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Monotheismus der Treue
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Der Ägyptologe Assmann hat sich auf die andere Seite begeben, auf die Seite des Volkes Israel, das seine Identität und die jedes einzelnen Menschen, aber auch seine Vorstellungen von Gott, Freiheit und Gerechtigkeit durch die Trennung von Ägypten, und deren Gestaltwerdung in Bund und Tora, bestimmt sieht.

Vor bald zwanzig Jahren hat Jan Assmann in seinem Buch "Moses der Ägypter" die Behauptung aufgestellt, die "mosaische Unterscheidung" habe die Unterscheidung von "wahr und falsch" und damit die Gewalt in die Religion gebracht. Das hat eine bis heute anhaltende Debatte über den Monotheismus ausgelöst, in der auch er sich zu immer neuen Differenzierungen genötigt sah. "Inzwischen ist mir klar geworden", so heißt es nun bereits auf der ersten Seite des neuen Buches, dass es in der mit Mose und dem Exodus beginnenden Revolution um einen "Monotheismus der Treue" geht. Von ihm, seiner Entstehung und Gestalt, vor allem von seiner weltverändernden, bis heute wirkenden Kraft handelt dieses Buch. Der Ägyptologe Assmann hat sich damit sozusagen auf die andere Seite begeben, auf die Seite des Volkes Israel, das seine Identität und die jedes einzelnen Menschen, aber auch seine Vorstellungen von Gott, Freiheit und Gerechtigkeit durch die Trennung von Ägypten, und deren Gestaltwerdung in Bund und Tora, bestimmt sieht.

In zehn Kapiteln geht Assmann dem biblischen Buch Exodus nach, zunächst übergreifenden Fragen wie dem historischen Hintergrund und der Textgeschichte bis zur kanonischen Endform, dann im Detail den einzelnen Motiven von der anfänglichen Unterdrückung Israels bis zur Errichtung des Zeltheiligtums am Sinai. Jedes Mal wird der zentrale Inhalt erläutert und dann hineingestellt einerseits in seine Beziehungen zu antiken Religionen, insbesondere Ägyptens, und andererseits in exemplarische, weitausgreifende Darstellungen von Wirkungen und Wiederaufnahmen quer durch die Welt- und Kulturgeschichte. Während sich Assmann bei der Bibelexegese meist der Sicht bestimmter Gewährsleute aus der alttestamentlichen Wissenschaft anschließt, kann er bei der rückwärtigen Einordnung wie bei der Darstellung der Rezeption seine ganze Kapazität ausspielen. Das Ergebnis ist für nahezu jeden einzelnen Punkt, dass es sich bei Exodus und Gottesbund um etwas in der Religionsgeschichte "vollkommen Neues", Unvergleichliches und Unerwartetes handelt. Es geht um nichts Geringeres als "die Gründungserzählung der modernen Welt". Auf die Fähigkeit Assmanns, neue und wirksame Begriffe zu kreieren, trifft man dabei an vielen Stellen. Neben dem "Monotheismus der Treue" nenne ich nur den anregenden Versuch, die normative Kraft des biblischen Textes, der weder die Frage nach seiner Historizität noch die Rede von Fiktion gerecht wird, mit dem Begriff der "performativen Wahrheit" zu fassen.

Und wie steht es um das Verhältnis von Monotheismus und Gewalt? Dafür ist gegenüber der vorangehenden Debatte und als ihr Ergebnis wirkliche eine neue Ebene erreicht - die der biblischen Texte selbst. Assmann sieht innerhalb der Exoduserzählung drei Konfliktfelder: Israel und Ägypten, da geht es um Knechtschaft und Freiheit; Israel und die Völker, da geht es um Identität und Abgrenzung und schließlich - innerhalb des Bundes - um die von Freund und Feind respektive Treue und Verrat. Hier nun taucht am Beispiel von Exodus 32 mit der gewaltsamen Reaktion des Mose auf den Bruch der Gottesbeziehung das alte Problem der Gewalt wieder auf: Zur Treue im Bund gehöre "im Ernstfall... das fanatische mörderische Eifern für Gott". Wo es um die Ehre "eines beleidigten Gottes" geht, "da gibt es - bis heute - keine Toleranz". Hier würde ich deutlich widersprechen. Denn den Text Exodus 32-34 kann - und muss - man entschieden anders lesen. Vor allem weil die berühmte Gnadenformel (34,6f) den Zorn Gottes verwandelt und nicht einfach, wie Assmann will, auf die Ausmerzung der Schuldigen begrenzt, was von der Tat des Mose ja auch nirgends behauptet wird. Die Debatte also muss und wird weitergehen. Dass sie das aber jetzt an dem Ort tun kann, wo sie hingehört, bei den biblischen Texten selbst, steht dank diesem Buch zu hoffen.

Jan Assmann: Exodus. Die Revolution der Alten Welt. C. H .Beck, München 2015, 491 Seiten, Euro 29,95.

Frank Crüsemann

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