Atheisten und Gläubige

Standortbestimmung Religion
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Dem Religionsphilosophen Michael Kühnlein ist mit seinem Essay "Wer hat Angst vor Gott?" ein wegweisender Diskussionsbeitrag gelungen.

Ob Kopftücher, Beschneidung oder Kreuze in Behörden - die Streitpunkte in der Auseinandersetzung über die Rolle der Religion in der säkularen Gesellschaft sind so zahlreich wie die publizistischen Positionsbestimmungen, die diese Debatte hervorgebracht hat. Dennoch ist dem Religionsphilosophen Michael Kühnlein mit seinem Essay "Wer hat Angst vor Gott?" ein neuer und zudem wegweisender Diskussionsbeitrag gelungen.

Das hat seinen Grund vor allem darin, dass er sich weder in den Dienst der Kritiker noch in den der Apologeten der Religion stellt. Vielmehr analysiert er die identitätsstiftenden Erzählungen ebendieser beiden, sich gegenüberstehenden Parteien und arbeitet heraus, wie die Kontroverse zur gegenwärtigen Eskalation der Debatte geführt hat. Zu diesem Zweck beschreibt er idealtypisch einander gegenüberstehende Antagonisten: den „metaphysisch Unbehausten“, der einen elitären „Mono-Atheismus“ vertritt und sich im ständigen Abwehrkampf gegen eine „Rückkehr der Religion“ befindet, und die „Schwarzmänner“, die „mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Machtmitteln die bedrohte Ordnung in der Mitte des Universums“ verteidigen.

Beide Parteien - der „Unbehauste“ wie die „Schwarzmänner“ - agieren dabei aus Angst. Im Falle des „Unbehausten“ rührt die Angst für Kühnlein von der verdrängten Wahrnehmung her, dass, selbst nach der Wegrationalisierung Gottes als „Illusion“, existenzielle Fragen unbeantwortet blieben und in dem „mäandernden Strom voller Optionen (...) auch die Säkularität keine feste, verlässliche Insel mehr“ bilde. Dagegen stellt der „Unbehauste“ sein Narrativ des Sieges über die Religion - beziehungsweise identifiziert Kühnlein immer wieder eine „argumentative Säuberungsaktion“ gegen die Religion. Die Religionskritik des „Unbehausten“ sei damit „immer auch persönlich motiviert und Ausdruck einer umfänglichen Selbst-Ikonisierung, die in ihrem Exklusivanspruch keine anderen Götter neben sich selbst duldet“. Demgegenüber ist für die „Schwarzmänner“ - eine exemplarische Bedeutung kommt hierbei dem Rechtsphilosophen Carl Schmitt zu - die Frage nach Gott unmittelbar mit derjenigen nach staatlich-gesellschaftlicher Ordnung verbunden. Somit gilt deren Angst dem Verlust ebendieser Ordnung beziehungsweise mündet in einer metaphysischen Rechtfertigung derselben.

Die Angstszenarien verstärken sich dabei in ihrer wechselseitigen Konfrontation und heizen den Diskurs noch weiter an. Wie sich diese Eskalation konkret vollzieht, zeichnet Kühnlein sowohl anhand der Auseinandersetzung um islamkritische Karikaturen als auch anhand der, von Thomas de Maiziére angestoßenen Leitkultur-Debatte nach. Dabei gelingt es ihm immer wieder, deutlich zu machen, wie sehr sich beide Positionen trotz aller inhaltlicher Gegensätze aufgrund ihrer Angstbestimmtheit ähneln. Dies gilt im Besonderen für das beiden Seiten eigene „Gefühl der Befristung“: „Auf der Seite der Vernunft verfestigt sich der Eindruck, dass die Zeit langsam abläuft, während die Seite des Glaubens ihre Zeit für gekommen hält.“

Am Ende stellt sich für Leser und Autor die Frage nach einem alternativen Umgang mit der diskursiven Dichotomie von Glaube und Vernunft. Kühnlein plädiert unter Berufung auf Jürgen Habermas für einen „komplementären Lernprozess“ - dabei steht für ihn fest: „Dafür brauchen wir aber eine andere Erzählung der Moderne, eine Erzählung, die ihre säkulare Identität nicht mit dem Sieg über das verhasste Ancien Régime beginnen lässt, sondern sich offen zeigt für die vielen Geschichten der Bibel und der Aufklärung. Nur so hat die Moderne einen Platz für Gott und Gott einen Platz für die Moderne.“

Tilmann Asmus Fischer

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