Das ganze Leben

Niklas Trüstedts ernste Gesänge

Wer hätte das gedacht! Ein Gambist schafft es, nur mit sich selbst und seinem Instrument eine ganze Welt zu umschreiben oder zumindest in vierzehn wunderbaren „Gesängen zur Gambe“ anzureißen. Keine Frage, Niklas Trüstedt, den der einschlägige Freund Alter Musik als Veteran der Bewegung kennt, der zahlreiche Konzert-CDs als Solist und Continuospieler an der Gambe bestritten hat, setzt mit dieser ganz persönlichen Einspielung ein Ausrufungszeichen.

Los geht es mit vier Grundformen menschlicher Emotionen, wie sie der schottische Gambist und Komponist Tobias Hume (um 1600) empfand, dann kommt mit dem berühmten spätmittelalterlichen Liebeslied „Douce dame“ gleich der erste Höhepunkt der CD: Trüstedt singt mit einer stimmlichen Klangkunst, die kaum glauben lässt, dass er schon 78 Jahre sein soll, diese Geschichte schmachtender, unerfüllbarer und damit unerfüllter Liebe zu einer hohen Dame. In der Mitte des Tracks verwandelt sich Trüstedt selbst in den Ton der Gambe und betreibt, sich sparsam auf dem Instrument begleitend, eine selbstironische Gamben-Vokalise, die den Zuhörer nach kurzen Momenten der Belustigung doch in eine mitgehende Trance treibt. Großartig.

Ja, Trüstedts „Vierzehn ernste Gesänge“ fesseln schnell – allein durch die Neugier auf das, was wohl als Nächstes kommen wird. Ganz große Klasse, wie er „Mein sind die Jahre nicht“ des Barockpoeten Andreas Gryphius erst als tonunterlegte Sprachausbuchstabierung präsentiert, um die Verse dann in schönem, anrührenden Gesang zu präsentieren und danach an Cluster der Gambe abzugeben, die sehr ahnen lassen, dass längst nicht alle Lebensjahre eitel Sonnenschein sind. So geht es weiter und weiter, souverän durchschreitet Trüstedt in vierzehn Interpretationen existenzielle Themen – Tod, Endlichkeit, Liebe und Lebensfreude –, ohne irgendwo banal zu werden. Vielmehr allerorten große Kunst en miniature! Leider kann auf diesem engen Raum nicht alles davon erzählt werden. Erwähnt werden aber muss auf jeden Fall die berührende Fassung von „Der Tod und das Mädchen“ (Matthias Claudius) auf die berühmte Melodie von Franz Schubert. Um ehrlich zu sein: Dafür lasse ich Peter Schreier und Dietrich Fischer-Dieskau sofort stehen!

Am Schluss des 14-teiligen (Kreuz-?)Wegs steht gehaltvolle Ironie, nämlich wenn Trüstedt etwas ortlos auf der Gambe begleitet singt, dass die Ewigkeit zwar „ein Versprechen längst vergang’ner Zeiten“ sei, aber dann fortfährt: „Doch schlag ich’s vor/Für Zuversicht und Nutzbarkeit/Auf diesem Erdenrund./So gieß ich Blumen/Und fege den Balkon.“ Fazit: Unbedingt kaufen, da durch und durch hörenswert, weil Trüstedts Kunst über „die Kraft zur Inspiration“ verfügt, wie es Hille Perl, die Grand Dame der deutschen Gambenszene, in ihrem Beiheft-Text so richtig beschreibt.

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