Hochgelehrt

Über Religion und Politik
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Leser und Leserinnen werden mit wertvollen Einsichten, kenntnisreicher Präsentation von Wissensständen und präziser Rekonstruktion zentraler politiktheoretischer Fragestellungen belohnt.

Religionen sind nicht per se friedlich. Und sie sind nicht per se Stützen freiheitlicher Demokratien. Diese beiden Aspekte greift der Theologieprofessor Rochus Leonhardt in seiner voluminösen, hochgelehrten Monographie einleitend auf, um deren Fragerichtung zu erläutern. Denn wenn heute sowohl EKD als auch katholische Bischofskonferenz den freiheitlichen Verfassungsstaat begrüßen und nach Kräften stützen, dann ist das nicht nur mit Blick auf andere Religionen, sondern auch und gerade vor dem Hintergrund der eigenen Entwicklungsgeschichte alles andere als selbstverständlich.

Diese „Unselbstverständlichkeit eines christlichen Eintretens für Demokratie, Religionsfreiheit und Pluralismus“ einerseits zu verdeutlichen und andererseits die Faktoren und Entwicklungen zu rekonstruieren, die zu einer grundrechts-, demokratie- und pluralismusfreundlichen Haltung insbesondere im Protestantismus geführt haben, benennt der Autor als Hauptziel seines Buches. Kurz gesagt: Wie kam es zur Versöhnung mit der politischen Moderne?

Zur Beantwortung dieser Frage holt Leonhardt weit, sehr weit aus. Er verfolgt das komplexe Verhältnis von Politik und Religion seit den Anfängen des Christentums – nicht ohne zuvor noch maßgebliche Bibeltexte zur politischen Ethik zu untersuchen. Das Schwergewicht liegt dann freilich erwartungsgemäß auf den großen Abschnitten zwei („Religion und Politik von der Reformation bis zur Aufklärung“) und drei („Von der konfessionellen Parität zum religiösen Pluralismus“). Stets verbinden sich dabei in der Darstellung große Erzähllinien und weiträumige Epochenbeschreibungen mit hoher Präzision im manchmal fast zu liebevoll ausgeschmückten Detail.

Ein besonderes Kennzeichen des stets auch methodensensiblen Werkes besteht darin, dass es sich zentralen staatskirchenrechtlichen Texten und Entwicklungen mit der gleichen Sorgfalt widmet wie theologischen Konzepten und Kontroversen. Auf diese Weise wird man über die Friedensschlüsse von 1555 und 1648 oder die Ausgestaltung des landesherrlichen Kirchenregiments ebenso kundig unterrichtet wie über den Pietismus, Schleiermachers Vision einer staatsfreien Kirche oder über Karl Barth und den Obrigkeitsstreit. Desgleichen handelt der Autor die mittelalterlichen Politiktheorien Dantes, Ockhams und anderer genauso gründlich ab wie die Exegesegeschichte der Zweigewalten- beziehungsweise der Zweischwerterlehre.

Auch wer sich an der einen oder anderen Stelle vielleicht etwas Straffung wünschen würde, sieht sich doch mit wertvollen Einsichten, kenntnisreicher Präsentation von Wissensständen und präziser Rekonstruktion zentraler politiktheoretischer Fragestellungen belohnt. Und wenn man während der Lektüre zuweilen denkt, dass der Ausgangs- und Zielpunkt der Überlegungen ob der vielen Themen, Autoren, Streitfragen und Handlungsstränge etwas aus dem Blick gerät, so lenkt der Autor am Schluss die Aufmerksamkeit wieder genau auf den zentralen Aspekt: das Verhältnis von Religion und Politik in einem pluralistischen, demokratischen Gemeinwesen. Folgerichtig endet die Rekapitulation bei der Demokratie-Denkschrift der EKD aus dem Jahre 1985.

In einem abschließenden, zurückhaltend als „Problemanzeige“ bezeichneten Kapitel fragt Leonhardt sichtlich besorgt und nicht ohne Grund, ob sich die lange Zeit probaten Mittel zur „Zivilisierung der Religionen“ auch bei der Bewältigung aktueller religionspolitischer Herausforderungen wie insbesondere der Integration des Islams als hinlänglich und tauglich erweisen werden.

Insgesamt: Ein informations- und argumentationsreiches, gewichtiges, wertvolles Buch!

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Horst Dreier

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