Janz weit draußen

Klartext
Die Gedanken zu den Sonntagspredigten im Juli und August stammen von Jürgen Wandel. Er ist Redakteur der zeitzeichen.

Gefragt und zugehört

FÜNFTER SONNTAG NACH TRINITATIS, 16. JULI

Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. (Johannes 1,40-41)

Es erstaunt, wie einfach und nüchtern das Johannesevangelium die Berufung der ersten Jünger Jesu erzählt. Trotz des historischen Abstandes liefert es ein gutes Beispiel dafür, wie man Menschen für den christlichen Glauben gewinnen kann.

Als Jesus vorübergeht, weist Johannes der Täufer zwei seiner Jünger darauf hin, dass Jesus das „Lamm Gottes“ ist. Und das ist mehr als eine religiöse Floskel. Weil sie Juden sind, verstehen die beiden Männer die Anspielung auf die Stiftung des Passahfestes. Nach der Überlieferung des Zweiten Mosebuches folgten die Israeliten, die in Ägypten versklavt waren, der Anordnung Gottes und bestrichen die Türen ihrer Häuser mit Lammblut. So wurde ihnen Leben und Freiheit geschenkt.

Und das, will Johannes sagen, ist auch denen verheißen, die Jesus nachfolgen. Für die beiden Jünger - einer heißt Andreas, der andere bleibt namenlos - ist der Täufer eine Autorität: Sie kennen ihn und vertrauen ihm. Daher folgen sie seinem Rat und gehen zu Jesus. Der überredet die Johannesjünger nicht, seine Jünger zu werden. Vielmehr lässt er sich auf ein Gespräch ein. Und das scheint Andreas so zu beeindrucken, dass er seinem Bruder Simon sagt, Jesus sei der Messias. Als Jude versteht Simon Petrus, dass mit diesem Begriff der von Gott verheißene Erlöser der Welt gemeint ist. Und er lässt sich von seinem Bruder zu Jesus führen.

Wie den beiden ersten Jüngern dürfte es einigen ergangen sein, die an diesem Sonntag den Gottesdienst besuchen. Zuerst hörten sie in der Familie, von der Mutter oder anderen Verwandten, von Jesus. Und das hat einen Eindruck hinterlassen, weil das Gottvertrauen mit einer liebevollen Erziehung und einer Offenheit für die Mitmenschen verbunden war.

Pfarrerinnen und Religionslehrer führten diese Erziehung fort oder setzten neue, andere Akzente. Ihre Schüler lernten, wie die Verfasser des Neuen Testamentes Jesus verstanden haben, wie Theologen die Bibel auslegen und welche Rolle Gott in ihrem Leben und für andere Menschen spielen kann.

Wer andere vom christlichen Glauben überzeugen will, muss selber überzeugt - und fähig sein, sich so ausdrücken, dass er verstanden wird. Er darf nicht monologisieren und religiöse Floskeln gebrauchen, sondern muss sich wie Jesus auf Fragen und ein Gespräch einlassen.

Tun des Gerechten

SECHSTER SONNTAG NACH TRINITATIS, 23. JULI

Nicht hat euch der Herr angenommen und erwählt, weil ihr größer wäret alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil er euch geliebt hat. (5. Mose 7,7-8)

Ideen und Bewegungen, die die Welt menschlicher machen, beginnen oft j.w.d, „janz weit draußen“, wie der Berliner sagt. So war das erste Land, das die Todesstrafe beseitigte, nicht der Kirchenstaat des Papstes oder eine protestantische Großmacht wie Großbritannien, sondern das Großherzogtum Toskana. Sein Herrscher Leopold von Habsburg, ein aufgeklärter Katholik, schaffte die Todesstrafe 1786 ab.

Auch der Glaube an den einen Gott, der das Tun des Gerechten verlangt, ist nicht in Athen entstanden, dem intellektuellen Zentrum der Antike, oder in Rom, dem Zentrum eines Imperiums. Gott hat sich vielmehr ein kleines Volk in Vorderasien „erwählt“. Diese Erwählung ist mit einer Pflicht verbunden, nämlich den Gott zu verkündigen, der Sklaven befreit und dadurch verehrt werden will, dass die an ihn Glaubenden „das Recht“ strömen lassen „wie Wasser und die Gerechtigkeit wie einen nie versiegenden Bach“ (Amos 5,24).

Der Gott der Israeliten ist kein Stammesgott, sondern der Schöpfer der Welt. Der Mensch, jeder, ob Jude oder Nichtjude, ist sein Ebenbild. Diese universalistische Tendenz scheint auch sonst im Alten Testament auf, zum Beispiel in dem Predigtabschnitt, der in zwei Wochen ausgelegt wird. In dieser Tradition steht das Christentum: Es bekehrt Nichtjuden zum ethischen Monotheismus der Juden, zu einer Religion, für die Gewissen und Moral wichtig sind. Jesus „gab der ganzen Menschheit das jüdische Bürgerrecht“, schrieb der Dichter Heinrich Heine (1797-1856).

Auch Jesus kam von j.w.d., stammte aus der Provinz, aus Nazareth in Galiläa. „Was kann aus Nazareth Gutes kommen!“, fragt Nathanael den Jünger Philippus, der ihm erzählt hat, Jesus sei der, „von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben“ (Johannes 1,45).

Die Universalität oder Katholizität der Kirche und die Partikularität des Judentums dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie das christliche Theologen lange getan haben. Vielmehr ergänzen sie einander. Das Christentum hat sich auf der ganzen Welt ausgebreitet und mit den Traditionen und Denkweisen der verschiedenen Völker verbunden. Und dabei hat immer die Gefahr bestanden, sich vom Gott Israels, den der Jude Jesus als Vater anredete, zu lösen. Umso wichtiger ist für Christen der Dialog mit den Juden. Denn sie bezeugen, dass sich rechter Gottesdienst nicht nur in Ritualen vollzieht, sondern auch im Tun des Gerechten.

Offen für Neues

SIEBTER SONNTAG NACH TRINITATIS, 30. JULI

Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. (Johannes 6,32)

Wer lange Zeit einen Beruf ausübt und das schon lange im selben Betrieb tut, arbeitet routiniert. Man kann ihm so schnell kein X für ein U vormachen. Aber er steht in der Gefahr, betriebsblind zu werden. Und das droht auch Menschen, die mit biblischen Geschichten groß geworden sind, regelmäßig den Gottesdienst besuchen, Predigten hören, das Kruzifix oder andere Darstellungen Jesu betrachten. Ihnen prägt sich eine bestimmte Vorstellung von Gott, von Jesus und vom Christsein ein. Und ähnlich geht es denen, die Theologie studiert und den Pfarrberuf gewählt haben.

Eine religiöse Betriebsblindheit zeigt sich auch bei den Leuten, von denen der heutige Predigtabschnitt erzählt. Sie sind offensichtlich bibelfest, kennen die Geschichte von den Israeliten in der Wüste, denen Mose Manna zu essen gab. Und sie erwarten, dass Jesus dasselbe tut. Doch der korrigiert sie und eröffnet ihnen, ihre Erwartungen aufnehmend, eine neue Erkenntnis. Jesus verweist darauf, dass Gott der Geber des Manna war, nicht Mose. Und Jesus fügt hinzu, dass er das „Brot des Leben“ ist, also Nahrung für die Seele, nicht für den Körper, wie einst das Manna.

Es liegt nahe, diese Aussage auf das Abendmahl zu beziehen, auch wenn das der Verfasser des Johannesevangeliums möglicherweise nicht beabsichtigte. Das Abendmahl lebt wie jedes Ritual von der Wiederholung. Und damit droht erst recht eine religiöse Betriebsblindheit, die Verfestigung dessen, was aktive Christen gewohnt sind. Doch der Heilige Geist sorgt für Überraschungen. Mal erweist sich das Abendmahl als ein Geschehen zwischen Gott und dem Einzelnen: Jemand fühlt sich gestärkt, erbaut und verlässt den Altarbereich beschwingter, als er ihn betreten hat. Ein anderes Mal drängt sich der Gemeinschaftsaspekt des Abendmahls in den Vordergrund. Im Kreis, der sich um den Altar versammelt hat, erblickt man jemand, der einem auf die Nerven geht oder den man aus anderen Gründen nicht leiden kann. Nach dem Abendmahl schließt man nicht Freundschaft, aber vielleicht sieht man den Anderen nun mit anderen Augen, ist in Zukunft etwas geduldiger, urteilt zurückhaltender.

Wie ein Leuchtturm

ACHTER SONNTAG NACH TRINITATIS, 6. AUGUST

Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn! (Jesaja 2,4-5)

Dieses Bild spricht eine menschliche Sehnsucht an. 1959 schenkte die Sowjetunion der UNO eine Skulptur, die einen muskulösen, im Stil des „sozialistischen Realismus“ dargestellten Hünen zeigt, der ein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedet. Natürlich diente das Kunstwerk Propagandazwecken. Die Sowjetführung propagierte damals die „friedliche Koexistenz“. Aber dass ausgerechnet ein Regime, das sich dem Atheismus verschrieben hatte, diese biblische Vision wählte, beweist, dass sie Menschen aller Kulturen und Weltanschauungen bewegt.

Natürlich entwirft Jesaja eine Vision, die erst am Ende der Tage, am Ende der Welt verwirklicht wird. Umso wichtiger ist die Aufforderung in Vers 5, die für die Gegenwart gilt: „im Licht des Herrn“ zu wandeln. Das heißt: Die endzeitliche Vision gibt wie ein Leuchtturm die Richtung an und ermutigt, sich hier und jetzt für den Frieden einzusetzen.

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt empfahl bekanntlich, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen. Hinter einer solchen Äußerung steckt die berechtigte Angst vor politischen Traumtänzern, die die Realität nicht sehen wollen und die Mühen des politischen Geschäftes verschmähen, eine Gefahr, der mitunter Theologen erliegen. Für den Soziologen Max Weber (1864-1920) ist Politik ein „starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“. Aber in einem Atemzug mit dieser Äußerung, und das übergehen viele, die sich auf ihn berufen, betont Weber: „Alle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, dass man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre.“

Ein Beispiel dafür waren die Protes-tanten in der DDR, die sich zu Beginn der Achtzigerjahre unter der Losung „Schwerter zu Pflugscharen“ gegen Wehr-erziehung und Aufrüstung wehrten. Und sie waren „klug wie die Schlangen“. Da Aufkleber vom SED-Regime genehmigt werden mussten, produzierten sie Aufnäher, die die erwähnte Skulptur der Sowjetunion abbildeten. Den Initiatoren ging es um Abrüstung und Frieden, nicht um den Sturz der DDR-Regimes. Aber schließlich erwuchsen aus ihren Friedensgebeten Demonstrationen und schließlich eine friedliche Revolution.

Jürgen Wandel

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