Aufbruch

Das Lebenswerk Gollwitzers
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Es ist an der Zeit, an das Wirken Gollwitzers zu erinnern. Dazu leistet Andreas Pangritz einen wichtigen Beitrag.

„Die christliche Botschaft ist das große Verbot der Resignation und die große Erlaubnis zur Hoffnung.“ Dieser Satz könnte als Motto über Leben und Werk des Theologen Helmut Gollwitzers stehen. Am 29. Dezember 2018 würde er 110 Jahre alt werden, im Oktober jährt sich sein 25. Todestag. Wie nur wenige seiner theologischen Zeitgenossen hat er Kirche und Welt zusammengedacht, hat sie als zwei Seiten der einen Medaille verstanden. Gollwitzer, der „einem deutschen Professor so unähnlich war, wie es nur irgendwie vorstellbar ist“ (Paul Oestreicher), hat Theologie gelehrt und gelebt in der Tagesordnung der Welt. Das bezeugen seine mehr als tausend Veröffentlichungen. Er hinterfragte Traditionen und Überlieferungen und wurde damit immer wieder zur Herausforderung für seine Kolleginnen und Kollegen und zuweilen zum Ärgernis für eine größere Öffentlichkeit. Weil er oft auch anstößig war, konnte er Anstöße zum Weiterdenken geben. Gollwitzer hatte eine unnachahmliche Art, theologische Fragen zu elementarisieren und auch für theologisch „Ungebildete“ verstehbar zu machen. Das hat er unter einem Priestertum aller Gläubigen verstanden. Und er hat der Theologie neue Denkbereiche und neue Denkweisen erschlossen. Gollwitzer hat keine theologische Schule oder Richtung begründet, sondern vielmehr die „Alten“ fruchtbar beerbt und zugleich Konsequenzen aufgezeigt für eine christliche Existenz nach Auschwitz und Hiroshima.

Theologie als „Befreiung zur Solidarität“, so der Titel einer Vorlesung Gollwitzers im Sommersemester 1975, mit der er seine Lehrtätigkeit als Professor an der Freien Universität Berlin beendete – unter dieser Prämisse standen Leben und Wirken von Helmut Gollwitzer. Unermüdlich suchte der streitbare und engagierte Gelehrte Antworten auf Fragen des Glaubens und des Lebens, die er nicht zuletzt in der Reflexion über seinen eigenen Weg fand. Es ist also an der Zeit, an das Wirken Gollwitzers zu erinnern. Dazu leistet die theologisch-biografische Skizze von Andreas Pangritz, Professor für Systematische Theologie und Direktor des Ökumenischen Instituts der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, einen wichtigen Beitrag. In acht Kapiteln entfaltet Pangritz Leben und Werk dieses außergewöhnlichen Theologen und zeigt dabei unter anderem, dass Helmut Gollwitzer schon in den Fünfzigerjahren eine theologische Neubestimmung des jüdisch-christlichen Verhältnisses gefordert hat; denn ihn beunruhigte, dass die jüdische Theologie durch die Shoah weit mehr erschüttert worden ist als die christliche, die sehr schnell über Auschwitz hinweggehend wieder so zu reden versuchte, wie sie es zuvor getan hatte.

Außerdem hat Gollwitzer mit seinen Anstößen immer wieder den theologischen Lehrbetrieb provoziert, der nur fortwährend Überkommenes reproduzierte; seine theologische Denkbewegungen durchbrachen herkömmliche Ergebnisse und Fragestellungen und erschlossen auf diese Weise der Theologie neue Denkweisen. Er hat sich mit Fragen der politischen Ethik bereits zu einer Zeit befasst, als die evangelische Kirche und mit ihr die evangelische Theologie die Möglichkeit und die theologischen Bedingungen evangelischer Sozialethik (neben der traditionellen Individualethik) noch nicht wirklich grundgelegt hatten. So bringt Gollwitzers Vortrag vor der Bonner Studentengemeinde im Sommersemester 1957 „Wir Christen und die Atomwaffen“ Kirche und Theologie in Deutschland zum ersten Mal das theologische Problem der modernen militärischen Bewaffnung ins Bewusstsein und wirkt als Initialzündung für die große Atomdiskussion, die die Evangelische Kirche in Deutschland bis fast an den Rand ihrer einheitlichen Existenz zu führen drohte.

Helmut Gollwitzers Theologie und Ethik waren ökumenisch; er thematisierte nicht nur die Probleme des Nordens wie „Frieden und Kriegsverhütung“, er nahm vielmehr den gesamten bewohnten Erdkreis in den Blick, indem er sich die drängenden Fragen der Länder der Dritten Welt zu eigen machte und von ihnen her Theologie praktizierte. Und Gollwitzer benannte in seinen Schriften und Reden Konsequenzen für ein Christsein nach Auschwitz und Hiroshima; damit ist er für viele innerhalb und außerhalb der Kirche in seiner konkreten biblisch-ethischen Entscheidung wegweisend geworden. Spürbar geht der Impuls zum Aufbruch, zur Veränderung durch sein Lebenswerk. Thematische Vielfalt, Integrationskraft und verständliche Sprache zeichnen sein Werk aus.

Wolfgang Brinkel

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