Kaum, dass ich die CD eingelegt habe, brüllt Luther mich auch schon an: „Wir haben beim Essen alle die tyrannische Art der Tiere an uns!“ Uwe Ochsenknecht, der dem Reformator seine Stimme leiht, interpretiert dessen Klage über das menschliche Essverhalten als wütenden Ausbruch. Damit wird signalisiert, wen die Hörerin kennenlernen soll: Luther, den Polterer.
Der Herder-Verlag bietet mit dieser Auswahl von Luthersprüchen eine Alternative zu „hoch theologischen“ - und deshalb schlecht verkäuflichen - Gedanken des Reformators. Die Herausgeber interessieren sich nicht für religiöse Themen neben Tod und Teufel. Es geht ihnen um Luthers legendäre „Deftigkeit“. Entsprechend „regiert“ erst mal „der Hintern“. Des Menschen „Madensack“ von Leib stinkt, scheißt, kotzt, säuft, furzt, rotzt und pinkelt vor sich hin, dass es der Hörerin fast zu viel wird.
Uwe Ochsenknecht bemüht sich hörbar um Distanz. Offenbar möchte er nicht den Verdacht nähren, er inszeniere Luthers Irrtümer als Einstieg in einen Herrenabend. Im nächsten Komplex könnte er in den Modus der Zärtlichkeit umschalten. Müsste der alte Polterer nicht sanfter klingen, wenn er Gedanken und Gefühle gegenüber Kindern preisgibt, wenn er über die Schönheit einer Rose schwärmt? Uwe Ochsenknecht aber bleibt sachlich bis kalt.
Zugegeben: Aus etwa 3.000 Mitschriften eine Auswahl zu treffen, die repräsentativ für Inhalt und Stil eines Autors wie Luther sind, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Wer sich daran versucht, sollte - etwa in einem Vorwort zum Inhaltsverzeichnis - wenigstens seine Kriterien nennen.
Susanne Krahe