Manchmal macht man sich die schönsten Geschenke selbst. Zwar wissen wir noch nicht, was der RIAS Kammerchor anlässlich seines 75-jährigen Jubiläums 2023 alles noch geschenkt bekommt, aber mit dieser CD sind alle Liebhaber der Chormusik reich beschenkt. Klar, es gab mit der Krönung Anfang Mai einen Anlass, aber letztlich braucht es den nicht, um sich an einem so genialen Werk wie „Zadok the Priest“ von Georg Friedrich Händel zu erfreuen, das erstmals zur Krönung von George II. Anno 1727 erklang: Ein sich aufbauender Streicherstrudel, der auf einen Höhepunkt zustrebt, dann durch einen Trugschluss wieder zurückgeholt wird und nochmal beginnt, kurz nach Moll abbiegt und schließlich, stetig Kraft schöpfend, im Ziel einmündet, wenn der jubelnde Chor die Verbindung zur himmlischen Gnade zelebriert: „Zadok the Priest and Nathan the Prophet anointed (salbten) Solomon King!“ Der Rest ist feinstes Händel’sches Jubelpathos à la „Long live the King forever“ et cetera. Und obwohl das Bonmot eigentlich Johann Sebastian Bach vorbehalten ist, über den einst Carl Friedrich Zelter sagte: „Klar, doch unerklärlich“, so gilt es hier auch für Händels berühmtes, fünfeinhalbminütiges Juwel. Dass es seit 1992 einen Pop-Abklatsch als Hymne der UEFA-Champions-League gibt, muss da nicht weiter stören.
Auch wenn „Zadok the Priest“ das sicherlich populärste Stück ist, so besticht diese CD-Sammlung gerade dadurch, dass sie auf dem Rest ihrer Stunde Spielzeit Werke zu Gehör bringt, die unbekannter sind, aber von erlesener Schönheit. So zum Beispiel die fünfteilige herzrührende Psalmkomposition „The Lord is a sun and a shield“ von William Croft (1678–1727), der sie 1714 als Musik für die Krönung George I. schrieb. Alle Wirkung lebt natürlich von der exzellenten Interpretation des RIAS Kammerchors, der wieder mal alle professionellen Tugenden technisch perfekten Chorgesangs mit jenem besonderen Schuss Emotionalität zu adeln vermag, der nicht in Worte zu fassen ist, aber in dieser Liga weltbester Kammerchöre dann noch einmal den Unterschied macht. Champions-League eben.
Nicht vergessen werden sollen die exzellenten rein orchestralen Beiträge der Akademie für Alte Musik, die vergangenes Jahr 40-jähriges Jubiläum feierte: zum einen die viersätzige Ouvertüre zu Händels wenig bekanntem Occasional Oratorio und besonders auch die Chaconne G-Dur, ein Meisterwerk von John Blow, neben Henry Purcell einer der großen englischen Komponisten vor 1700. Alles in allem ist dieser Silberling ein ganz besonderer Hörgenuss, eine Scheibe, mit der man die eigenen kleinen Krönungen begehen und genießen kann, die aber ebenso verlässlich aus Seelentälern zu hieven vermag. Danke, RIAS Kammerchor, Danke AkaMus, Ihr seid ein Dreamteam, und Euch sei von Herzen zugerufen: ad multos annos!
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.