Fromme Ohrenweide

Ein deutsches Barockrequiem

Das Deutsche Requiem von Johannes Brahms hat eine ebenso klare Verortung in der Musikgeschichte wie Bachs Weihnachtsoratorium. Es strahlt aus seiner Zeit einzig über sie hinaus, offenbart in seinem sublim gebundenen Aufbau und der Textauswahl eine tief wurzelnde, Trost und Erbauung stiftende Einheit und findet in seiner künstlerischen Vollkommenheit stets neue Musici und Rezipient:innen, die das Werk über die Generationen weiterreichen und im kulturellen Gedächtnis verwurzeln.

Das Muster dieser bedeutendsten romantisch-protestantischen Begräbnismusik nach Art einer Totenmesse aufgreifend, hat es sich das belgische Ausnahmeensemble Vox Luminis zur Aufgabe gemacht, ein protestantisch-deutsches Barockrequiem zu konstruieren, das eben diesen besonderen Brahmsschen Guss spiegeln sollte. Bindend hierfür war Brahms Textauswahl, die ihn als profunden Kenner des Bergwerks der Bibel ausweist. Das ließ sich trotz vielfältiger Quellen des 17. Jahrhunderts nicht gänzlich eins zu eins gestalten, hört und versteht sich aber durch die kleinen nötigen Modifikationen als bereichernde Variation des Ganzen – so zu Beginn mit Johann Hermann Scheins madrigalesk fünfstimmiger Motette „Selig sind, die geistlich arm sind“ über den gesamten Text der Bergpredigt, wo Brahms lediglich Vers 2 nutzte. Johann Hermann Schein und Andreas Hammerschmidt sind die beiden bekanntesten Komponisten, die diesem Barockrequiem Sinn und Form geben.

Dazu gesellen sich nicht minder klangprächtig aufwartende Kollegen wie Christian Geist (Die mit Tränen säen), Wolfgang Carl Briegel (Ach, Herr, lehre mich doch), Heinrich (nicht Frank!) Schwemmer (Die Gerechten Seelen sind in Gottes Hand) und Johann Philipp Förtsch (Selig sind die Toten), die alle für sich leuchten, sich aber gleichermaßen stilistisch einfügen in die Gesamtidee, die grandios aufgeht. Maßgeblich dafür ist freilich die Ausführung in Gestalt eines geradezu perfekt harmonierenden Instrumentalensembles mit warm pulsendem Continuo und natürlich der Vokalisti von Vox Luminis , allen voran den rahmenden Außenstimmen mit klarem, dennoch wolkenweich leuchtendem Sopran und profund resonantem, schönsprachlichem Bass. Was für eine Ohrenweide.

Als A und O, Prolog und Finale dieses luziden deutsch(sprachig)en Barockrequiems haben die Leiter der beiden Ensembles noch zwei Kleinode beigefügt, die in der gegenseitigen Entsprechung von musikalischer Eloquenz und textlicher Dringlichkeit ein mustergültiges desiderium cantandi sind: eingangs Andreas Scharmanns (gestorben 1663) Trauerklage nach dem Text der Klagelieder Jeremiae 5,15–16 „Gedenke, Herr, wie es uns gehet“ und zum Ausgang Andreas Hammerschmidts Vertonung von Psalm 121 „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.“ Man muss als Hörende:r nicht fromm sein, um musikalisch ergriffen zu werden – aber man kann es werden.

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