„Man darf keine Angst haben“

Auschwitz-Überlebender ruft Kirchen zum Einsatz gegen Fremdenhass auf
Der Auschwitz-Überlebende Marian Turski vor der LWF-Vollversammlung
Foto: LWF/Albin Hillert
Der Auschwitz-Überlebende Marian Turski vor der LWB-Vollversammlung

Der 97jährige Marian Turski sorgte für einen bewegenden Moment bei der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Krakau. Diese hatten am Vortage das Konzentrationslager Auschwitz/Birkenau besucht, das Turski als junger Mann überlebt hatte. 

Marian Turski hat in den 97 Jahren seines Lebens ohne Frage viele apokalyptische Momente erlebt. Er wurde 1940 wurde er mit seiner Familie ins jüdische Ghetto in Lodz eingewiesen. Von dort aus wurde er im August 1944 ins Konzentrationslager Auschwitz eingesperrt. Das überlebte er ebenso wie die anschließenden Todesmärsche nach Buchenwald und Theresienstadt.

Doch den 300 Delegierten aus aller Welt, die sich derzeit zur Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Krakau versammelt haben, führt er nicht die Vergangenheit vor Augen. Er sprach über eine Gegenwart, in der die vier apokalyptischen Reiter aufzutauchen scheinen, die Krieg, Krankheit, Tod und Hunger über die Welt bringen. „Haben wir das nicht in jüngster Zeit gesehen? Besonders nach der Pandemie? Die Dürren und Fluten? Krieg? Menschen, die zur Flucht gezwungen sind?“

Solche Ereignisse machten den Menschen Angst, und diese Angst werde ausgenutzt von populistischen Regierungen, die Hass gegen Fremde schürten. In der Pressekonferenz im Anschluss an die Rede verwies Turski konkret auf die AfD in Deutschland, aber auch auf die entsprechenden Entwicklungen in Polen, Ungarn und vielen anderen Ländern Europas. In diesen Zeiten seien die Vertreter der Religion besonders gefordert, sagte Turski, der auch Präsident des internationalen Auschwitz-Komitees ist. „Die Welt ist nur eine schmale Brücke, aber man darf keine Angst haben,“ zitierte er aus einem jüdischen Lied, das in den Synagogen gesungen werde. „Also lasst uns keine Angst haben vor den Fremden, vor dem Anderen.“

Besuch in Auschwitz

Die Delegierten dankten dem Historiker und Journalisten für seine Worte mit langanhaltendem Beifall. Am Tag davor hatten sie den Ort besucht, in dem Turski inhaftiert war, das Konzentrationslager Auschwitz/Birkenau. Dort haben die Nazis über eine Million Menschen umgebracht, die meisten von ihnen waren jüdischen Glaubens. In kleinen Gruppen gingen die Delegierten durch Ausstellung, die noch existierende Gaskammer und das Krematorium im Lager Auschwitz. Vor der sogenannten „Todeswand“, an der zahlreiche Inhaftierte erschossen worden waren, legten LWB-Präsident Panti Filibus Musa und Generalsekretärin Anne Burghardt einen Kranz nieder.

Im benachbarten Lager Birkenau ging jeder Besucher zwischen den Ruinen der beiden großen Krematorien einen kurzen Stationenweg mit stillen Gebetsritualen, der mit einem gesungenen „Kyrie“ beendet wurde. Begleitet wurden die Delegierten auch von Bischof Adrian Korczago von der Krakauer Diozöse der Evangelischen-Augsburgischen Kirche in Polen. „Man kann nicht passiv bleiben oder sich indifferent verhalten dazu, wenn Menschen gefoltert und verfolgt werden wegen ihrer Religion, ihres Geschlechtes oder anderer Aspekte ihres menschlichen Daseins“, sagte der Bischof. Er hoffe, dass die Erfahrung die Besucher und Besucherinnen zu weiteren Reflektionen über die Verfolgungen unterschiedlicher Art weltweit anregt.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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