Hoffen auf die Frauen

Die Bundesregierung fragte erneut nach der "Friedensverantwortung der Religionen"
Zaleha Kamarudin ist die erste Rektorin der internationalen Islamischen Universität Malaysias. Foto: dpa
Zaleha Kamarudin ist die erste Rektorin der internationalen Islamischen Universität Malaysias. Foto: dpa
Bereits zum zweiten Mal lud das Auswärtige Amt Vertreter und Vertreterinnen von Religionen weltweit nach Berlin ein, um mit ihnen die friedensstiftende Kraft der Religion zu diskutieren.

Wie muss Religion gestaltet werden, damit sie als Friedenstifterin und nicht als Spaltpilz in einer Gesellschaft wirkt? Dieser Frage widmete sich bereits zum zweiten Male das Bundesaußenministerium in einer mehrtägigen Konferenz, zu der Vertreter aus unterschiedlichsten Religionen eingeladen wurden. Und diesmal besonders Vertreterinnen. Denn: „Eine Studie hat kürzlich gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für einen nachhaltigen Frieden in Gesellschaften deutlich steigt, wenn Frauen am Friedensprozess aktiv beteiligt sind“, sagte Europa-Staatsminister Michael Roth zur Begrüßung im vollbesetzten Weltsaal des Ministeriums.

Unter den Gästen waren auch siebzig Vertreterinnen und Vertreter von muslimischen, christlichen und zahlreichen asiatischen Religionen, die mehrere Tage miteinander diskutieren wollten. Etwa die Hälfte davon waren Frauen. Damit lag der Anteil weiblicher Teilnehmer deutlich über dem der Konferenz im vergangenen Jahr, als das Auswärtige Amt erstmalig zur Konferenz unter dem Motto „Friedensverantwortung der Religionen“ einlud. Damals standen die abrahamitischen Religionen im Zentrum, diesmal ging der Blick nach Asien. Doch der Grundgedanke war derselbe: Es sollten weniger die Spitzenrepräsentanten der Religionsgemeinschaften aufeinandertreffen, sondern diejenigen, die schon jetzt in friedensbildenden Projekten aktiv sind.

Damit verfolgt das Auswärtige Amt weiter eine Strategie, die unter dem jetzigen Bundespräsidenten und damaligen Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier entwickelt wurde. Die Grundidee: In vielen Ländern der Welt sind es nicht die staatlichen Akteure, die über großen gesellschaftlichen Einfluss verfügen, sondern die zivilgesellschaftlichen Gruppen, also häufig die Religionsvertreter. Sie „genießen oft hohes Ansehen und Vertrauen, ihr Einfluss reicht weit in ihre Gesellschaften hinein“, sagte Roth, der übrigens selber Synodaler in der kurhessischen Landeskirche ist. „Diese helle Seite von Religionen, diesen wertvollen Schatz des Friedens, wollen wir nutzen, fördern und ausbauen.“

Offenbar waren die Ergebnisse der Konferenz im vergangenen Jahr ermutigend. Zwar fanden die Gespräche auch diesmal überwiegend außerhalb der Öffentlichkeit statt, aber gerade dieser geschützte Raum ermöglichte Begegnungen, die sonst nicht stattgefunden hätten. So etwa ein Mediationsworkshop in Brandenburg in der Folge der großen Konferenz, bei dem Juden und Muslime aus einem afrikanischen Krisengebiet erstmalig miteinander ins Gespräch kamen und weiterhin in Kontakt miteinander stehen. Was das konkret für die Gesellschaft und den Friedensprozess bringt, lässt sich schwer messen und vorhersagen. Aber den Versuch scheint es allemal wert zu sein. Zumal diese Konferenz mitorganisiert wurde von einer Arbeitsgruppe des finnischen Außenministeriums, das ebenfalls schon länger die Bedeutung der Religionen im Blick hat und unter anderem das „Network for Religious an Traditional Peacemakers“ fördert.

Diesmal also Asien, der Kontinent, der in den vergangenen Monaten nun vor allem die „dunkle Seite“ der Religionen mit Blick auf Krieg und Gewalt gezeigt hat. Hundertausende Rohingya mussten aus Myanmar vor den Konflikten zwischen der muslimischen Minderheit und der überwiegend buddhistischen Bevölkerung fliehen. Aber auch in Indien, Indonesien und anderen Ländern scheinen die Konflikte zwischen den unterschiedlich religiös geprägten Ethnien zu wachsen. Was also muss geschehen, damit die Religionen in solch einer Situation zum Friedenstifter werden?

Wie schon erwähnt, die Frauen sind wichtig. Männer dominierten zwar die religiösen Institutionen, sagte die Juristin Dishani Jayawere, die auf Sri Lanka seit vielen Jahren ein Zentrum für Friedens- und Versöhnungsarbeit leitet. Aber sie seien oft so stark in ihr soziales, politisches und wirtschaftliches System eingebunden, dass es ihnen weniger möglich sei, das zu leben, was sie predigten. Stark ausgeprägte Rollenzuschreibungen machen also unfrei und grenzen ein. Dabei habe sie bei der Versöhnungsarbeit auf Sri Lanka gelernt, dass es entscheidend sei, sich gegenseitig füreinander zu öffnen und einengende Verhaltensmuster abzulegen. Einen anderen Aspekt betonte Zaleha Kamarudin aus Malaysia, die erste Rektorin der Internationalen Islamischen Universität des Landes. „Friedensarbeit funktioniert nur, wenn Religionen reguliert werden.“ Denn sonst drohe der Missbrauch, bei dem Religion nur denen diene, die sie predigen. Wichtig daher sei religiöse Bildung und die Vermittlung von Werten.

So weit, so harmonisch. Doch dann zeigte sich auf dem Podium auch kurz, warum die Religionen nicht einfach gemeinsam das Joch der Friedensarbeit auf sich nehmen können. Zaleha Kamarudin berichtete mit hörbarem Stolz über die Erstellung eines „Scharia-Index“. Dabei begutachten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universität die Gesetzgebung einzelner Länder unter der Fragestellung, inwieweit sich in ihnen die religiösen Gesetze der Scharia wiederfinden. Fünf Länder seien schon untersucht worden, Ziel sei es, einen globalen Index zu erstellen. Für Kamarudin ist das ein Ansatz, die Scharia zu „entmystifizieren“ und in ein leicht verständliches Wertesystem umzuwandeln. So gesehen also ein gutes Beispiel für religiöse Bildung, die Transparenz schafft und auch zur Beurteilung von religiösem Führungspersonal dienen könnte.

Aber darf man die Gesetze eines Landes mit dem Raster eines religiösen Gesetzes bewerten? Für den deutschen Staatsminister Michael Roth war hier eine Grenze erreicht: „Sie können mit der Scharia spirituelle Dinge regeln“, sagte er zu Kamarudin. Aber: „Wir brauchen ein klares Signal, dass bestimmte Regeln in einer modernen Gesellschaft einfach nicht mehr anwendbar sind. Wir brauchen diesen Konsens.“ Verständlich, aber auch bedauerlich, dass diese Diskussion nicht auf offener Bühne weitergeführt wurde, trifft sie doch ins Zentrum der gegenwärtigen Debatte um den Umgang mit dem Islam und deutet vielleicht sogar noch einen Schritt weiter. Dürfen Religionen überhaupt zu etwas „benutzt“ werden, selbst wenn das Ziel noch so richtig ist? Findet der Dialog wirklich auf Augenhöhe statt, oder gibt es doch westlich geprägte politische Leitbilder, die als Standard nicht zu hinterfragen sind? Kann es überhaupt anders sein? Es bleibt zu hoffen, dass diese Diskussionen spätestens im kommenden Jahr weitergeführt werden. Eine friedlichere Welt wäre es wert.

Stephan Kosch

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