Gegen Neoklassik

Kapitalismus in der Krise
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Smith, Marx und Keynes sind nicht passé. Deshalb ist die Frage: Was können wir von ihnen lernen?

Es gab einmal eine Zeit, in der konnte ein Facharbeiter seine Familie ernähren. Er hatte einen anständigen Lohn und wusste, dass er eine Rente haben werde, von der er leben kann. Armut schien ausgerottet zu sein - wenigstens in Mitteleuropa. Das ist vorbei. An diese Zeiten erinnert Ulrike Herrmann mit einer Provokation im Buchtitel. Der Kapitalismus steckt in einer tiefen Krise - doch kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Sie diagnostiziert eine Amnesie in der herrschenden Wirtschaftsdoktrin, der Neoklassik. Diese ignoriere die wichtigsten Theoretiker der Ökonomie wie Adam Smith, Karl Marx und John Maynard Keynes und deren Einsichten. Die Folgen sind dramatisch, wie die seit 2007 andauernde Wirtschaftskrise zeigt. Sie kosten Billionen und hat millionenfach Arbeitslosigkeit und Not erzeugt. Denn die Mainstream-Ökonomen haben keine Lösungen anzubieten. So bleibt nur: Nach der Krise ist vor der Krise. „Sie werden wieder scheitern und Kosten produzieren, die in die Billionen gehen.“

Es gibt ein „befremdliches Überleben des Neoliberalismus“, so der britische Soziologe Colin Crouch. Ulrike Herrmann setzt dieser düsteren Aussicht die Erinnerung an die führenden Theoretiker des Kapitalismus entgegen. Sie rehabilitiert Smith, Marx und Keynes. Sie durchschweift unterhaltsam deren Zeiten sowie deren Gedanken und Einsichten. Gekonnt verwebt sie Biografie mit ökonomischen Theorien, die auch für den Nichtfachökonomen gut lesbar sind.

Smith, Marx und Keynes sind nicht passé. Deshalb ist die Frage: Was können wir von ihnen lernen? Anders als die heutigen Ökonomen haben sie sich in der wirklichen Welt umgesehen und sie analysiert. Sie wirft den Neoklassikern vor, das nicht zu tun. Ihr Hauptvorwurf an die Neoklassik lautet: Die Ökonomie tut so, als sei sie eine Naturwissenschaft. Doch dies erfülle nur die Funktion, bequem die Frage nach der Macht und den Interessen zu entsorgen. Die Neoklassik fußt auf falschen Voraussetzungen; sie hat kein realistisches Bild von den Konsumenten und weiß nicht einmal, was ein Markt wirklich ist. Kurz gesagt: Die theoretischen Voraussetzungen sind entweder banal oder falsch. Und doch erfüllt diese Wirtschaftsdoktrin eine wichtige Funktion: Sie sichert die Privilegien der Mächtigen und Reichen ab. Ulrike Herrmann hat ein aufklärendes Buch geschrieben. Es entschleiert die Indoktrination durch die falsche herrschende Wirtschaftslehre. Ihre Botschaft lautet: Wer wissen will, was Kapitalismus ist, der sollte seine klügsten Theoretiker kennen: Smith, Marx, Keynes.

Ulrike Hermanns Buch endet mit der Feststellung: „Der Kapitalismus ist das einzige dynamische soziale System, das die Menschheit je hervorgebracht hat.“ Ist der Kapitalismus also nur reformierbar, nicht aber transformierbar? An dieser Stelle jedoch wäre weiterzufragen: Wenn kein Kapitalismus keine Lösung ist, könnte nicht trotzdem kein Kapitalismus doch eine Lösung sein? Ist eine wirklich alternative Wirtschaft und Gesellschaft undenkbar, die die Befriedigung der materiellen, kulturellen, sozialen und spirituellen Grundbedürfnisse aller in den Mittelpunkt rückt und nicht die grenzenlose Steigerung der Kapitalakkumulation und des Konsums Weniger zum Motor hat?

Herrmann übergeht, dass Habgier, Eigentum und Gewalt eine gesellschaftliche Dimension haben, die mit dem inhärenten Wachstumszwang des Kapitals untrennbar verknüpft ist. Ohne Bändigung dieser strukturellen Gier sind die Folgeerscheinungen des unbegrenzten Wirtschaftswachstums - wie Umweltzerstörung, Klimaerwärmung und weitere Zunahme der weltweiten Ungleichheit - wohl kaum in Grenzen zu halten. Dann aber stellt sich die alles entscheidende Frage: Kann die Umkehr zu einer „Wirtschaft für das Leben aller“ mit systemimmanenten Korrekturen der kapitalistischen Wirtschaft gelingen oder umfasst die Suche nach Alternativen zum Kapitalismus mehr. Ulrike Herrmann rehabilitiert Smith, Marx und Keynes. Dies ist wichtig, doch sie reicht nicht, denn die gegenwärtige Zivilisation befindet sich in einer ökologischen und sozialen Mehrfachkrise. Die Suche drängt auf eine alternative Zivilisation des Lebens, die nicht auf Konkurrenz und Wachstum gegründet ist, sondern auf dem Konzept der wechselseitigen Verbundenheit und Abhängigkeit.

Franz Segbers

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