Problemanzeige

Über den Klassenkampf von oben

Klassenkampf? Klar, gibt es ständig in deutschen Grundschulen. Wenn wohlhabende Eltern mit akademischer Ausbildung ihr Kind entgegen der Empfehlungen der Lehrer:innen an ein Gymnasium anmelden. Denn da gehöre es schließlich hin. Problemviertel? Grunewald in Berlin, zum Beispiel, wo die Bewohner:innen isoliert in ihren Villen wohnten, Reichtum anhäuften und so zum Problem der sozialen Ungleichheit beitrügen. Es sind solche Perspektivwechsel, die zu den besonderen Momenten im Buch von Francis Seeck zählen. Besonders, weil sie die Relativität der gesellschaftlichen Einordnungen in Milieus, Klassen oder Schichten und der ihnen zugeschriebenen Eigenschaften auf den Punkt deutlich machen. Besonders aber auch, weil solche humorvollen Momente in Zugang verwehrt seltenheitswert haben.

Schließlich gibt es nicht viel zu lachen, wenn man den Klassismus in Deutschland beschreiben will. Und selber erlebt hat, wie die Autorin als Kind einer alleinerziehenden, erwerbslosen Mutter. Am Wochenende hatte sie mit ihrer Mutter in einer Pizzeria einen schönen Abend verbracht, am Montag wurde sie von einer Erzieherin gefragt, wie sie sich das denn als Sozialhilfeempfängerinnen leisten könnten. Diese Form der Diskriminierung, die sich durch das ganze Leben der Betroffenen ziehe, hat einen Namen: Klassismus.

Francis Seeck ist promovierte Kulturanthropologin und Antidis­kriminierungs­trainer:in, Post-Doc an der Humboldt-Universität zu Berlin und war 2020 Mitherausgeberin eines Sammelbandes zum Thema. Zugang verwehrt solle kein soziologisches Fachbuch sein, schreibt sie, sondern zeigen, „was Klassismus ist, wie er unsere Gesellschaft prägt und soziale Ungleichheit fördert, damit wir uns dem entgegenstellen können.“ Also ein Buch für alle, die eine kurze Einführung ins Thema mit vielen Beispielen ebenso schätzen wie eine kämpferische Grundhaltung.

Zu den gesellschaftlichen Bereichen, die Seeck unter klassistischer Fragestellung betrachtet, gehören erwartbare (deshalb nicht weniger wichtig) wie Bildung, Wohnquartiere, Gesundheit und Erwerbsarbeit. Aber sie spricht auch ein zunächst überraschendes Thema an, nämlich Klassismus in der DDR. Die vermeintlich klassenlose Gesellschaft war nämlich keine, was die Autorin unter anderem mit dem „Assi-Paragrafen“ 249 Strafgesetzbuch belegt. „Arbeitsscheue“ konnten danach bis zu zwei Jahre inhaftiert werden. Wer nicht einer geregelten, bevorzugt industriellen Arbeit nachgehen wollte, war verdächtig. Doch auch der Aufstieg der Arbeiter:innenkinder war nur zu Beginn der DDR tatsächlich Programm, seit den 1960er-Jahren habe die neue sozialistische Intelligenz ihren Kindern Bildungsprivilegien gesichert und den Zugang für andere zugeschüttet.

Spannend auch das Kapitel über den Kulturbetrieb, wo das Thema Klassismus als Stoff gerade im Trend liegt. Allerdings, so Seeck, werde dabei häufig das Stereotyp des weißen Arbeiters im Unterhemd mit Bierdose, Alkoholproblemen und Hang zur Gewalt bedient. Dies ist umso absurder, als prekäre Lebensverhältnisse aufgrund der oft schlechten Arbeitsbedingungen in der Branche keine Ausnahme sind. Oder doch? Denn wer kann sich solche Jobs eigentlich leisten? Viele Kulturarbeiter:innen stammten aus privilegierten Vermögensverhältnissen. „Genauso bedeutend oder gar bedeutender als das Einkommen ist das Erbe.“

Könnte stimmen, aber eine Quelle für diese steile These liefert Seeck leider nicht. Und das ist eine wiederkehrende Schwäche des Buches. Zwar ist das Literaturverzeichnis umfassend und enthält viele Studien. Aber hier und da hätte man sich doch etwas mehr Zahlen, Daten und Fakten gewünscht, auch wenn der Text kein soziologisches Fachbuch sein will. Doch für all diejenigen, die sich sensibilieren lassen möchten für ein Thema, das noch immer viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt, ist der schnell zu lesende, schlanke Band wärmstens zu empfehlen.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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