Überzeugend

Ohne Glaubenssicherheit
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Hier wird Gott als der Ton der Lieder gehört, die als Trost vernommen werden können, auch wenn „die Saiten gesprungen“ sind.

Uwe Kolbe (siehe auch Seite 21) nennt die hier versammelten Gedichte „Psalmen“, will sie aber in seiner einleitenden Bemerkung gleich von den biblischen Psalmen unterscheiden, denen er Glaubenssicherheit unterstellt. Eine solche metaphysische Gewissheit sei ihm als einem „Heiden, der Gott verpasste,“ fremd. Gleichwohl stellt er sich mit vielen seiner Texte in die Überlieferung des Psalters und bezieht sich mit einigen sogar ausdrücklich auf bestimmte Psalmen.

Sehr gelungen etwa ist die Variation und Kollage zum 130. Psalm „Aus der Tiefe der Not“, in der Kolbe Passagen der Überlieferung mit Luthers bekannter liedhafter Nachdichtung zusammenfügt und damit den „poetischen Raum“ gewinnt, in dem sich sein Sprechen entfalten kann. Ganz anders geartet, aber ebenso überzeugend ist seine Reduktion der Sterbebereitung des 90. Psalms zu einem bescheidenen Reim:

„Über und über besudelt von Zeit,?/?bin ich zu altern, zu sterben bereit?/?bei dir, mit dir im Tanz; Gegenwart,?/?spür deine führende Hand hart.“

So kann der, der den „Kinderglauben verraten hat“, doch in der Unruhe stiftenden Welt Ruhe finden, kann „die tägliche Nachricht vom Krieg aller Welten“ hinter sich lassen in einer Einkehr, die Gott gestiftet, ihm eingeräumt hat.

Jedoch meidet Kolbe den Eindruck, als sei ihm die Poesie nunmehr zum Bürgen religiöser Erfahrung geworden. Der Grund, auf dem sich seine Gedichte bewegen, ist keineswegs durch eine „Selbstbeugung“ des lyrischen Ichs gewonnen. Vielmehr wird Gott als der Ton der Lieder gehört, die noch in der Karwoche, also dann, wenn „die Saiten gesprungen“ sind, als Trost vernommen werden können.

Poetologisch ließe sich sagen, dass Kolbe mit seinen Gedichten die Sprachform aufsucht, mit der der Sprecher ein fernes überlegenes Gegenüber anredet. Diese Lyrik will Distanz überwinden und teilt solche ursprüngliche Intention mit vielen Psalmen, die über das Ich hinausstreben.

In solcher Nähe versuchen Kolbes Texte auch für andere existentielle Themen wie Schuld, Vergebung, Zeit und Tod offen zu sein, und bleiben dabei nicht immer frei von thematischer Überformung, wenn etwa unter dem Thema Schuld von der „Selbstbetrachtung“ die Rede ist oder mit der Formulierung „Pass in den Himmel“ die Metaphorik allzu leicht daherkommt. Kolbes „religiöser“ Zugang liegt in seiner persönlichen Geschichte begründet. Davon schreibt er bereits in der Einleitung: „Ich sagte Gott. Und als ich ihn ansprach, verweigerte er sich nicht. Aus verlorener Nähe der Liebe wurde Nähe zu Gott unmittelbar.“

Friedrich Seven

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