwickeln. Die quantitative Entwicklung im Bereich des Pfarrberufes wird hier wie ein Katalysator wirken und die nötige Unruhe ins System bringen, damit wirklich Neues entstehen kann. 

Die jungen Kolleginnen und Kollegen, die ich im Berufseinstieg begleite, gehen mit einer Mischung aus Respekt und heiterer Gelassenheit auf diese Entwicklungen zu. Wenn wir sie machen lassen, werden sie neu erfinden, wie der Pfarrberuf unter zukünftigen Bedingungen gestaltbar ist. Die Räume dafür werden sich kaum entfalten, wenn an allen Ecken und Enden noch Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand die Lücken stopfen.

Letztlich ist es auch den Ruheständlern gegenüber nicht fair, das Ende der Dienstzeit mit einer impliziten Erwartung zu belegen. Wenn ich an meinen Ruhestand denke, möchte ich nicht von einer Pröpstin gefragt werden, ob ich mir vorstellen könnte, weiter pastorale Aufgaben zu übernehmen. Ich möchte selber entscheiden, ob ich einen Töpferkurs mache oder den jungen Kollegen über den Gartenzaun hinweg nerve mit guten Ratschlägen. Ich möchte nicht gefragt werden, in welchen Bereichen ich mir vorstellen könnte, weiter Verantwortung zu übernehmen. Nach so vielen Jahren muss es gut sein dürfen. Dann sollen die Jungen ran!

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.


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